Der Hamburger SV taumelt mal wieder am Abgrund. Diesmal könnte es den Bundesliga-Dino wirklich erwischen. Für viele wäre es ein verdienter Abstieg.
Uns Uwe leidet: „Uwe Seeler macht sich Sorgen um den HSV." Wie oft hat man diese Schlagzeile in den letzten Jahren gelesen? Was soll das HSV-Idol auch anderes erzählen, als dass ihm das Herz blutet, dass sein geliebter Club unaufhaltsam Richtung Zweite Liga taumelt. Und das geht nun schon seit Jahren so. Dass sich der HSV bislang dann doch immer noch in letzter Sekunde retten konnte, macht es für den 81-Jährigen nicht unbedingt einfacher: „Es nimmt mich sehr mit, dass der HSV nichts auf die Beine gestellt bekommt."
Die bekommen es nicht gebacken in Hamburg – so denken viele neutrale Fußballfans und wünschen daher dem Bundesliga den ersten Abstieg der Vereinsgeschichte, Tradition hin oder her. Alle seien „heiß darauf, unsere Uhr abzuschalten", weiß HSV-Profi Dennis Diekmeier.
Die legendäre Stadionuhr zeigt die Verweildauer des letzten Gründungsmitgliedes der Bundesliga an, auf sie sind sie besonders stolz im hohen Norden. Doch wie lange noch? „Hamburg eiert seit fünf Jahren im Tabellenkeller rum, sie müssen sich aufs Fußballspielen konzentrieren", sagt Ex-Nationalspieler Dietmar Hamann, „ansonsten läuft die Uhr beim HSV im Mai ab."
14., 10., 16., 16. – das sind die Endplatzierungen der vergangenen vier Spielzeiten, inklusive zweier nervenaufreibender Relegations-Duelle. In dieser Saison wären die Verantwortlichen wahrscheinlich froh, wenn sie überhaupt noch die Chance auf zwei Ausscheidungsspiele gegen den Tabellendritten der Zweiten Liga bekämen. Nach dem Trainerwechsel von Konzeptcoach Markus Gisdol zum hemdsärmeligen Bernd Hollerbach kann man der Mannschaft zwar kämpferisch nur wenig vorwerfen, spielerisch blieb sie in den ersten Rückrundenspielen jedoch wieder so gut wie alles schuldig. Die mangelhafte Torausbeute ist ein Armutszeugnis – und ein Beweis für eine kapitale Fehlplanung im Kader.
Seit Jahren konstant erfolglos
Mit einem Spielergehaltsetat von rund 50 Millionen Euro befindet sich der Club im guten Tabellenmittelfeld der Bundesliga, doch die Leistungen sind oft zweitligareif. Großverdiener wie Lewis Holtby, Filip Kostic oder Bobby Wood zahlen auf dem Rasen nicht ausreichend mit Leistungen zurück, dazu reiht sich ein Transferflop an den nächsten. Fast scheint es, als würde der Club bei jedem talentierten Spieler, der halbwegs finanzierbar ist, zuschlagen, ohne auf das Gesamtgebilde zu schauen. „Du holst Spieler, die entwickeln sich nicht weiter, bleiben stehen, manche wollen weg", kritisierte der ehemalige HSV-Profi Stefan Schnoor bei Sport1: „Im Endeffekt ändert sich nichts."
Sportdirektor Jens Todt und Sportvorstand Heribert Bruchhagen dafür die alleinige Schuld zu geben, wäre zu kurz gegriffen. Sie müssen auch mit zahlreichen Altlasten leben. Die Entscheidung zur Ausgliederung der Fußball-AG vor drei Jahren brachte auch kaum neue Investoren, die Abhängigkeit von Mäzen Klaus-Michael Kühne ist nach wie vor frappierend. Hinzu kommt die hohe Erwartungshaltung in Hamburg. Dieses schwierige Umfeld lässt eine seriöse und durchdachte Kaderplanung kaum zu.
Der Schuldenberg ist durch das enorme Minus im vergangenen Geschäftsjahr auf über 100 Millionen Euro angewachsen, deshalb ließen die Verantwortlichen trotz der bedrohlichen Lage die Finger von Wintereinkäufen. Die Abstiegskonkurrenten Werder Bremen (10 Millionen Euro für Milot Rashica und Sebastian Langkamp) und VfL Wolfsburg (10 Millionen für Admir Mehmedi und Renato Steffen) rüsteten dagegen kräftig auf. „Das Niveau, das wir brauchen und bezahlen können, ist nicht auf dem Markt", sagt Bruchhagen. Trainer Hollerbach hätte gern noch den einen oder anderen Spieler geholt, aber „der Finanz-Vorstand hat mir gesagt, dass finanziell nichts mehr geht. Damit musste ich leben."
Vor einem Jahr hatte Investor Kühne noch die Geldschatulle geöffnet, sodass die Innenverteidiger Mergim Mavraj, Kyriakos Papadopoulos und der brasilianische Olympiasieger Walace die Mannschaft in der Rückrunde verstärkten. Die Abhängigkeit von Kühne ist jedoch eines der Hauptprobleme beim HSV, wohl auch deshalb wurde der Unternehmer in der abgelaufenen Transferperiode nicht noch mal um Geld gebeten. Der äußerte sich – natürlich in der Öffentlichkeit – irritiert darüber. Er habe sich „Verstärkung für das Team gewünscht und mehrfach an den Aufsichtsrat und Vorstand appelliert zu handeln."
Investor ist Fluch und Segen zugleich
Am 6. Februar trafen sich Kühne, der Vorstand, das Präsidium, der Aufsichtsrat und die Anteilseigner zur Hauptversammlung. Es wurde ein neuer Aufsichtsrat gewählt, was beim HSV immer ein Politikum ist. Und auch diesmal war die Wahl nicht frei von Spannungen, denn im Vorfeld war öffentlich geworden, dass Aufsichtsratsmitglied Felix Goedhart versucht hatte, die Ablösung von Bruchhagen und Todt zu initiieren. Und im Hintergrund agiert Ex-Vorstandschef Bernd Hoffmann, der am 18. Februar zur Präsidiumswahl antritt und in Grabenkämpfe verwickelt ist. Typisch HSV.
Im Mittelpunkt der Machtkämpfe steht meistens Kühne. Der Milliardär, der 20,57 Prozent der HSV-Anteile hält, ist Fluch und Segen zugleich für den Club. Ohne dessen Finanzspritzen wäre der zweimalige Europacupsieger finanziell vielleicht schon erledigt. Auf der anderen Seite ist Kühne kein Gönner, der sich angenehm im Hintergrund hält. Der 80-Jährige hat mit fehlendem Feingefühl schon so manches Porzellan zerschlagen. „Der HSV ist ein Phänomen, weil die Luschen immer hier hängen bleiben", hat Kühne einmal gepoltert. Namentlich nannte er Stürmer Pierre-Michel Lasogga: „Musste der nach einer halben guten Saison mit einem Fünfjahresvertrag und einem Jahresgehalt von über drei Millionen Euro ausgestattet werden? Das war Harakiri, der Flop des Jahrhunderts."
Die Frage ist sicher berechtigt, doch Kühne sollte mit dieser Art der Kritik sparsam umgehen. Denn in Bobby Wood droht ein neuer Fall „Lasogga" – und den hat der Mäzen selbst zu verantworten. Kühne hatte die sportliche Leitung unter Druck gesetzt und gesagt, er werde Sommer-Neuzugang André Hahn nur dann finanzieren, „wenn ihr Wood haltet." Pikant daran ist, dass beide Spieler von der Agentur „Sportstotal" betreut werden, der Chef heißt Volker Struth und war einst offizieller Kühne-Berater. Dumm nur, dass Wood nach seiner Vertragsverlängerung mit einer saftigen Gehaltserhöhung nicht mehr an die guten Vorstellungen seiner ersten Monate in Hamburg anknüpfen kann. Wie so viele beim HSV. Dass die Unruhe im Verein nicht spurlos am kickenden Personal vorbeigeht, dürfte klar sein.
„Es ist unglaublich, wie viele verschiedene Trainer, Manager und Präsidenten ich hier hatte. Und es gibt kaum noch Spieler wie mich, die so lange in einem Verein sind", sagte Rechtsverteidiger Diekmeier, der die Hamburger Chaosjahre alle miterlebt hat. Und dennoch hat er die Hoffnung auf Besserung nicht aufgegeben: „Ich mag den Verein, ich lasse die Kritik nicht an mich heran und ich bin optimistisch, dass es besser wird."
Was wird aus Jann-Fiete Arp?
Der Hoffnungsträger heißt jetzt Bernd Hollerbach. Der gelernte Metzger war einst als Spieler der Mann fürs Grobe beim HSV, und auch als Trainer setzt Hollerbach mehr auf Kampf als auf Kunststücke. Genau deshalb ist er der richtige Trainer zur richtigen Zeit, glaubt zumindest sein ehemaliger Chef Felix Magath: „Die Mannschaft darf damit rechnen, dass sie besser trainiert und geführt wird. Ich gehe davon aus, dass der HSV mit dem Abstiegskampf nichts mehr zu tun haben wird."
Mit dieser Meinung steht Magath aber ziemlich alleine da. Ein Abstieg hätte fatale Folgen für den hochverschuldeten HSV, denn in der Zweiten Liga kann kein Club Verbindlichkeiten abbauen. Im Gegenteil: Im Falle eines Abstiegs wären die Hamburger noch abhängiger von Investor Kühne, der als Gegenleistung für seine Hilfe sicher noch mehr Mitspracherecht einfordern würde. Ein Teufelskreis.
„Es ist halt so, dass es in der Bundesliga ab und zu unruhig wird, vor allem wenn die sportliche Situation nicht so gut ist", sagt Hollerbach. Er wolle sich nur auf seinen Job konzentrieren, „denn das ist das Einzige, was ich beeinflussen kann."
Dazu zählt sicher auch, positiv auf Sturmjuwel Jann-Fiete Arp einzureden. Der 18-Jährige ist einer der wenigen Lichtblicke dieser Saison, mit seiner unbekümmerten und torgefährlichen Spielweise hat er sich schon jetzt ins Herz der Fans gespielt. In Hamburg wird Arp in Anlehnung an Uwe Seeler schon „Uns Fiete" genannt. Eine vorzeitige Vertragsverlängerung mit dem Junioren-Nationalspieler wäre ein Coup für den HSV, der im harten Abstiegskampf für einen Stimmungsumschwung sorgen könnte. „Sein Herz hängt am HSV", verriet Vater Falko Arp kürzlich, er sagte aber auch: „Alle attestieren Fiete eine große Zukunft. Es sind große Clubs hinter ihm her. Kaum einer will ihn nicht haben."
Ein großer Club ist der Hamburger SV schon lange nicht mehr. Die nationalen und internationalen Erfolge des sechsmaligen Deutschen Meisters liegen so lange zurück, dass sie die jungen Fans in der Fankurve nur vom Hörensagen kennen. Aktuell ist der HSV eher das Synonym für einen Chaos-Club, der stets am Abgrund wandelt. Diesmal könnte es ihn aber tatsächlich erwischen.