Ein Gemälderaub ist ein klarer Fall. Aber Kriminalität im Zusammenhang mit Kunstwerken geht viel weiter: Mit Akribie und im internationalen Austausch kümmert sich das Dezernat Kunstdelikte beim Berliner LKA unter anderem auch um die Herkunft dubioser Gemälde.
Der Besucher stutzt beim Betreten von René Allonges Büro im Landeskriminalamt. Diese Kreidezeichnung dort von mehreren Pferden an der Wand – könnte das nicht ein Franz Marc, nein, ein Heinrich Campendonk sein? Und dieses bunte Ölgemälde womöglich ein Martin Kippenberger?
Allonge, Leiter des Dezernats Kunstdelikte beim LKA, kennt die verdutzten Blicke. Und hat auch gleich die Erklärung parat: Es handelt sich bei allen Bildern in seinem Büro um Fälschungen. Freilich um ziemlich gute: Immerhin habe „der Campendonk“ bei einer Christie’s-Auktion 45.000 Pfund erzielt. Eine Fälschung, die als solche vor der Auktion nicht erkannt wurde. „Das ist kein Einzelfall, im Gegenteil“, sagt Allonge.
Sein Dezernat mit acht Mitarbeitern bearbeitet jährlich rund 250 Fälle – vom Gemäldediebstahl im Privathaushalt über den spektakulären Raub der kanadischen Goldmünze aus dem Bode-Museum bis hin zur Fälschung alter und moderner Meister, die erst einmal als solche entlarvt werden muss. Die Geschichte der Abteilung reicht bis in die 70er-Jahre zurück, im damaligen West-Berlin gab es eine hohe Museen- und Sammlerdichte. Auf dem durch die Mauer eingeschränkten Territorium seien die Ermittlungsmöglichkeiten eigentlich gut gewesen, sagt Allonge. Der Raub eines Gemäldes von Lucian Freud aus der Nationalgalerie im Jahr 1988 sowie der Diebstahl zweier Spitzweg-Werke aus dem Charlottenburger Schloss konnten dennoch bis heute nicht aufgeklärt werden.
Ein Ermittlungserfolg, auf den Allonge und seine Kollegen heute noch stolz sind, ist hingegen der Fall Beltracchi: Die Berliner LKA-Ermittler halfen den spektakulärsten Kunstfälscherfall der Nachkriegszeit aufzuklären. Wolfgang Beltracchi und seine Frau Helene hatten Dutzende Gemälde gefälscht, dazu aufwendige Konstrukte rund um Herkunft und Geschichte der jeweiligen Werke erdacht und diese über ein Netzwerk von Mittelsleuten in den Kunstmarkt eingeschleust. Summe des Schadens: rund 34 Millionen Euro. Der Fälscher, seine Frau und ein Helfer wurden zu Freiheitsstrafen verurteilt – wo aber genau ein Teil ihrer Fälschungen verblieben ist, ist nach wie vor nicht geklärt.
Ein gutes Beispiel dafür, sagt Dezernatsleiter Allonge, welche von außen schwer zu durchschauenden Verflechtungen es auf dem Kunstmarkt gebe. Umso erleichterter ist der Ermittler, dass sich die Zusammenarbeit mit wichtigen Akteuren der Kunsthandelsszene seit dem Fall Beltracchi deutlich verbessert hat. Man arbeitet in einem großen Netzwerk zusammen, zu dem beispielsweise auch Zoll und Finanzbehörden gehören, die Auffälligkeiten an Allonge und sein Team weitergeben. Fast noch wichtiger allerdings seien die „Hinweise aus der Szene“: Auktionshäuser, die sich bei dubiosen Angeboten gleich direkt an die Ermittler vom LKA wenden, Experten, die ein Werk auf seine Echtheit hin untersuchen sollen und ihre Zweifel den Ermittlern melden. Dann könne man im Dezernat selbst tätig werden, erzählt Allonge, und das in Frage stehende Kunstwerk nach einem ausgeklügelten System untersuchen – ein Vier-Säulen-Modell sei das.
Denn zunächst gehe es um die Provenienz, die Herkunft eines Werkes. Wieso taucht es plötzlich auf dem Kunstmarkt auf, wer bietet es zum Verkauf an? Was weiß man über die Entstehung, gibt es Nachfolger oder Erben des Künstlers, die Auskunft geben können? Und ist das Bild, die Zeichnung, die Grafik im Werkverzeichnis aufgelistet? Dann müssten die Eigentumsverhältnisse geklärt werden, denn, ja, es gibt einen Unterschied, ob sich ein Bild im Besitz einer Person befindet oder deren Eigentum ist. Und dieser feine Unterschied ist oft schon ein erster Hinweis darauf, dass mit dem Kunstwerk etwas nicht stimmt. „Betrüger schalten nämlich gern Dritte ein“, schmunzelt Allonge.
LKA kooperiert mit der Kunstszene
Treten hier schon erste Unstimmigkeiten auf, dann sind die Experten gefragt. Sie untersuchen beispielsweise die verwendete Leinwand oder die Farbe, stellen fest, ob diese zur angegebenen Entstehungszeit des Bildes überhaupt in Gebrauch waren. Das Fälscherpaar Beltracchi beispielsweise flog auch dadurch auf, dass man Spuren von Titanweiß auf einem von ihnen erstellten Gemälde entdeckte. Das „Rote Bild mit Pferden“ war angeblich von Heinrich Campendonk 1914 gemalt worden – das verwendete Weiß wurde aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht hergestellt.
Mithilfe naturwissenschaftlicher Untersuchungen, sagt Allonge, könne man etwaige Unstimmigkeiten auf Gemälden entdecken. Einige hochspezialisierte Labore gebe es in Deutschland, darunter auch das Rathgen-Forschungslabor in Berlin-Charlottenburg. Farbuntersuchungen können die Ermittler vom Dezernat Kunstdelikte übrigens im LKA selbst vornehmen lassen, denn die Methoden bei Lackspurenuntersuchungen nach Unfällen sind die gleichen, die man bei Kunstwerken anwendet.
Eine Vielzahl von Untersuchungsmöglichkeiten steht Ermittlern, aber auch Experten auf dem Kunstmarkt zur Verfügung – und die Zahl von Fälschungen alter Meister sei mittlerweile verschwindend gering. „Die handwerklichen und fachlichen Anforderungen sind sehr hoch, das Risiko aufzufliegen jedoch auch“, sagt Allonge. Kein Wunder also, dass sich eine Grauzone rund um die Werke jener Künstler entwickelt hat, die erst vor wenigen Jahren verstorben sind, Jackson Pollock oder Martin Kippenberger beispielsweise. Deren Wert habe sich auf dem Kunstmarkt enorm gesteigert, nicht immer gebe es übersichtliche Werkverzeichnisse. Und den Künstler selbst könne man schließlich auch nicht mehr befragen.
Für Fälscher sei es technisch leichter, „einen Kippenberger“ zu produzieren als einen alten niederländischen Meister. Und mit naturwissenschaftlichen Untersuchungen kommt man bei heute hergestellten Fälschungen zeitgenössischer Kunst auch nicht so richtig weiter.
Interessant sei aber, so der Fachmann, dass sich Fälscher hier oft auf die zweite oder dritte Reihe der Kunstschaffenden konzentrieren: Die Gefahr, mit einer Fälschung eines ganz prominenten Künstlers aufzufliegen, sei einfach zu groß.
Um Hinweise und sich daraus ergebende Untersuchungen zu dubiosen Werken zu bündeln, existieren mittlerweile mehrere Datenbanken. Öffentlich zugänglich für alle, die mit dem Kunstmarkt zu tun haben, ist die „Datenbank der kritischen Werke“, eine Initiative des Bundesverbandes deutscher Kunstversteigerer. Sie wird unter anderem von Autoren von Werksverzeichnissen oder von Verwaltern von Kunstnachlässen und Auktionshäusern mit Hinweisen bestückt.
Ein internationales Pendant ist das „Art Loss Register“, das in London ins Leben gerufen wurde. Beide Datenbanken, sagt Allonge, würden dazu beitragen, dass in Deutschland bereits bekannte Fälschungen schlechter im Ausland verkauft werden könnten.
Das Vernetzen mit Asien ist noch schwierig
Überhaupt, die ausländischen Kunstmärkte: Drehscheiben des internationalen Kunsthandels sind nach wie vor die Metropolen London und New York, hier werden bei den Auktionen schwindelerregende Millionenbeträge für Monets, Picassos und Modiglianis erzielt. Im vorigen Jahr beispielsweise erzielte Claude Monets „Meule“ 81,4 Millionen US-Dollar. Allerdings verlagere sich der Markt auch zunehmend Richtung Asien und der arabischen Halbinsel, sagt der LKA-Ermittler. Und da sei es momentan noch schwierig, sich mit den für Kunstdelikte zuständigen Behörden zu vernetzen.
Das wird in Zukunft aber notwendig sein: Denn möglichweise gehe die Tendenz auch weniger dahin, weiter „große Kunstwerke“ zu fälschen als sich zu spezialisieren, auf antike Bücher und Schriften oder auch auf Porzellan. Und das sei vor allem in Asien gefragt.