Der renommierte Forscher Hans Joachim Schellnhuber sieht eine Kulturwende beim Klimaschutz heraufziehen. Ganz wichtig sei es natürlich, die vorhandene Technik viel stärker zu nutzen, sagt der Leiter des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Aber eine Atmosphäre wie auf einem Kindergeburtstag könne auch dazu beitragen.
Herr Prof. Schellnhuber, kann die Menschheit die Erderwärmung zumindest bei unter zwei Grad noch bremsen? Wir sind schon bei rund einem Grad.
Die Zwei-Grad-Grenze können wir halten mit einer Wahrscheinlichkeit von zwei Drittel oder drei Viertel, wenn wir alles nutzen, was wir technisch können. Und wenn wir statt jeden Tag Billigfleisch lieber einmal die Woche einen schönen Sonntagsbraten essen, denn die Massentierhaltung ist auch klimaschädlich. Es gibt bereits Fahrpläne aus der Wissenschaft: Man muss raus aus der Kohle, die Trends beim Ausbau der erneuerbaren Energien verstärken, und die ganz schwierigen Themen internationaler Transport und Landwirtschaft anpacken. Das kann man ohne mirakulöse Entwicklungen machen.
Was bedeutet das Ergebnis von Bonn für den Klimaschutz?
Allen ist klar, dass man das Ambitionsniveau erhöhen muss. Bonn hat erst mal geholfen, ein Regelwerk oder Maßstäbe zu entwickeln, damit wir sehen, was die versprochenen nationalen Beiträge zum Klimaschutz wirklich wert sind. Und das kann dann 2018 Grundlage sein für das unbedingt nötige große Nachbessern bei den Emissionsreduktionen.
Sehen sie auch die Aufbruchstimmung, von der in Bonn viele Teilnehmer redeten?
Es zeichnet sich eine Art Kulturwende ab. Das kann mit den verheerenden Hurrikans dieses Jahres zusammenhängen, oder auch mit US-Präsident Donald Trump. Viele merken, so geht es nicht weiter, jetzt muss sich etwas tun. Manches von den Aktionen am Rand der Verhandlungen hatte die Atmosphäre eines Kindergeburtstages, der ja auch schön ist. In Bonn hat sich außerhalb und innerhalb der Konferenzsäle ein Geist entwickelt, der weiter wirkt. Der alte technokratische Stil der Klimaverhandlungen stößt ins Leere. Manche Politiker werden sich unangenehm berührt fühlen, aber dieser Geist von Paris und Bonn ist aus der Flasche und wird sich nicht mehr einfangen und zurückstopfen lassen.
Meinen Sie, dass das auch außerhalb der Klimakonferenzen gilt?
Das Thema Klimaschutz bewegt die Menschen, es ist vom Rand ins Zentrum der Gesellschaft gerückt. Viele junge Menschen engagieren sich sehr. Bei der Bambi-Verleihung wird Arnold Schwarzenegger für sein Engagement im Klimaschutz geehrt und dieser nicht mehr so junge Kerl hält eine wirklich kraftvolle Rede dazu. Und auch in der Wirtschaft sprechen sich zum Beispiel deutsche Unternehmen von Weltrang für Klimapolitik aus – die Lifestyle-Marke Adidas, der Software-Riese SAP, der Technologiekonzern Siemens.
Aber was sagen Sie Kohle-Arbeitern, die ihren Job verlieren?
In Deutschland werden nach einer Studie der Industrie- und Handelskammern im Jahr 2018 rund 600.000 neue Jobs entstehen. 600.000! Die Braunkohle bietet derzeit etwa 20.000 Arbeitsplätze. Wer behauptet, die Arbeit in der Kohle hat Zukunft, belügt die Menschen. Man müsste einen vernünftigen Plan für einen sozialverträglichen Strukturwandel aufsetzen, älteren Arbeitern einen früheren Ruhestand ermöglichen, andere umschulen, neue Unternehmen ansiedeln. Der große Elefant im Raum der Arbeitswelt ist aber nicht der Klimaschutz, sondern die Digitalisierung. In der Lausitz sind die Braunkohle-Arbeitsplätze in den vergangenen Jahren nicht aus Klimaschutzgründen von grob 100.000 auf 10.000 gefallen, sondern wegen des technischen Fortschritts.
Wo muss beim Klimaschutz noch viel getan werden?
Die nächste Bundesregierung muss den Ausstieg aus der Kohle einleiten, wenn sie das Klima stabilisieren und Deutschland modernisieren will. Das ist unverzichtbar, und unser Land wird hier im Guten wie im Schlechten international genau beobachtet. Dabei ist der Kohleausstieg noch leicht im Vergleich zum Verkehr. Dass Deutschlands Automobilindustrie die Nummer eins in der Welt auch mit neuen und sauberen Antrieben bleibt, das ist viel schwieriger. Aber okay, dann übernehmen wahrscheinlich die Chinesen, auch wenn das für uns schade wäre. Die größte Herausforderung des Klimaschutzes aber ist das Tempo. Die Natur verhandelt nicht