Von den derzeit sprudelnden Steuereinnahmen profitieren auch Städte und Gemeinden. Allerdings in höchst unterschiedlichem Ausmaß. Die Schere zwischen reichen und armen Kommunen geht immer weiter auseinander.
Bei den zähen Verhandlungen über neue Bund-Länder-Finanzbeziehungen saßen die Kommunen eher am Katzentisch, auch wenn das Ergebnis dieser Verhandlungen für die Bürger letztlich in den Städten und Gemeinden erlebbar wird. Formal sind sie auch nicht bei den Sondierungsverhandlungen für Bundes-Jamaika dabei. Dass aber ihre Interessen nicht zwischen den großen Mühlsteinen wie Obergrenzen- oder Verbrennungsmotorstreit zerrieben werden, dafür gibt es zumindest Indizien.
Ein erstes Signal hatte die Ministerpräsidentenkonferenz in Saarbücken gegeben mit Forderungen unter der Überschrift von der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse.
Das Problem dahinter ist höchst konkret und zeigt nichts weniger als eine äußerst ungleiche Verteilung von Entwicklungschancen, je nachdem, wo man wohnt. Gemeinsam ist − einem inzwischen geflügelten Wort zufolge − dass überall die Kämmerer nicht gut schlafen können. Die einen, weil sie nicht wissen, wo sie das ganze Geld noch sinnvoll anlegen könnten, die anderen, weil sie nicht wissen, wie sie den nächsten Kassenkredit aufnehmen sollen.
Die extreme Ungleichheit der kommunalen Finanznot ist nicht neu, vielfach gutachterlich untersucht und analysiert. Erstaunlicherweise lassen gerade die nun seit geraumer Zeit sprudelnden Steuereinnahmen die Kluft zwischen armen und reichen Kommunen eher noch größer werden. Längst gibt es nicht mehr das klassische Ost-West- sondern ein Nord-Süd-Gefälle, das sich nach dem Kommunalen Finanzreport 2017 der Bertelsmann-Stiftung eher verschärft. „Die Problemregionen in Westdeutschland verfestigen sich“, schreiben die Bertelsmänner.
Im vergangenen Jahr haben demnach die kommunalen Kernhaushalte einen Überschuss von 4,5 Milliarden verzeichnet. Allerdings nicht gleich verteilt. In lediglich zehn der 13 Flächenländer waren die Kommunen im Plus. Das beste Saldo zwischen Einnahmen und Ausgaben erzielten die Kommunen in Bayern, das schlechteste die im Saarland. Wie krass der Unterschied ist, macht die Entwicklung der sogenannten Kassenkredite sichtbar, wenn also Kommunen ihre laufenden Ausgaben auf Pump finanzieren, damit unweigerlich einer Situation zusteuern, die in anderen Bereichen beim Insolvenzverwalter landet.
Die drastische Situation der Saar-Gemeinden ist hinlänglich bekannt. Wenig verwunderlich, wenn insbesondere die hochverschuldete Landeshauptstadt mit an der Spitze des Bündnisses „Für die Würde der Städte“ steht, übrigens gemeinsam mit den Nachbarn aus der Westpfalz und Teilen des Ruhrgebiets, eben jenen Regionen, denen der Strukturwandel besonders zusetzt. Die 70 hochverschuldeten Kommunen des Bündnisses, in denen nach eigenen Angaben alleine mehr als neun Millionen Bürger leben, haben ihrer Forderung nach einem Altlasten-Tilgungsfonds Nachdruck verliehen.
Sparen in der Vergeblichkeitsfalle
Mit ähnlichen Forderungen nach einer Lösung für die Altlasten war übrigens auch das hochverschuldete Saarland (gemeinsam mit anderen) in die damaligen Bund-Länder-Finanzverhandlungen eingestiegen, um allerdings sehr schnell erkennen zu müssen, dass dafür keine Mehrheiten zusammenzubekommen waren. Dass das für die Kommunen nun anders ausgehen könnte, was den Adressaten neue Bundesregierung betrifft, ist offen. Saar-Innenminister Klaus Bouillon (CDU) hatte sich zwar vor der Bundestagswahl überzeugt gezeigt, dass etwas in dieser Richtung von einer neuen Bundesregierung zu erwarten sei. Die Kommunalvertreter zeigten sich erfreut ob dieser Rückendeckung, und hielten die Forderung angesichts der dauerhaft steigenden Steuereinnahmen für gar nicht mal so unrealistisch. Bislang war aber von den Berliner Verhandlern außer Überschriftenbekenntnissen zumindest öffentlich noch nichts dazu zu hören. Die Kommunen stützen sich übrigens mit der Altschuldenfonds-Forderung auf eine ähnliche Argumentation wie seinerzeit die Länder: Ohne eine Lösung für dieses Problem gebe es keinen wirklichen Neustart und vergleichbare Startvoraussetzungen.
Der Oberbürgermeister von Pirmasens, Bernhard Matheis, würde natürlich gerne einen solchen Fonds ergreifen, hält ihn alleine aber nicht für der Weisheit letzten Schluss. Ein Schuldenschnitt alleine würde nicht reichen, wenn gleichzeitig Kommunen immer neue Leistungen per Sozialgesetzen abverlangt würden. Der Finanzreport 2017 rechnet vor: Der Einnahmezuwachs in dieser guten konjunkturellen Situation lag für die Kommunen bei immerhin sechs Prozent. Den größten Zuwachs bei den Ausgaben verzeichneten die Sozialausgaben mit neun Prozent. Damit sei absehbar, dass auf mittlere Sicht „die Sozialausgaben das Personal als stärkste Ausgabenkategorie überholen“ werde, warnen die Autoren des Reports. Was wiederum eine der wesentlichen Ursachen für die umgekehrten Spiralen der finanziellen Entwicklungen erklärt. Nur: Ohne eine Lösung für die Altschulden „bleiben wir in der Vergeblichkeitsfalle“, betont der Tholeyer Bürgermeister (und designierter saarländischer Städtetags-Vize) Hermann Josef Schmidt mit Blick auf die kommunalen Sparbemühungen.
An einigen Stellen haben die Länder zumindest versucht, ihren Kommunen einen Teil der alten Lasten abzunehmen. In neun der dreizehn Flächenländer sind Programme entwickelt worden, die allerdings höchst unterschiedliche Methoden, was die Art und die Bedingungen betrifft, anwenden. So hat beispielsweise das Land Hessen über einen „Kommunalen Schutzschirm“ 2,5 Milliarden Kassenkredite von Kommunen abgelöst. Die wiederum mussten höchst rigide Auflagen unter strikter Aufsicht erfüllen. Es folgte ein zweites ähnliches Programm, der „Hessen-Plan“. In Niedersachsen löste das Land für über eine Milliarde kommunale Kassenkredite ab, dafür mussten sich die Kommunen per „Zukunftsvertrag“ zu Fusionen verpflichten (die bislang aber nicht in allen Fällen auch erfolgt sind). Im Saarland hat die große Koalition einen Kommunalen Entlastungsfonds aufgelegt, mit 120 Millionen Euro „die größte finanzielle Anstrengung der vergangenen Legislaturperiode“, wie Finanzminister Stephan Toscani (CDU) erinnert.
Was würde bei Fusion unterm Strich stehen?
Die schon damals gärende Diskussion über freiwillige Interkommunale Zusammenarbeit (IKZ) oder Gebietsreform hat jetzt neuen Drive bekommen durch den Vorstoß des Landtagsabgeordneten und Vorsitzenden der Jungen Union, Alexander Zeyer. Weil dem alles nicht schnell und energisch genug voran ging, forderte er Sparkommissare für die Kommunen und größeren Druck zu Fusionen. Noch auf den letzten Drücker vor dem Parteitag formulierte die Saar-CDU als Reaktion auf Zeyers Initiative einen Leitantrag, der im Wesentlichen die Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag bestätigte: Priorität auf freiwilliger Zusammenarbeit bis zur Unterstützung möglicher freiwilliger Zusammenschlüsse, gleichzeitige gesetzliche Vorbereitung, um eine Gebietsreform („ultima ratio“) in der nächsten Legislaturperiode zu ermöglichen.
Die Kommunale Ebene reagiert verhalten verschnupft. Den Kommunen mangelnde Bereitschaft zu unterstellen, Zusammenarbeitsmöglichkeiten ernsthaft genug anzugehen, würde der Situation landauf, landab nicht gerecht. Allerdings sieht Hermann Josef Schmidt vor allem im weiten Feld der Digitalisierung noch erhebliches Kooperationspotenzial. Der Vorsitzende des saarländischen Städte- und Gemeindetags, Neunkirchens Oberbürgermeister Jürgen Fried, will erst einmal wissen, was bei Fusionen unterm Strich stehen würde: „Keine Privatunternehmen würden fusionieren, wenn sie nicht vorher wüssten, was es bringt“. Klar ist für ihn nur: „Jeder wohnt in einer Kommune, und die muss entwickelt werden“. Und zwar so, dass jeder Bürger an jedem Ort „gleichwertige Lebensverhältnisse“ hat, was nicht heißt, „dass überall in Deutschland alles gleich sein muss“, sondern dass es Rahmenbedingungen gibt, „dass Regionen sich entwickeln und wachsen können“, sagte Saar-Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (FORUM Nr. 42). Sie sitzt in Berlin für die CDU mit am Koalitionsverhandlungstisch.