In „Wunder" spielen Julia Roberts und Owen Wilson die Eltern eines zehnjährigen Jungen, dessen Gesicht durch einen Gendefekt entstellt ist. Ein emotionsgeladener wie kurzweiliger Film.
Wann immer Geschichten um körperbehinderte oder entstellte Menschen ins Kino kommen, stellen sie ein Wagnis dar – vor allem, wenn es um Kinder geht. Die Grenze zum Kitsch kann da schnell überschritten werden. Nun kommt mit „Wunder" ein Film, der sich wieder der Gefahr stellt, im tränenreichen Leid unterzugehen: Auggie Pullman (Jacob Tremblay) ist ein kluger Junge, der gern am Computer daddelt, Eiscreme mag und Fan von „Star Wars" ist. Allerdings: Auggie ist mit einem böse entstellten Gesicht auf die Welt gekommen, zahlreiche Operationen haben schlimmste Fehlbildungen korrigiert. Seine schräg stehenden Augen sehen aus, als würden sie weinen; seine Ohren sind hängende Hautknollen und zahlreiche Narben lassen Wangen und Stirn aussehen, als gehören sie einem Greis. Auggies Ausweg: Er verbirgt sein Aussehen gern unter einem riesigen Astronautenhelm.
Julia Roberts und Owen Wilson bilden ein gutes Team als die äußerst sensiblen, liebevollen Eltern, die gelegentlich um die Frage streiten, was denn nun das Beste für ihren Sohn sei. Mutter Isabel (Julia Roberts) hat ihre Karriere zurückgestellt und unterrichtet Auggie zu Hause. Das klappt gut, weil er ein gescheiter Junge ist. Vater Nate (Owen Wilson) ist ein Kumpeltyp mit gutem Gehalt, Auggies ältere Schwester Via (Izabela Vidovic) liebt ihren Bruder über alles. Die eingespielte Situation ändert sich, als die Eltern beschließen, ihren Sohn nicht länger vor den Blicken der Gesellschaft schützen zu wollen und Auggie auf eine öffentliche Schule schicken – und zwar ohne Astronautenhelm.
Dass der Junge es schwer haben wird, ist da abzusehen. Auggie erlebt in kurzer Zeit die ganze Bandbreite kindlichen Mobbings. Er kriegt fiese Spitznamen, wird von anderen Schülern gemieden und steht wegen seiner guten Kenntnisse in der Wissenschaft außerdem als Streber dar – Zustände, die auch an Vater, Mutter und Schwester nicht vorbeigehen, so dass „Wunder" in einigen Szenen zum Weinen traurig ist. Dass der Film die Zuschauer auf ihrer emotionalen Ebene stark berührt, liegt sicher an Auggie, aus dessen Perspektive der Regisseur Stephen Chbosky die Geschichte aufbaut. Dieser Blickwinkel gibt „Wunder" einen kindlichen-naiven Charme, dem sich kaum jemand entziehen können wird. Manche fast übertrieben rührselige Szene wird schnell mit Humor und Witz aufgelöst, so dass „Wunder" stets die Waage hält zwischen Drama und Komödie.
Ein Perspektivwechsel verschafft unterschiedliche Einblicke
Ein geschickter Kniff ist, Auggies Sichtweise zuweilen zu verlassen. Kurze Kapitel zeigen, warum die Menschen in Auggies Umfeld sind, wie sie sind: Wie kann Auggies Schwester so gelassen ertragen, dass sie in ihrer Familie alles um den kleinen Bruder dreht? Warum wird sie so plötzlich von ihrer besten Freundin gemieden? Warum lästert Auggies einziger Schulfreund im Schutz seiner Halloween-Maskierung kräftig über seinen Kumpel? Solche Exkurse zeigen, dass jeder Mensch aus vielen Seiten besteht und es für jedes Handeln einen Grund gibt –
seien die Taten auf den ersten Blick auch noch so unverständlich. Und so ist „Wunder" trotz des schwierigen Themas ein Wohlfühlfilm mit viel Herz.
Das liegt zu weiten Teilen an Jacob Tremblay. Der junge Schauspieler verkörpert Auggie mit viel Charme. Sein Aussehen ist höchstens einige Sekunden etwas
gewöhnungsbedürftig. Hinter den Narben und den anatomischen Verformungen schimmern elfenhaft-schöne Züge, die schräg stehenden Augen zeigen eine tiefe Traurigkeit über die Boshaftigkeit der Welt.
Auch das Schauspiel-Team um Auggie herum ist erfreulich. Izabela Vedovic spielt die Schwester. Sie steht ihrem Bruder in jeder Situation zur Seite, obwohl sie als Teenager ihre eigenen Sorgen hat. Die Rolle der Großmutter hat Schauspiel-Legende Sônia Braga, die in einer Rückblende das Selbstbewusstsein ihrer Enkelin stärkt. Owen Wilson überzeugt als Vater, der seinen Sohn vor den Blicken der Gesellschaft schützen möchte, sich aber dem Willen seiner Frau beugt. Denn sie leidet mehr als alle anderen mit ihrem Sohn, erkennt jedoch, dass es Zeit ist, ihn in die Welt zu entlassen. Im letzten Drittel des Filmes kann Julia Roberts endlich ihr weltberühmtes Lachen lachen – ein Zeichen, dass es auf schnellsten Weg zum Happy End zugeht und Auggie seinen Astronautenhelm nicht mehr braucht.