Mit dem Kürzel „kfb" ist Kai Florian Becker als Musikjournalist bekannt. Seit letztem Jahr ist er auch Unternehmer. Der Saarländer gründete Barhill Records, ein Plattenlabel. Mut, eine Portion Unbedarftheit und der Wille dazuzulernen zeichnen den einstigen Messdiener aus.
Das eigene Hobby zum Beruf zu machen, diese Möglichkeit haben nicht viele Menschen. Kai Florian Becker aus Riegelsberg ist einer von ihnen. Sogar in zweifacher Hinsicht. Aufmerksamen Leserinnen und Lesern von Konzertberichten oder anderweitigen musikjournalistischen Texten ist sein Kürzel „kfb" ein Begriff. Der 47-Jährige hat sich als freier Musikjournalist einen Namen gemacht. „Man lebt seinen Traum. Das muss man sich bewusst machen, wenn es mal nicht so rund läuft", sagt er dazu. Seinen Traum hat er kürzlich um eine Facette erweitert. Seit Februar 2017 betreibt er sein eigenes Label: Barhill Records. Mit Killflavour (Dark-Krautrock), CHVOS (Postrock), The Yellow King (Metal/Hardcore), Cannahann (Stoner/Alternative Rock), Zesura (Postpunk) und Flares (Indie/Noiserock) hat er aktuell sechs Bands unter Vertrag.
„Die Idee, ein eigenes Label zu gründen, war immer mal wieder da. Aber nie konkret", erklärt Becker, „Außerdem war ich immer recht ausgelastet." Das wiederum führte ihn irgendwann paradoxerweise der Umsetzung näher: Der Wille, „endlich mal etwas für mich zu machen. Ohne Vorgesetzten. Ohne Auftraggeber. Etwas, von dem ich der Chef bin", reifte. Es sollte ein reines Vinyl-Label werden, „so ein echtes Liebhaber-Ding mit dem Ziel, lokalen Bands eine Plattform zu bieten", sagt er. Musik zum Anfassen sollte es sein. Keine MP3 oder eine „CD im Plastikkäfig, sondern etwas Besonderes in entsprechender Aufmachung. Die Haptik einer Vinylplatte ist schon etwas Tolles", gerät Becker ins Schwärmen. Doch vor dem Genuss der selbstbestellten Haptik standen viel harte Arbeit und ein Hauch Entzauberung: Zusammen mit seiner damaligen Lebensgefährtin überlegte sich Becker zuallererst den Namen des Labels. Es wurde „Barhill" – ein Wortspiel als freie, englische Übersetzung seines Wohnortes. Danach wurden Bands angefragt. „Ein bisschen naiv lief das Ganze schon. Ich dachte eigentlich, ich wüsste, wie das alles funktioniert. Im Nachhinein muss ich sagen: Nein, das wusste ich nicht", gibt Becker zu.
Der Gründungsprozess brachte neben Bürokratie auch Kosten mit sich: Gewerbe anmelden, Wortmarke schützen lassen, Kredit aufnehmen, Anfangsinvestitionen tätigen, sich mit der Gema auseinandersetzen, ein Presswerk für die Platten finden, dem Verband der unabhängigen Tonträgerhersteller beitreten und vieles mehr. Am Ende dieses Prozesses stand die Erkenntnis, dass dieses „Liebhaber-Ding"-Konzept sich in der Praxis nicht so einfach umsetzen lässt. In der Zwischenzeit gehören auch digitale Formate, CDs und Streaming-Dienste zum Portfolio. Für den Vertrieb konnte er auf Anhieb das etablierte Unternehmen Cargo Records für sich gewinnen – sogar noch, bevor es etwas zu vertreiben gab. Die Premieren-Veröffentlichung war „Forest mirror" von Killflavour. Es folgten die Kassette „MMXVII" des Künstlers CHVOS, die Band The Yellow King und die deutschlandweit auftretende Band Cannahann aus Franken, die am 13. April 2018 ihr aktuelles Album „Staub und Wasser" auf Barhill Records veröffentlichte, sowie Zesura und Flares. Die EP „Post Modem" von Zesura, einer lokalen Band mit „vielen altbekannten saarländischen Gesichtern" (Becker), wurde Anfang April digital wiederveröffentlicht.
Barhill ist ein Wortspiel auf Riegelsberg
„Ich habe in diesem einen Jahr so viel gelernt. Es war unfassbar anstrengend. Dabei sollte es vor allem Spaß machen", fasst Becker zusammen. „Aber man muss an tausend Sachen denken." Hilfe erfuhr Becker von Bekannten aus dem Musikgeschäft und von seiner Ex-Freundin – auch noch nach der Trennung. Beispielsweise setzte sie die passende Logo-Idee grafisch um.
Ob er sich die Label-Arbeit auch hauptberuflich vorstellen kann? „Ich hätte nichts dagegen, wenn es ein Standbein wird. Dafür muss ich Bands finden, die sich und ihre Platten entsprechend verkaufen, damit das Ganze auch etwas abwirft. Im Moment ist es noch ein Verlustgeschäft", sagt Becker und erklärt: „Das liegt bestimmt nicht an der Qualität der Bands. Es kommen viele unterschiedliche Faktoren zusammen." Vor allem müsse man Glück haben. „Ich hätte gerne mal eine größere Band an der Hand als Zugpferd für das Label", überlegt Becker. Allerdings nicht um jeden Preis: „Mir muss die Musik schon gefallen. Ich hole nicht DJ Bobo unter Vertrag, weil er sich gut verkauft, aber ich es scheiße finde." Auch nervige Charaktere will er sich nicht ins Haus holen: „Das ist mir das Opfer, meine Freizeit, nicht wert", sagt er. Immerhin sind dies pro Woche bis zu zehn Stunden. Seine Arbeitszeit verteilt sich auf seine Tätigkeit in der Geschäftsstelle des Saarländischen Journalistenverbandes und die freie Tätigkeit als Journalist.
Kai Florian Becker stammt aus Saarlouis-Fraulautern, wohnte schon in Sulzbach und Saarbrücken und zog mit seiner früheren Ehefrau einst nach Riegelsberg, wo er mit Hund Rocky und zeitweise mit seinem elfjährigen Sohn Peter zusammenlebt. Musik hat Becker schon immer gerne gehört – anfangs inspiriert von seiner älteren Schwester. „Mit 15 Jahren wurde ich Messdiener. Und alle anderen Messdiener hörten damals Heavy Metal", erinnert sich Becker an die Zeit, in der Ozzy Osbourne, Judas Priest, Iron Maiden und Co. seine kirchlichen Aufgaben begleiteten: „Ich habe dann zu Hause meine Mutter gefragt, ob sie etwas dagegen hat, dass ich jetzt Heavy Metal höre. Das hatte sie nicht. Ich habe ihr sogar mal eine Metal-Mixkassette zusammengestellt, die sie immer gerne gehört hat." Alben, die er selbst immer wieder hören kann, gibt es viele. Seine drei liebsten sind „Come On Die Young" von Mogwai aus dem Jahre 1999, „Blind" von Corrosion of Conformity (1991) und der Klassiker „The Wall" von Pink Floyd (1979). Seinen persönlichen Musikgeschmack beschreibt Becker wie folgt: „Schon Gitarrenmusik. Aber nicht nur. Durchaus auch Elektronisches und Hip-Hop."
Als Messdiener-Metalhead gestartet, sammelte Kai Florian Becker genreübergreifende Einflüsse – selbst die Charthits gingen nicht ganz spurlos an ihm vorbei. „Das lief so bis in die späten 1990er. Dann war mir das nicht mehr genug. Alles hat sich nur noch wiederholt und gab mir keinen Kick mehr", erinnert er sich. Ein neuer Kick traf ihn schließlich in Glasgow. Und wie: Ein halbjähriger Studienaufenthalt in der größten Stadt Schottlands entfachte seine Musikleidenschaft neu: „Dort hatte ich mir in einem kleinen Plattenladen ein paar Oasis-CDs gekauft, weil sie nur ‚einen Appel und ein Ei‘ kosteten", erinnert er sich, „Auch Platten von Blur oder Travis. Vorher hatte ich mich überhaupt nicht für Britpop interessiert." Das änderte sich schlagartig beim Anhören der Alben – mit einem tragbarem CD-Player und Kopfhörern auf dem Bett liegend: „Plötzlich verstand ich, weshalb die so klingen, wie sie klingen. Weil sie das Leben in Großbritannien aufgesaugt hatten", erinnert sich Becker lebhaft, „Glasgow ist seitdem meine absolute Lieblingsstadt – auch musikalisch." Nach Jahren des intensiven Musik-Konsums hatte Becker nach Glasgow das Gefühl, aufholen zu müssen. Neben Britpop zählt er auch Electro oder Hardcore zu seinen späten Entdeckungen. „Die Aufarbeitung hat begonnen, aber auch ein Musikjournalist kann nicht alles kennen. Von dem Druck habe ich mich schon lange befreit", stellt er klar.
Brücke zwischen Musik und Journalismus
Die Brücke zwischen Musik und Journalismus schlug er eher zufällig als gewollt. Nach dem Abi und dem Grundwehrdienst studierte Becker Werkstoffwissenschaften. Allerdings nur solange, bis er „viel zu spät" feststellte, dass es eine Qual wäre, weiterzumachen. Nach einer halbjährigen Studienauszeit fing er ein neues Studium an: Deutsch und Englisch. „Ich war beileibe nicht schnell, aber ich habe es abgeschlossen", sagt er stolz. Zu dieser Zeit arbeitete Becker schon als freier Journalist für die „Saarbrücker Zeitung" – genauer: für den Saarlouiser Sportteil.
Später veranstaltete er Konzerte in der Kulturhalle in Roden und im früheren Saarlouiser Jugendzentrum. Über den Sänger einer Band knüpfte er schließlich Kontakte zum Magazin „Heavy, oder was!?", für das er erste Interviews führte und Reviews verfasste. Der Anfang seiner Karriere. Es folgten Aufträge unterschiedlicher Redaktionen – der Schwerpunkt Musik habe sich „einfach so ergeben. Ohne vorherigen Plan." „kfb" etablierte sich als Musikjournalist, wurde als Experte im Radio bei Deutschlandradio Kultur interviewt und arbeitet seither unter anderem für das Munzinger Poparchiv und das Luxemburger Tageblatt.
Das alles erreichte der Saarländer dabei, ohne selbst je selbst ein Instrument beherrscht zu haben. „Ich kann auch keine Noten lesen und nicht singen. Das muss ich aber auch nicht", meint er und ergänzt abschließend: „Es reicht, wenn ich darüber schreibe, was ich gut finde und was nicht. Da muss ich die Leute nicht noch mit meiner eigenen Musik nerven."