Nach dem Vorbild von Michael Reschke sorgt Jonas Boldt bei Bayer Leverkusen als Manager für Furore. Und der 36-Jährige wird auf Sicht sogar Nachfolger von Sportchef Rudi Völler.
Fast 35 Jahre lang gab es bei Bayer Leverkusen einen Mann im Hintergrund. Sein Name, Michael Reschke, war sicher nicht jedem Fußball-Fan in Deutschland ein Begriff. Und sein Gesicht wahrscheinlich nicht einmal jedem Bayer-Fan geläufig. Denn Reschke drängte es nie in die erste Reihe. Ab 1979 als 22-Jähriger war der wie Reiner Calmund aus Frechen bei Köln stammende Reschke als A- und B-Jugend-Trainer bei Bayer tätig. Danach wurde er Nachwuchsleiter, Chefscout und Kaderplaner. Unter Manager Calmund (1976 bis 2004), Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser (1998 bis 2013), Sportchef Rudi Völler (1996 bis 2000 und 2005 bis heute) und dem kurzzeitigen Manager Ilja Kaenzig (2002 bis 2004) arbeitete er ruhig, zuverlässig und gut in der zweiten, dritten oder vierten Reihe.
Und auch als er 2004 als Nachfolger von Calmund offiziell Manager wurde, mied er das Rampenlicht. Und war in der Zeit unter anderem maßgeblich an Transfers von späteren Aushängeschildern wie Bernd Leno, Simon Rolfes oder Stefan Kießling beteiligt. 2014 folgte Reschke dem Ruf des FC Bayern, übernahm dort den neu geschaffenen Posten des Technischen Direktors und galt als verantwortlich für gelungene Transfers wie von Joshua Kimmich, Mats Hummels oder Arturo Vidal, sowie für weniger gelungene wie von Mehdi Benatia, Douglas Costa oder Renato Sanches. Als er seine Position beim FC Bayern offenbar geschwächt sah und gleichzeitig der VfB Stuttgart rief, gab Reschke nach und wurde bei den Schwaben Sportvorstand. Also der Mann für die erste Reihe. Nicht nur der Mann, der die Transfers und sonstigen Personalentscheidungen vorbereitet, einleitet oder vollzieht, sondern auch der, der sie offiziell erklärt und begründet. Und spätestens bei der Entlassung des beliebten Trainers Hannes Wolf und der Verpflichtung des kritisch beäugten Tayfun Korkut merkte man: Es ist nicht dasselbe, Reschke tat sich auf dem diplomatischen Terrain unter Begutachtung der Öffentlichkeit durchaus schwer.
In Leverkusen folgte ihm derweil ein junger Mann, den vorher ebenfalls kaum jemand abseits dieses Geschäfts kannte und der sich in der zweiten Reihe hinter Völler sichtlich wohlfühlt: Jonas Boldt. Ein 1982 geborener BWL-Student, in Nürnberg geborener und in Heidelberg aufgewachsener Sohn eines Lufthansa-Managers, der als Spieler nicht über die Oberliga hinauskam. 2007 begann er als Scout bei Bayer und stieg 2009 zum Chefscout und Assistenten von Völler auf.
Reschke und Boldt arbeiteten während eines Praktikums von letzterem bei Bayer zusammen. Reschke erkannte ein großes Talent in dem jungen Mann und riet ihm vor dessen Auslandsaufenthalt in Buenos Aires 2007, sich der damals aufstrebenden TSG Hoffenheim anzudienen. „Er sagte mir: ,Jonas du kannst was, aber mit der Festanstellung, das wird schwer hier, denn hier wird gerade nicht eingestellt‘", erzählte Boldt später dem Kölner Stadt-Anzeiger. „Du kommst doch aus Heidelberg und die haben einen guten Plan und einen reichen Mäzen. Das wäre eine super Adresse." Doch dann entdeckte Boldt in Südamerika Arturo Vidal, lotste ihn nach Leverkusen, bekam eine Festanstellung und versicherte: „Ich wollte nie etwas anderes. Denn das hier ist mein Club." Der Bezug zum Verein kam nach eigener Auskunft über den Vater, der Vielflieger Calmund regelmäßig bei der Auswahl guter Flugverbindungen half.
„Ich werde das nicht mehr ewig machen"
In Leverkusen machte sich Boldt sehr schnell sehr gut. Das sei „auch der Grund, warum wir den Wechsel von Michael Reschke zum FC Bayern relativ gelassen sehen konnten", erklärte Völler. Und so wurde Boldt mit 32 Jahren zum jüngsten Manager der Liga und war seitdem an vielen interessanten Transfers beteiligt. Unter anderem holte er den mexikanischen Weltstar Chicharito für verhältnismäßig bescheidene 12 Millionen Euro von Manchester United. Er schaffte es, für 10-Millionen-Mann Heung-Min Son 30 Millionen zu erlösen und sogar den in Leverkusen gescheiterten Josip Drmic mit mehr als drei Millionen Gewinn nach Mönchengladbach zu verkaufen.
Wie Reschke ist Boldt keiner, der ins Rampenlicht drängt. Der es aber auch nicht scheut. Und der sich vor Kameras und Mikrofonen sicher bewegt. Reschke, so sagt es Boldt selbst, sei sein „größter Förderer und Ziehvater". Der größte Unterschied zwischen beiden sei, „dass Michael eher der Bauchmensch ist und ich der Kopfmensch." Einer, der seinen Job so gut macht, dass er immer mal wieder bei anderen Vereinen im Gespräch war. Die ihn teilweise schon mit einem Posten in der ersten Reihe ködern wollten. Der Hamburger SV zum Beispiel, der 1. FC Köln oder Mainz 05. Doch Boldt ließ sie alle abblitzen.
Er will zwar nicht so lange warten wie Reschke, um an vorderster Front zu arbeiten. Doch genau diese Perspektive hat er in Leverkusen. Trainer Heiko Herrlich holte ihn ab dem 4. Spieltag dieser Saison zu sich auf die Bank, weil er den Kontakt zu Boldt und dessen Draht zur Mannschaft sehr schätzt. Und Rudi Völler lässt überhaupt keinen Zweifel daran, dass Bayer nach seinem Ausscheiden keinen namhaften Sportchef von irgendwoher holen wird, sondern das Talent aus dem eigenen Stall befördert. „Natürlich wird er das", antwortete der 57-Jährige auf die Frage, ob Boldt sein Nachfolger werde. „Ich gehe ja auch schon auf die 60 zu und werde das nicht mehr ewig machen. Und Jonas kann das."
In seinen Interviews spricht der fast zwei Meter große Boldt durchaus Klartext. Zuletzt betonte er, man habe Shootingstar Leon Bailey vor dessen Wechsel aus Genk klar signalisiert: Wenn er seinen Transfer erstreiken wolle, sei er keiner für Bayer. Eine Aussage, die in Zeiten der fast schon erpressten Wechsel wie von Pierre-Emerick Aubameyang markant ist. An denen Bayer sich messen lassen muss. Und die durchaus als Erkenntnis gedeutet werden kann. Denn auch Calhanoglus Wechsel nach Leverkusen war von seltsamem Verhalten des Spielers überschattet – und in Leverkusen erwies sich der hochveranlagte Mittelfeldspieler prompt
als schwierig.
Aktuell hat Boldt bei Bayer noch einen Vertrag bis 2019. Dass dieser noch nicht verlängert wurde, liegt wohl weniger an der grundsätzlichen Übereinkunft über eine weitere Zusammenarbeit als eher an der Frage, in welcher Position Boldt künftig bei Bayer tätig sein wird. Dann bald, irgendwann in naher Zukunft, kann er beweisen, dass er es auch in der ersten Reihe kann. Die allermeisten trauen es ihm zu.