Flacherdler behaupten, dass die Erde eine Scheibe ist. Die Zahl derer, die an diese glauben, steigt stetig – sie lassen sich auch mit wissenschaftlichen Argumenten nicht vom Gegenteil überzeugen.
Es sollte der endgültige Beweis werden, dass die Erde eine Scheibe ist. Mit einer aus Altteilen selbst zusammengebauten Rakete, angetrieben mit Wasserdampf und mit einem Campingbus als Startrampe, schoss sich der Amerikaner Mike Hughes vergangenen Samstag über der Mojavewüste in Kalifornien in die Luft. Seine Mission: die Wahrheit herauszufinden. Die Fotos, die er in knapp 600 Metern Höhe machen wollte, hätten seiner Ansicht nach ein für alle Mal bewiesen, dass die Theorie von einer kugelförmigen Erde nicht länger zu halten ist. Leider musste er in 570 Metern Höhe die Reißleine ziehen – und segelte an zwei Fallschirmen wieder gen Erde hinab. Hughes ist eigentlich Taxifahrer, doch er bastelte in seiner Garage schon seit Jahren an einer eigenen Rakete. „Ich kenne mich in der Aerodynamik aus, weiß, wie der Antrieb funktioniert und wie Dinge in der Luft fliegen“, so der Amerikaner, der sich die notwendigen Kenntnisse selbst beigebracht hatte. Im vergangenen November wollte er mit seiner Rakete erstmals in die Luft gehen, doch das Vorhaben scheiterte an technischen Problemen und fehlenden Genehmigungen seitens der Behörden. Was hier auf den ersten Blick anmutet wie das Projekt eines Spinners, ist in Wirklichkeit Ausdruck einer wachsenden Parallelgesellschaft. Die Zahl derer, die an die Theorie einer flachen Erde glauben, steigt stetig – einige Youtube-Videos zum Thema haben über 500.000 Klicks und die offizielle Facebookseite der „Flat Earth Society“ über 100.000 Fans. Ebenfalls im vergangenen November fand in einem Vorort von Raleigh im US-Bundesstaat North Carolina die erste „Flat Earth International Conference“ statt, zu der rund 400 Anhänger aus der ganzen Welt anreisten, um sich über ihre Ansichten auszutauschen.
Längst haben sich auch einige Prominente als Flacherdler bekannt, darunter die Basketballer Shaquille O’Neil und Kyrie Irving und der amerikanische Rapper B.o.B. Und in Deutschland soll sich der Sänger Xavier Naidoo angeblich bei den Dreharbeiten zur Vox-Show „Sing meinen Song“ ein Lineal an die Nase gehalten haben, um damit dem Fernsehteam und den anderen Prominenten die fehlende Horizont-Krümmung zu demonstrieren.
Die Anhänger der „Flat Earth“-Theorie gehen davon aus, dass die Erde eine Scheibe ist, in dessen Zentrum sich der Nordpol befindet und dessen Ränder von den riesigen Eiswänden der Antarktis umgeben sind, welche verhindern, dass das Wasser am Ende des Horizonts ins Leere fällt. Dass bislang noch niemand diese Eiswände gesehen hat, erklären sie damit, dass sie von der Regierung bewacht werden, die mit Kriegsschiffen jeden aufhält, der dem Rand zu nahe kommt. Nach Ansicht der Flacherdler ist außerdem die Sonne deutlich kleiner – ihr Durchmesser betrage lediglich 52 anstatt über 1,3 Millionen Kilometer und sie soll auch nur einige Tausend anstatt 150 Millionen Kilometer von der Erde entfernt sein. Sonne und Mond sollen demnach wie Taschenlampen über der Erde kreisen, was laut „Flat Earth“-Theorie auch erklären würde, weshalb in einigen Regionen der Welt Tag und in anderen Nacht herrscht. Die gängige Wissenschaftsmeinung erklärt die Tageszeiten dagegen mit der Rotation der (kugelförmigen) Erde um ihre eigene Achse – auf der jeweils sonnenzugewandten Seite ist Tag, auf der sonnenabgewandten Seite eben Nacht.
In einer Sache immerhin sind sich Flacherdler und „Globusköpfe“ (so nennen sie selbst diejenigen, die die gängige Wissenschaftsmeinung eines runden Erdballs glauben) einig: Es waren nicht die Entdecker Christoph Kolumbus oder Fernando Magellan, die bewiesen, dass die Erde keine Scheibe ist, und auch nicht Galileo Galilei. Das war schon viel früher bekannt und wurde bereits im alten Griechenland weitgehend akzeptiert. Erst im 19. Jahrhundert wurde behauptet, dass die Menschen im Mittelalter geglaubt hätten, die Erde sei eine Scheibe, von deren Rand man herunterfallen konnte. Man tat dies vor allem, um die Moderne von den früheren Zeiten abzugrenzen. Je häufiger diese These wiederholt wurde, desto mehr Menschen hielten sie für wahr – viele tun es bis heute.
Angebliche Weltverschwörung
Auch die „Flat Earth“-Theorie hat ihren Ursprung im 19. Jahrhundert. 1881 veröffentlichte der britische Schriftsteller Samuel Rowbotham in einem Buch mit dem Titel „Zetetic Astronomy: Earth not a globe“ seine Theorie, laut der die Erde flach sei. Nach seinem Tod gründeten seine Anhänger zunächst die „Universal Zetetic Society“ und 1965 dann die bis heute bestehende „International Flat Earth Society“ – eine obskure Gemeinschaft von Wissenschaftsskeptikern und Verschwörungstheoretikern.
Es gibt mittlerweile genügend wissenschaftliche Beweise, dass die Erde tatsächlich eine Kugel ist. Astrophysiker und Wissenschaftsjournalist Harald Lesch, bekannt aus der ZDF-Wissenschaftssendung „Leschs Kosmos“ (früher „Abenteuer Forschung“), hat in einem Video auf Youtube einmal einige davon aufgezählt. So seien praktisch alle Körper in unserem Sonnensystem, die einen Durchmesser von mehr als 150 Metern haben, kugelförmig – weil die Gravitation immer zur Kugelform neige, was sich laut Harald Lesch sogar beim Töpfern gut beobachten lasse. Er fragt sich daher: Wie sollte bei der Entstehung der Erde aus einem unförmigen Materieklumpen eine Scheibe werden? Sogar mithilfe der Mathematik ließe sich nachweisen, dass die Erde eine Kugel ist. Nimmt man drei beliebige Orte auf der Erdoberfläche, verbindet diese und misst in dem dadurch entstehenden Dreieck die Summe der Innenwinkel, dann betrage diese mehr als 180 Grad. Diese Summe müsste sich jedoch ergeben, wenn die Erde tatsächlich flach sei.
Flacherdler interessieren sich aber überhaupt nicht für solche Argumente. Sie lassen sich nicht einmal von den Fotoaufnahmen aus dem Weltall überzeugen, die eindeutig auf eine runde Erde hinweisen – diese sind aus ihrer Sicht ohnehin alle gefälscht. Stattdessen suchen die „Flat Earth“-Theoretiker nach (pseudo) wissenschaftlichen Gegenbeweisen. Als letztes Argument gibt es dann immer noch den Verweis auf eine angebliche Weltverschwörung der Regierung, die gemeinsam mit den Wissenschaftlern die tatsächliche Wahrheit rigoros vor Milliarden von Menschen verbirgt. Warum sie das tun sollte und wie es ihr überhaupt gelungen sein soll, dass das bislang noch nicht aufgeflogen ist – dazu haben aber selbst die Flacherdler keine Erklärung parat.