Es ist ein Alptraum für Eltern, wenn ihr Baby tot zur Welt kommt oder nach der Geburt stirbt. Eine besondere Art, Abschied zu nehmen, bietet in solchen Fällen die Organisation „Dein Sternenkind". Sie vermittelt betroffenen Eltern professionelle Fotografen, die die kurze gemeinsame Zeit festhalten. Silke Brenner hat dieses Ehrenamt im Saarland übernommen und schafft damit Erinnerung und Trost.
Auf ihrem Handy hat Silke Brenner die AlarmApp installiert. Es wäre ihr lieb, wenn der schrille Ton nicht losgehen würde. Aber wenn er es doch tut, dann ist Silke Brenner da. Es gibt Tage, da bleibt das Handy stumm, an anderen Tagen gibt es viel zu viele Anfragen. Die App auf dem Telefon wird von der Organisation „Dein Sternenkind" koordiniert und umfasst ein wachsendes Netzwerk von Fotografinnen und Fotografen, die in Deutschland, Österreich und der Schweiz dann zur Stelle sind, wenn Eltern das passiert, wofür es eigentlich keine Worte gibt – wenn sie ihr Kind verlieren, entweder bei der Geburt oder wenn schon vorher klar ist, dass das Kind nicht überleben kann. Fotografen von „Dein Sternenkind", die wie Silke Brenner alle ehrenamtlich arbeiten, besuchen die Eltern im Krankenhaus und schenken ihnen so die Möglichkeit, die kurze gemeinsame Zeit mit ihrem Kind fotografisch festzuhalten. „Es ist quasi das erste und auch das letzte Foto", sagt Silke Brenner, die hauptberuflich eigentlich Fotografin für Familienfotografie, Schwangere, Neugeborene und Hochzeitsreportagen ist.
Das Thema erfährt eine neue Wahrnehmung
Medizinisch spricht man in diesen Fällen von einer Totgeburt, Fehlgeburt oder einem nicht überlebensfähigen Kind. Lange war der Tod eines Babys ein gesellschaftliches Tabu. Eine Sache, über die man nicht lange redete. Fotos vom toten Kind zu machen, undenkbar. Seit einiger Zeit erfährt das Thema aber eine veränderte Wahrnehmung, nicht zuletzt durch die Initiative vieler Betroffener. Dadurch hat sich nicht nur die Sensibilität geändert, sondern auch die Sprache. So ist ein Wort für diese Babys entstanden, das nichts mit Medizin, Behördendeutsch oder mit Scham zu tun hat. Der Begriff „Sternenkind" ist fast schon poetisch schön, und gibt damit Eltern und ihrem Kind etwas von der Würde und auch Identität zurück, die im Krankenhausalltag oft verlorengehen. Die Wortschöpfung zeigt die Tendenz, die auch Silke Brenner mit ihrer Arbeit unterstützt. Sie will Eltern und ihrem Kind die Chance geben, eine ganz normale Familie zu sein. Wenn auch nur für eine kurze Zeit, aber das macht es nicht weniger bedeutsam. Silke Brenner sagt: „Die Eltern sind ja trotzdem Eltern, auch wenn sie ohne Kind heimgehen." Wenn ihr Alarm losgeht, weiß sie nie genau, was auf sie zukommt. Sie und die anderen Fotografen, die für die entsprechende Region angemeldet sind, erfahren erst nur, in welchem Krankenhaus in der Nähe sie erwartet werden. Je nach Verfügbarkeit können sie dann zusagen oder absagen. Melden sich mehrere Fotografen, können diese sich untereinander in einem Forum kurz absprechen. Das funktioniert schnell und unkompliziert. Im Schnitt dauert es sieben Minuten, bis jemand gefunden ist. Meistens wird auf diesem Weg ein Hauptfotograf bestimmt, die anderen bleiben als Backup in Bereitschaft, falls doch etwas dazwischenkommen sollte.
Gespür für Menschen und Momente
Jede Geschichte ist eine andere, keine Familie ist gleich und jeder geht anders mit Tod und Trauer um. Als professionelle Fotografin ist Silke Brenner technisch routiniert, und sie nimmt sich bei jedem ihrer Shootings die Zeit, die eben gebraucht wird. Wenn sie ein Sternenkind fotografieren soll, ist das aus einer professionellen Perspektive eigentlich nichts anderes. Sie fährt dann ins Krankenhaus, wo die Eltern bereits warten. Silke Brenner zeigt auf ihrem Handy Bilder von Eltern und „ihren Sternchen", die sie aufgenommen hat. Nicht unbedingt sieht man den Fotos das Schicksal dahinter an. Man sieht die schwarzweißen Fotografien, die friedliche Babys zeigen, kleine Füßchen, kleine Hände, Väter und Mütter. Es sind ästhetische Aufnahmen und Silke Brenner erzählt, dass viele oft eine falsche Vorstellung von Horrorszenarien oder Entstellungen der Kinder haben. „Das sind ganz süße Babys", sagt sie und sie betont, dass es den Eltern hilft, die Kinder tatsächlich so sehen zu können. Sie erzählt auch vom Stolz der Eltern, dass gelacht und dass geweint wird. Sie erzählt, wie Eltern, Großeltern und Geschwister gemeinsam Abschied nehmen und wie sie als Fotografin diese Momente ganz ohne Wertung festhält, immer mit dem nötigen Abstand und Respekt. Das erste und gleichzeitig letzte Foto. Was sich so endgültig anhört, ist eben auch Trost, Erinnerung und für die meisten auch ein Schritt auf dem Weg des Heilungsprozesses. „Was man da den Eltern mitgeben kann, ist richtig wertvoll", sagt sie. Leider, das erwähnt sie auch, informieren viele Krankenhäuser oder Ärzte die Eltern gar nicht erst über die Möglichkeit, die „Dein Sternenkind" bietet.
Wenn man Silke Brenner mit einem Wort beschreiben sollte, dann hieße es wohl Herzlichkeit. Dass sie ehrenamtlich für Sternenkinder fotografiert, ist nur ein Aspekt ihres Wirkens, in dem sich ihre offene Art zeigt. Dabei, das merkt man, kommt die 38-Jährige ihrem Gegenüber stets nur so nah, wie es eben passt. Wenn sie von ihrer Arbeit erzählt, wird klar, dass sie ein Gespür für Menschen und auch für Momente hat. Dieses Feingefühl kommt nicht von ungefähr. Zumindest führt Silke Brenner es selbst darauf zurück, dass sie, bevor sie sich hauptberuflich der Fotografie gewidmet hat, einen anderen Beruf hatte, der ebenfalls eine Menge Einfühlungsvermögen braucht. Sie war nämlich Kinderkrankenschwester. In dieser Zeit hat sie vieles gelernt, vor allem, dass hinter jedem Menschen ein eigenes Schicksal steckt. „Es gibt so viele unterschiedliche Menschen, und man muss mit jedem auskommen", sagt sie. Dass Silke Brenner heute aber nicht mehr Krankenschwester, sondern Fotografin ist, hat mit einer Phase ihres Lebens zu tun, in der sie das Krankenhaus plötzlich aus einer anderen Perspektive sehen musste. Nämlich als Mutter, die um ihr Kind bangt.
Ihr eigener Sohn erkrankte als Baby schwer
Ihr Sohn erkrankt als Baby schwer, der Ausgang ist ungewiss, und die Familie verbringt sechs Monate in der Uniklinik in Ulm. Sie erinnert sich: „Wir wussten nicht, wie es ausgeht, und ich hatte das Bedürfnis, jeden Moment festzuhalten." Also nutzt sie die Zeit, um mit der Kamera so viel wie möglich zu dokumentieren. Heute ist ihr Sohn „groß und fit", wie sie sagt. Aus der Zeit im Krankenhaus sind ihr aber nicht nur die Fotos geblieben, sondern auch ihre Faszination für das Fotografieren selbst und mit Sicherheit auch die Empathie für jene Eltern, die sich letztendlich von ihrem Kind verabschieden mussten. Bis sie die Fotografie allerdings zum Beruf macht, vergeht einige Zeit. „Als wir aus dem Krankenhaus kamen, haben mein Mann und ich erst mal geheiratet. Das hat nämlich noch gefehlt", erzählt sie lachend. Für ihre Hochzeitsfeier, die Trauung und Taufe in einem ist, und die sie deshalb „Traufe" nennt, engagiert sie eine Fotografin. Dabei bemerkt sie wieder, dass genau das ihr auch gefallen würde. Da sie sich den beruflichen Weg zurück ins Krankenhaus nicht vorstellen kann, reift in ihr immer mehr eine Idee, aber sie zögert noch. Letztendlich gibt ihr Mann den entscheidenden Impuls: „Eigentlich war es mein Mann, der gesagt hat, mach doch einfach irgendwas, was dir Spaß macht." Erst eignet sie sich die handwerklichen Grundlagen mit einem eigenen Lernplan an, tauscht sich mit anderen Fotografen aus, übt Techniken, legt sich das nötige Equipment zu und absolviert schlussendlich ein Fernstudium für Fotodesign. Dann traut sie sich schließlich, erste Shootings anzubieten und wagt am Ende im Jahr 2011 den Schritt in die Selbstständigkeit mit all den Zweifeln, die dazugehören. Aber auch mit all der Begeisterung. Und die Resonanz gibt ihr Recht. Silke Brenner ist eine gefragte Fotografin geworden, die mittlerweile mit ihrer Hochzeitfotografin von damals ein eigenes Atelier in Saarbrücken führt. Von ihrer Zeit als Kinderkrankenschwester hat sie sich aber auch heute nicht ganz verabschiedet. Zeitweise arbeitet sie noch als Dozentin an einer privaten Fachschule, und auch in ihren Beruf als Fotografin lässt sie ihr Wissen einfließen. So hat sie jungen Eltern, die eigentlich nur zum Fotoshooting zu ihr kommen, schon mehr als einmal bei kleineren medizinischen Fragen und Unklarheiten weiterhelfen können. Das verbindet und gibt ihr einfach das gewisse Extra. Silke Brenners Menschenverstand, ihre Herzlichkeit und Authentizität kommen eben an.