Trotz erfolgloser Sondierung schienen die Grünen auf ihrem Parteitag gut gelaunt. Die Folgen der gescheiterten Regierungsbildung werden aber deutlicher.
hne echte Machtoption ist Politik ein undankbares Geschäft. Davon können die Grünen ein Lied singen. Zwölf lange Jahre mussten sie kämpfen, bis der Einzug ins Bundeskabinett wieder zum Greifen nah war. Dann knallte ausgerechnet die FDP die Tür zu. Trotzdem bekam das grüne Verhandlungsteam stehende Ovationen. Ein kleiner Trost auf dem Weg zurück auf die harte Oppositionsbank. Dabei hatte sich im Mai der Himmel über einem bis dahin für die Grünen eher trüben Wahlkampfhimmel aufgehellt.
„Jamaika" in Kiel brachte endlich den notwendigen Drive, sprich eine halbwegs realistische Machtoption auch für Berlin, in den grünen Wahlkampf. Zuvor mühte sich das Spitzenduo Göring-Eckardt/Özdemir verzweifelt, um endlich ein Thema aufzutun, das zieht, aber ohne auch nur annähernd einen „heißen Scheiß" zu finden, wie es Göring-Eckardt damals auf den Punkt brachte. Mit der Aussicht auf Kabinettsposten zur Umsetzung eigener Inhalte eröffnete sich eine Option, mit der noch unentschlossene Wähler aus dem Öko-Spektrum an die Urnen gelockt werden konnten.
Erst kuscheln, dann wieder kämpfen
Rot-Grün oder gar Rot-Rot-Grün (R2G) hatte beim bürgerlichen Wählerpotenzial der Grünen nicht den Hauch einer Chance, im Gegensatz zu Schwarz-Grün, was damals aber schon rechnerisch in unerreichbarer Ferne lag, oder eben „Jamaika". Auch wenn es keiner im Wahlkampf so offen aussprechen wollte, ging es in der heißen Phase letztlich um nichts anderes.
Acht Wochen nach der Bundestagswahl war dieser Traum geplatzt, obwohl sich die Grünen nach Kräften mühten und viele inhaltliche Kröten bis zum politischen Brechreiz schlucken wollten. Doch nach dem Scheitern präsentierte sich die Partei zunächst in einer Geschlossenheit wie nie zuvor, selbst Kritiker staunten über so viel Zusammenhalt. Der kleine Parteitag, auf dem eigentlich der Weg zu den Koalitionsverhandlungen frei gemacht werden sollte, wurde zur flächendeckenden Kuschelveranstaltung und zum kürzesten in der Parteigeschichte. Unter tosendem Applaus lästerte der politische Geschäftsführer Michael Kellner, „jeder ordentliche Elternabend in Prenzlauer Berg dauert länger als dieser Parteitag".
Dieses neue grüne Einheitsgefühl speiste sich offenbar allein aus der Tatsache, dass man der FDP den Schwarzen Peter des bösen Spielverderbers zuschieben konnte. Lindner, Kubicki und Co. wurden zur idealen Projektionsfläche für die ganze Enttäuschung über die vermasselten Sondierungen.
Inzwischen reift die Erkenntnis, dass es nicht nur eine vertane Chance auf eine Regierungsbeteiligung im Bund war. Den Grünen fehlt damit auf Jahre eine nachvollziehbare Machtoption. Zum Wahlkämpfen ist dies denkbar schlecht, wie die vergangenen Bundestagswahlkämpfe ja schon gezeigt haben. Denn nur mit Forderungen nach Abschalten, Abschaffen und Verbieten allein ist kein Blumentopf zu gewinnen, wenn der Wähler weiß, dass die Partei nach der Wahl ohnehin ziemlich machtlos in der Opposition landen wird.
Der neue grüne Liebling Robert Habeck aus Schleswig-Holstein bringt es im FORUM-Gespräch klar auf den Punkt: „Es sieht ja jetzt wieder nach Großer Koalition aus, das heißt, die nächsten vier Jahre sind wir wieder in der Opposition und können unsere Politik nicht durchbringen. Das tut schon sehr weh." Auch deshalb, weil Habeck selbst innerhalb der Grünen Opfer der versemmelten Regierungsbeteiligung ist.
Abgesprochen war, dass der Noch-Parteivorsitzende Cem Özdemir in ein Ministeramt wechselt und Robert Habeck Özdemir als Parteichef folgen sollte. Nun hat man sich zunächst darauf geeinigt, dass erst einmal alles so bleibt wie es ist. Für den Fall von Neuwahlen sollte das alte Spitzenteam erneut in die Arena.
Habeck kann eigentlich egal sein, ob er nun ein halbes Jahr früher oder später den Parteivorsitz übernimmt. Ihm geht es um die Perspektive: „Wir müssen ja wirklich befürchten, dass wir zwar in den Ländern Regierungsoptionen haben, aber auf die nächsten Jahre im Bund nicht wirklich was erreichen können, weil uns einfach die Mehrheiten fehlen." Da hilft es auch wenig, wenn nun gerade erst FDP-Sondierer Wolfgang Kubicki aus Schleswig-Holstein weitere Jamaika-Gespräche für den Fall in Aussicht gestellt hat, dass die GroKo-Verhandlungen scheitern sollten. Denn zum zweiten Mal sondieren, nachdem man bei ersten Mal gescheitert ist, gab es zuletzt in der Weimarer Republik und ist damit wenig realistisch. Ganz abgesehen davon, dass Kubicki gleich von den eigenen Leuten zurückgepfiffen wurde.
Während des Sondierungsmarathons hatten Katrin Göring-Eckardt, Cem Özdemir und Jürgen Trittin noch sicher mit einem Job als Minister gerechnet, das hat sich nun erledigt. Trittin kann es verschmerzen, schließlich war er schon in Amt und Würde im Minister-Dienstwagen mit Blaulicht unterwegs. Ihn freute es schon unbändig, dass er wie Kai aus der Kiste plötzlich wieder vorne bei den Grünen mitmischte, nachdem ihn Göring-Eckardt politisch schon abgeschrieben hatte. Für sie und Özdemir kommt das Jamaika-Aus einem beruflichen Fiasko gleich. Beiden ist klar, dass es das war mit Ministerposten, da kommt vermutlich nichts mehr.
Beide versuchen gute Miene zum verlorenen Spiel zu machen, was man ihnen auch deutlich anmerkt. So richtig Lust auf noch mal Opposition haben sie erkennbar nicht, erst recht nicht, weil sie ihr selbst gestecktes Ziel, auf dem dritten Platz im Ranking der Parteien zu landen, total verfehlt haben. Schlimmer noch: Sie sind auf dem letzten Platz gelandet.
Macht-Optionen sind übersichtlich geworden
Aber nicht nur in der Partei und der Bundestagsfraktion macht sich der Blues breit. Auch bei den deutschen Grünen-Abgeordneten im Europäischen Parlament ist das Signal der verlorenen Machtoptionen im Bund angekommen. Fraktionsvize im Europäischen Parlament, Ska Keller, stellt auch eine Enttäuschung ihrer Kolleginnen und Kollegen aus den anderen europäischen Staaten fest: „Jetzt haben wir endlich mal die Situation, dass auf europäischer Ebene ein paar Leute mit Schwung reingehen, Junker und Macron seien da nur genannt, und nun passiert hier gar nichts. Gerade wir Grünen in einer Bundesregierung hätten zu den EU-Überlegungen von Macron sehr gut gepasst. Doch nun geht es so weiter wie bisher, der Schwung ist wieder raus", so Ska Keller im FORUM-Interview. Doch für die Grünen-Politikerin ist es nicht nur traurig, dass ihre Partei in Deutschland vorerst jede Machtoption verloren hat. Vielmehr erschreckt sie, welchen Einfluss Deutschland mittlerweile auf die europäische Politik hat. „Es kann nicht sein, dass Deutschland derzeit nur eine geschäftsführende Regierung hat und sich dann auch auf europäischer Ebene gar nichts mehr bewegt." Was aber nur die halbe Wahrheit ist. In der Vergangenheit reichte selbst eine bevorstehende Landtagswahl aus, damit die Kanzlerin erklärte, zur Griechenlandrettung könne Deutschland gerade nichts beitragen, weil eine Wahl vor der Tür stehe. „Das kann es einfach sein", erbost sich Ska Keller.
Während sich die grünen Realpolitiker im Jamaika-Blues ergehen, gibt es einige bei den Grünen, denen die Freude ins Gesicht steht, wie etwa Urgestein Hans-Christian Ströbele. Noch auf dem Parteitag im Sommer rumorte der 78-Jährige ohne Parteifunktion hinter den Kulissen als Rumpelstilzchen umher, jetzt ist er mehr als ausgeglichen. Er freut sich ganz offen über das Scheitern von Jamaika. Für ihn wäre es ein absoluter Ausverkauf der grünen Inhalte weit über die Schmerzgrenze hinaus gewesen. Dass nun die Macht-Option im Bund auf längere Zeit fehlt, findet er nicht wirklich schlimm, was bei Ströbele nicht weiter verwundert. Aber der Staatsrechtler setzt noch einen drauf, sagt, er würde sich auf eine Minderheitenregierung Merkel freuen. „Ganz einfach: Wir würden endlich wieder hinkommen zu einer Demokratie, wo im Vorfeld nicht immer klar ist, ob bestimmte Ideen, die im Kanzleramt ausgesponnen werden, dann auch umgesetzt werden können. Die Kanzlerin müsste wieder demokratisch um Mehrheiten für ihre Politik kämpfen", erläutert Ströbele im FORUM-Gespräch die Vorteile einer Minderheitenregierung.
So wie es derzeit aussieht, wird es wohl auch keine Minderheitsregierung geben, sondern wohl eher wieder eine Große Koalition. Damit geht es, ganz entgegen den grünen Träumen vom Spätsommer, weiter im alten Trott gegen eine Regierung Merkel 4.0.