Staatspräsident Macron hat nie einen Hehl daraus gemacht: Die Arbeitsmarktreform gilt als ein Kernstück seiner Politik. Jetzt steht das halbe Land still, weil die Lokführer wie erwartet gegen das Ende der Unkündbarkeit ankämpfen. Doch das Reformpaket hat noch mehr Facetten.
Es ist eines der wichtigsten innenpolitischen Ziele von Staatspräsident Emmanuel Macron: die Reform des französischen Arbeitsrechts. Die Gewerkschaften dagegen sehen das Arbeitsrecht als eine der größten sozialen Errungenschaften der Neuzeit. Die Arbeitgeber geißeln es naturgemäß als eine der Hauptursachen dafür, weshalb die französische Wirtschaft lange vor sich hindümpelte. Starr, unflexibel, investitionsfeindlich und einstellungshemmend sei es, sagen die Wirtschaftsbosse. Ein soziales Grundrecht sei es; ausgewogen und fair, damit sie nicht der Willkür irgendwelcher „patrons“ ausgeliefert seien, sagen die Gewerkschaftsvertreter.
In den letzten Jahren scheiterten alle Regierungen Frankreichs daran, das Arbeitsrecht entscheidend zu verändern. Der Druck der Straße erstickte so gut wie jeden gut gemeinten Versuch im Keim. Frankreich galt in den Augen seiner europäischen Nachbarn als reformresistent. Die Arbeitslosigkeit stieg auf über 3,5 Millionen. Mit dem Mandat für Wandel und nicht für Stillstand haben Macron und allen voran seine emsige Arbeitsministerin Muriel Pénicaud die Arbeitsmarktreform bereits in der Sommerpause angepackt und im Herbst letzten Jahres erfolgreich durch das Parlament bekommen. Geschickt hat es die Arbeitsministerin verstanden, offen über alle Punkte mit Arbeitgebervertretern und Gewerkschaften zu verhandeln. Das Ergebnis: ein hart erarbeitetes Reformpaket, das zwar nicht alle Beteiligten rundum begeisterte, aber den von der kommunistischen Gewerkschaft CGT und dem linken Oppositionspolitiker Jean-Luc Mélenchon organisierten Massenprotesten standhielt. Der angekündigte heiße Herbst entpuppte sich als ein laues Lüftchen.
Druck der Straße war lange enorm hoch
Macron und sein Premierminister Edouard Philippe sehen in der Arbeitsrechtsreform allerdings nur einen Etappensieg auf dem Weg, das französische Sozialsystem den neuen Anforderungen anzupassen und die Arbeitslosigkeit nachhaltig zu senken. Im Frühjahr sollen die ersten Gesetzesentwürfe für die Bereiche Arbeitslosenversicherung, Lehrstellensystem und Berufsbildung in die Nationalversammlung eingebracht werden.
Wie lauten die entscheidenden Veränderungen im bisherigen Arbeitsrecht, das selbst niedergelassenen deutschen Unternehmen den Angstschweiß auf die Stirn getrieben hat? Denn Entlassungen, auch in wirtschaftlich schlechten Phasen, waren bisher so gut wie unmöglich. Zentrale Punkte in der Reform sind die Lockerung des Kündigungsschutzes, eine Obergrenze für Abfindungen sowie die Verlagerung von Entscheidungen auf Unternehmensebene. Damit sollen Betriebe flexibler und vor allem Neueinstellungen erleichtert werden. Die Reform zielt vor allem auf kleine und mittelständische Unternehmen – rund 95 Prozent der Betriebe mit bis zu 50 Mitarbeitern zählen dazu. Sie dürfen nun selbstständig zum Beispiel über Abweichungen von der 35-Stunden-Woche oder über Löhne je nach Auftragslage verhandeln, selbst wenn es keinen Gewerkschaftsvertreter in der Firma gibt. Die Reform erlaubt Belegschaftsabstimmungen ausdrücklich; es gelten nicht mehr automatisch die engen Vorgaben des Arbeitsrechts. Eine wichtige Änderung betrifft zudem das Kündigungsrecht, wenn es der Landesgesellschaft eines international tätigen Unternehmens wirtschaftlich schlecht geht. Bisher musste die niedergelassene Gesellschaft, zum Beispiel aus Deutschland, nachweisen, dass es auch international nicht rund läuft. Dadurch waren Entlassungen so gut wie unmöglich. Diese Regelung war im Übrigen ein französischer Sonderweg, den es so in der EU nicht gab. Diese Änderung zu Gunsten der Arbeitgeber dürfte auch Landesgesellschaften deutscher Firmen in Frankreich freuen.
Reform ist nur ein Etappensieg
Ein zweiter wichtiger Punkt betrifft die Deckelung von Abfindungen. Bisher betrachteten Arbeitgeber diese oft als schwer zu kalkulierende Kosten. Abfindungen sind jetzt auf maximal drei Monatsgehälter bei zweijähriger und 20 Gehälter bei 30 Jahren Betriebszugehörigkeit festgelegt. Außerdem dürfen Arbeitsrichter Entlassungen nicht mehr einfach wegen Formfehlern zurückweisen. Vereinfachungen sieht die Reform des Arbeitsrechts zudem in Fragen der Sicherheit, der Hygiene und in Prozessen vor. In diesen Bereichen sollen Gremien zur Abstimmung mit der Belegschaft zusammengelegt werden, um Doppel- und Dreifacharbeiten sowie ausufernde Bürokratie zu vermeiden. Der ganz große Wurf ist die Reform des Arbeitsrechts sicher noch nicht. Das dürfe man auch nicht erwarten, dämpft Arbeitsministerin Pénicaud allzu große Erwartungen. Dafür sei es noch zu früh und die Reform greife erst richtig, wenn der Umbau der Sozialversicherungen mit der Senkung der Lohnnebenkosten einhergehe. Das könnte Ende 2018 der Fall sein. Jedenfalls ist in Frankreich der Anfang gemacht und die Arbeitslosenquote ist von mehr als zehn Prozent im Jahr 2016 auf unter 9,5 Prozent im Jahr 2017 gesunken, auf den tiefsten Stand seit neun Jahren – Tendenz weiter fallend. Das dürfte weitestgehend daran liegen, dass sich die Konjunktur allgemein in Frankreich sowie in den anderen EU-Staaten deutlich erholt habe, werfen Kritiker ein, und weniger an der Reform des französischen Arbeitsrechts. So legte nach Angaben des Statistikamts Insee das Bruttoinlandsprodukt um 1,9 Prozent im vergangenen Jahr zu, so viel wie seit 2011 nicht mehr. Obwohl Mélenchon die Reform als „sozialen Staatsstreich“ abtut und alles dransetzt, Macron als reinen Freund der Arbeitgeber zu entlarven, haben die gemäßigten Gewerkschaften wie CFDT oder FO bisher stillgehalten. Ganz im Gegensatz zur kommunistischen CGT. Sie versucht gemeinsam mit den Eisenbahnern der französischen Staatsbahn SNCF Druck auf Macrons Reformpläne zu machen. Bis zu den Ferien Anfang Juli sind zahlreiche Streiktage fest eingeplant.
Dass es Macron mit dem Abbau bürokratischer Hindernisse ernst meint, zeigen zudem die angekündigten Vereinfachungen beim Entsendegesetz. Die Wirtschaftsminister Baden-Württembergs, von Rheinland-Pfalz und des Saarlandes, Bundesländer mit Grenzen zu Frankreich, hatten in einem offiziellen Schreiben im vergangenen Jahr Muriel Pénicaud aufgefordert, die grenzüberschreitend tätigen Unternehmen bei Entsendung von Arbeitnehmern nach Frankreich nicht mit Bürokratismus zu belasten. Seit Anfang des Jahres ist die vorgesehene Meldegebühr von 40 Euro je Entsendefall ausgesetzt. Außerdem sollen die geplanten Dokumentations- und Meldepflichten erneut auf den Prüfstand – ein Beispiel dafür, wie Europa grenzüberschreitend funktionieren kann.