Nach langer Suche nach einem geeignetem Leerstandsgebäude hat das neu gegründete Korso-op.Kollektiv schließlich im Garelly-Haus in Saarbrücken einen geeigneten Spielort gefunden und feiert mit seinem innovativen Theaterprojekt „Babylon Pogo" am 2. Dezember Premiere. Nina Schopka, Gregor Wickert und Grigory Shklyar über ihr ungewöhnliches Stück.
Der Titel „Babylon Pogo" klingt ungewöhnlich. Was steckt dahinter?
Nina Schopka: Das habe ich erfunden (lacht). Der Turmbau zu Babel ist ja bekannt. Es war der Versuch, Gott zu erreichen. Das Ganze lief schief. Diese Hybris in Kombination mit Pogo (Tanz aus der Punkszene, Anm. d. Red.), bei dem in großer Vehemenz Grenzen immer weiter ausgereizt werden, hat schon viel mit dem Thema unseres Stücks, Mensch und Technik, zu tun. Und auch mit der Rigorosität und dem Tempo, mit denen Fortschritt betrieben wird und die technologische Entwicklung voranschreitet, und auch wahnsinnig vermarktet wird und über ganz viele Köpfe hinweg stattfindet. Das Ganze ohne viel Nachdenken oder aufgeworfene Diskurse, was neben den Vorteilen auch Nachteile hat. Das was der Mensch so versucht, hat ganz viel damit zu tun, ein Abbild der Schöpfung zu erschaffen. Wir wollen mit dem Stück nicht moralisch sein, aber genau beobachten, und nicht beschönigen. Das ist eine ziemliche Herausforderung.
Wie kann man sich die Umsetzung vorstellen?
Grigory Shkylar: Wir übertiteln das Ganze mit Revue, aber keine Revue, wie man sie sich im gewöhnlichen Sinne vorstellen darf. Es ist eine Collage in Theater-Unräumen. Sie besteht aus verschiedenen Textformen, die sehr krude miteinander verschnitten sind. Den Schwerpunkt bildet das Stück „Unter Eis" von Falk Richter. Drumherum gibt es Songs, philosophische Texte, authentische Texte aus Interviews mit realen Menschen, Texte aus Blogs, aus Romanen und so weiter. Das Ganze ist dann szenisch aufgearbeitet. Wir versuchen, assoziative Räume aufzumachen. Trotzdem ist es eine Erzählung. Es gibt einen großen Bogen, der beginnt da, wo alles beginnt, bei der Genesis, und geht bis zum Wunsch, Gott und die Unsterblichkeit zu erreichen. Dieser Bogen ist der Übergedanke. Manchmal haben wir ganz konkrete Anbindungen an Welten, zum Beispiel an die Arbeitswelt.
Nina Schopka: Die Texte sind sehr diskursiv. Sowohl Dialoge, als auch Monologe. Natürlich finden sich auch Rollen, man muss das ja auch spielen. Es hat was Performatives an sich, im Vergleich zum konventionellen Theater, das eine Geschichte erzählt. So werden auch die Räume benutzt. Wir gehen ja in Räume, die keine Theaterräume sind.
Was ist der Unterschied zu gängigen Theaterräumen?
Gregor Wickert: Die Arbeit auf einer klassischen Bühne ist erst mal sehr von Konventionen und bestehenden Verabredungen geprägt. Die Verabredung zwischen dem Publikum und den Spielern ist klar. Wenn ich in ein Theater gehe, weiß ich, es findet etwas auf der Bühne statt, die kommen auch mal runter von der Bühne, aber das war’s dann schon. Damit würden wir uns gerne nicht beschäftigen (lacht). Es gibt einem eine größere Freiheit, mit Texten und Spielweisen umzugehen, wenn die Räume nicht festgelegt sind. Wir wollen das Publikum in Situationen zu bringen, wo es sich nicht so zurücklehnen und denken kann: Dann schau ich mir das mal an. Wenn man in einem Raum ist, wo es keine Verabredung gibt, kann man die Verabredung für einen Moment aufbauen und sie dann wieder einkassieren und wieder ganz anders sein. Wir können eine Fläche hinlegen und behaupten, das ist die Bühne. Oder man geht in dem Raum einfach woanders hin und schaut, ob die Leute mitkommen. Und wenn keiner aufsteht, kann man sagen: Kommt doch Leute, da geht es weiter!
Das Unvorhergesehene soll das Publikum mobilisieren?
Gregor Wickert: Auch geistig mobilisieren!
Nina Schopka: Es wird aber kein Mitspieltheater! Ich hasse eigentlich Mitspieltheater (lacht). Ich finde das Nötigung, denn der Schauspieler weiß, was abgeht, der weiß, dass er sich jetzt einen rauspflückt. Der ist immer im Vorteil. Aber hier ist es etwas anderes. Das Publikum muss nicht aktiv mitspielen. Es soll nur viel ungefilterter Nähe und Auslieferung erleben, aber diese Auslieferung leisten wir genauso. Denn wir haben keinen Schutz als Schauspieler. Wir haben auch diese direkte Nähe und Angreifbarkeit und Verletzlichkeit. Das finde ich toll. Das will ich suchen und darin will ich forschen.
Für Euch ist das auch ein Experiment?
Nina Schopka: Absolut!
Gregor Wickert: Es ist auch eine Fortführung. Ich versuche eigentlich schon immer, in meiner Arbeit als Ausstatter die Grenzen auszuloten. Das ist oft nicht möglich, weil die Theater einem so enge Grenzen setzen. Mit „Babylon Pogo" befinden wir uns in einem nicht-theatralen Haus. Es ist spannend, einen Raum zu haben, der eine gewisse Neutralität bietet. Bei „Babylon Pogo" gibt es verschiedene Stufen. Wir werden mit einer angenehmen Stufe starten, eine grundpositive Atmosphäre herstellen. Wir wollen das Publikum ja einladen.
Wie kann man sich die Stufen dann weiter vorstellen?
Das Publikum kommt zunächst in eine Art Gemeinschaftsraum. Im Verlauf des Stücks wird das Publikum in fünf Gruppen aufgeteilt. Diese Gruppen bewegen sich in kleine Räume, in denen dann eine eher intimere Face-to-Face-Situation zu einem Spieler stattfindet. Dieser Spieler ist mit dem Publikum in einem abgeschlossenen Raum. Und dieser Raum wird eine bestimmte Form von Realismus behaupten. Zum Beispiel ein Hotelzimmer oder ein Büro.
Man soll in wirklich realistische Welten kommen. Von einer theatralen Behauptung in eine realistische Behauptung. Man ist zum Beispiel plötzlich zu Gast in einem Schlafzimmer. Und da sitzt jemand, der kam gerade aus der Dusche und erzählt etwas. In dem Fall ist es eine Geschichte von jemand, der mit einer Puppe lebt.
Klingt spannend …
Grigory Shklyar: Was aber noch wichtig ist: Das Ganze klingt vielleicht verkopft. Aber das ist nicht unser Wunsch, dass wir eine in Theaterform verpackte Philosophievorlesung abhalten. Wir haben uns das Wort Trash auf die Fahne geschrieben. Das soll nicht heißen, dass wir nur Blödsinn machen. Aber wir machen das Ganze mit einer großen Spielfreude und großen Freude an den Möglichkeiten, die der Raum bietet. Einerseits sind da Texte, und dann gibt es Szenen, in denen die Schauspieler wahnsinnig viel interagieren. Es passiert die ganze Zeit was Neues. Es gibt auch visuell etwas Neues, wir kooperieren dafür mit der HBK und versuchen, ein ungewöhnliches visuelles Erlebnis zu bieten.
Gregor Wickert: Aber nicht irgendetwas, was nur schön aussieht. Sondern etwas, das auch eine inhaltliche Anbindung in der Erzählung hat.
Können Sie dazu schon was verraten?
Grigory Shklyar: Es wird zum Beispiel einen Mitspieler geben, der keinen echten Körper hat, der aber in einer besonderen Form mitspielen wird und mit den anderen Schauspielern gleichberechtigt ist. Wir sind gespannt darauf, wie die Zuschauer damit umgehen.
Bei „Babylon Pogo" arbeiten Sie nicht mit dem klassische Modell, dass es einen Regisseur gibt, der den anderen sagt, was sie tun sollen …
Grigory Shkylar: Genau, wir sind ja ein Kollektiv, die Aufgaben sind nicht so strikt aufgeteilt. Die Arbeit findet gemeinsam statt. Natürlich nicht nur wir drei, sondern auch die anderen Kollegen, die im Kollektiv sind. In die Textauswahl wurden schon viele mit einbezogen. Und als die Gruppe dann stand, arbeiteten wir alle gemeinsam. Es ist ein Prozess. Es ist niemand allein dafür verantwortlich.
Nina Schopka: Wir sind ganz offen. Wenn einer eine Idee hat, wird diese ausgewertet und auch probiert. Es kann nicht alles umgesetzt werden. Auch das ist ein Versuch, ohne Hierarchien zu arbeiten. In einer Solidarität. Die Vielheit und Unterschiedlichkeit, wenn man ein gemeinsames konstruktives Ziel sucht, schafft viel mehr als ein einzelner sich ausdenken könnte.
Und wie funktioniert dieses Konzept?
Nina Schopka: Bis jetzt super! Natürlich sind die einen sofort dabei, andere brauchen länger. Manche sind es mehr gewohnt, andere weniger. Es findet sich total zusammen. Es ist wirklich ein super Prozess. Es findet sich und entwickelt sich immer weiter.
Wie sind Sie an diese Arbeit rangegangen?
Nina Schopka: Wir haben beim Thema angefangen und dazu recherchiert. Und das haben wir dann zu einem eigenen Stück zusammengebaut. Und was ganz wichtig ist: Es hat auch viel Humor. Und ganz viel Körperlichkeit, Sinnlichkeit. Was ich sehr reizvoll finde, ist, Texte, die intellektuell sind, mit einer ganz großen Trivialität zusammenzuführen. Darin liegt eine große ästhetische Spanne. Es ist ein offener, sehr humorvoller Umgang.
Sie sind bei dem Stück auch als Darstellerin dabei. Wie erleben Sie diese andere Theaterform?
Nina Schopka: Für mich ist das Spannende, dass ich keine Schubladen aufziehen kann, dass ich nicht sagen kann: Ah, da hab ich schon die Erfahrung und das funktioniert. Ich habe mir bewusst mit diesem Kollektiv den künstlerischen Boden unter den Füßen weggezogen, um eben nicht in einer Routine zu erstarren. Ich finde es super! (lacht)