Frank Sinatra war der geborene Entertainer und der erste Superstar der Popmusik. In seiner sechs Jahrzehnte dauernden Karriere als Sänger und Schauspieler ließ sich „Ol’ Blue Eyes" auch nicht durch private Skandale oder Gerüchte über Mafia-Verbindungen aus der Bahn werfen.
Vom ersten Atemzug an stand das Leben von Francis Albert Sinatra auf der Kippe. Denn bei der Geburt am 12. Dezember 1915 in Hoboken wog der Wonneproppen, der zuweilen auch unter dem Nachnamen Sinestra aufgeführt wird, stolze 6,1 Kilogramm. Der Arzt hatte große Mühe, das Baby aus der zierlichen Mutter herauszuziehen. Schadlos ging das nicht über die Bühne, weil die verwendete Geburtszange Verletzungen im Gesicht und am Trommelfeld verursachte. Der Mediziner hatte das blau angelaufene und scheinbar nicht mehr atmende Baby schon als Totgeburt abgeschrieben. Doch da griff die Großmutter ein, hielt das Neugeborene unter einen kalten Wasserstrahl und entlockte ihm dadurch seinen ersten Schrei.
Arzt hielt den kleinen Frank für eine Totgeburt
Beim Geburtsort Hoboken handelte es sich um ein seinerzeit schäbiges Hafenstädtchen, dessen einzige Attraktion der beeindruckende Blick über den Hudson auf die Skyline von Manhattan war. Hier hatte sich das italienisch-stämmige Ehepaar Sinatra/Sinestra niedergelassen. Vater Anthony Martin Sinatra arbeitete unter dem Künstlernamen Marty O’Brien als Preisboxer und jobbte zusätzlich als Feuerwehrmann. Mutter Natalina „Dolly" Sinatra war als Hebamme mit ominösen Nebengeschäften als „Engelmacherin" eine lokale Berühmtheit und mischte auch in der Politik als örtliche Wahlkampfleiterin der Demokraten etwas mit. Da sich die Familie dank Ersparnissen aus den Boxbörsen auch noch eine Kneipe zulegen konnte, wuchs Frank Sinatra als Einzelkind zwar in insgesamt bescheidenen, aber im Vergleich zu anderen italo-amerikanischen Einwanderern aus dem direkten Umfeld durchaus soliden Verhältnissen auf.
Mutter Dolly hatte es sich in den Kopf gesetzt, dass ihr Sohn das Potenzial für etwas Großes in sich trug. Sie ließ sich in ihrem Ehrgeiz auch nicht durch Rückschläge wie dem Verweis ihres Sohnes von der Demarest Highschool wegen „allgemeinen Rowdytums" erschüttern. Sie kaufte ihm eine kleine Musikanlage, mit der Frank nach dem Schulabbruch bereits im Alter von 15 Jahren – unterstützt durch Ukelele und Megafon – abends durch die Clubs von New Jersey und New York zog. Tagsüber war er für die Sportredaktion des Lokalblattes „The Jersey Journal" als Laufbursche tätig, durfte dann aber nach und nach auch eigene Texte schreiben.
Der Berufswunsch, Sänger zu werden, dürfte sich nach dem Besuch eines Konzerts seines künftigen Idols Bing Crosby 1933 in Jersey City herauskristallisiert haben. Danach schloss er sich einem Vokalquartett namens The Hoboken Four an, mit dem er 1935 einen Talentwettbewerb einer Radioshow gewann.
Nach einem festen eineinhalbjährigen Engagement ab 1937 bei einem Musiklokal in New Jersey wurde er im Frühjahr 1939 von Harry James als Leadsänger für dessen populäre Big Band verpflichtet und konnte erste Schallplatten aufnehmen. Darunter etwa den Titel „All or nothing at all". Von 1940 bis 1942 machte er seinen nächsten Karrieresprung als Sänger der berühmten Swingband von Tommy Dorsey, mit dem zusammen ihm 1940 mit dem Song „I’ll never smile again" sein erster Nummer-eins-Hit in der wöchentlichen Billboard-Hitparade der meistverkauften Singles gelang. Noch stand Sinatra im Schatten Tommy Dorseys, was auch für sein erstes Auftauchen auf der Leinwand im Paramount- Pictures-Musicalfilm „Las Vegas nights" im Jahr 1941 galt. Obwohl Sinatra den Titelsong „Dolores" nicht interpretieren durfte, wurde das Lied in der Dorsey-Sinatra-Zweitversion doch 1941 zu Franks zweitem Nummer-eins-Erfolg.
Für Sinatra war nun der Zeitpunkt gekommen, eine Solokarriere zu starten, weshalb er im September 1942 seine Zusammenarbeit mit Dorsey beendete und ein Jahr später einen Plattenvertrag bei Columbia unterzeichnete. Obwohl Sinatra nie eine professionelle Gesangsausbildung erhalten hatte und nach eigenem Bekunden auch in späteren Jahren nur rudimentär Noten lesen konnte, wurde seine Stimme schon in diesem Alter als so perfekt angesehen, dass man ihm in den USA sogleich den Ehrennamen „The Voice" verlieh. Sinatra perfektionierte dabei den murmelnden, umschmeichelnden „Crooner"-Stil seines Idols Bing Crosby. Damit wurde er in den 40er-Jahren, vor allem dank des Mediums Radio mit zahlreichen eigenen Shows, zum gefeierten Idol der Weltkriegsgeneration.
Besonders die jungen Damen lagen dem gerade mal 1,72 Meter großen Sänger mit den schönen blauen Augen – weiterer Spitzname daher „Ol’ Blue Eyes" – zu Füßen und sorgten am 12. Oktober 1944 für die erste Massenhysterie der Popgeschichte, als mehr als 40.000 „Bobby Soxers" – junge Ladys, die ihre Strümpfe zu den Knöcheln heruntergekrempelt zu tragen pflegten – am New Yorker Times Square im Zuge zweier Sinatra-Konzerte heftig randalierten.
Skandale kosteten ihn fast die Karriere
Sinatra avancierte innerhalb kürzester Zeit zum erfolgreichsten Sänger des Landes und zum absoluten Teenie-Idol mit bis zu 40 Millionen in mehr als 2.000 Sinatra-Fanclubs organisierten Bewunderern. Nebenbei ergatterte er jede Menge Rollen in ansonsten wenig bemerkenswerten Hollywood-Musikfilmen.
Auch in die Politik mischte er sich schon früh ein als Unterstützer und finanzieller Förderer des Demokraten Franklin D. Roosevelt im Präsidentenwahlkampf 1944 sowie als Kämpfer gegen die Rassendiskriminierung. Für seinen dieses kontroverse US-Gesellschaftsproblem thematisierenden Song „The house I live in" sollte er im Rahmen des gleichnamigen Kurzfilms 1946 mit einem eigens geschaffenen Ehrenoscar ausgezeichnet werden. Dass „Frankie Boy" daneben auch schon früh gute Kontakte zu Mafia-Größen wie Lucky Luciano gepflegt und öfter in Clubs von Unterwelt-Größen aufgetreten war, soll keineswegs verschwiegen werden.
Anfang der 50er-Jahre schien Sinatras Karriere abrupt beendet zu sein. Er galt, vor allem in konservativen US-Kreisen, als „has been", als Mann von gestern. Weil sich herausgestellt hatte, dass er privat seiner ersten Frau und Jugendliebe Nancy, die er 1939 geheiratet und mit der er drei Kinder hatte – Nancy, Frank jr. und Tina –, keineswegs ein treu sorgender Ehemann war. Längst hatte er sich insgeheim einen legendären Ruf wegen seines Jähzorns, seiner Prügelattacken und vor allem als notorischer Schürzenjäger erworben. Angeblich hatte er eine Liste der schönsten Hollywood-Ladys mit Namen wie Lana Turner, Marilyn Monroe, Judy Garland, Kim Novak oder Jane Mansfield aufgestellt und diese dann systematisch abgearbeitet.
Auch die 1951 geschlossene Ehe mit Ava Gardner nahmen ihm viele Amerikaner übel, auch wenn sie ebenso kurz sein sollte wie die 1966 eingegangene Verbindung mit Mia Farrow. Sinatra war damals 50, seine Frau unschuldige 20. Dean Martin kommentierte die Heirat spöttisch: „In meiner Hausbar steht Scotch, der älter ist als Mia Farrow!". Auch wenn die Ehe nur zwei Jahre hielt, blieben die beiden befreundet. Als beispielsweise Mitte der 90er-Jahre bekannt wurde, dass Woody Allen eine Affäre mit Farrows Adoptivtochter hatte, war es Sinatra, der eine Belohnung für denjenigen auslobte, der Allen die Beine brechen würde. Erst mit seiner vierten Frau Barbara sollte Sinatra ab 1976 einen festen Ehehafen finden.
Beschädigungen von Sinatras Stimmbändern nahm die Plattenfirma Columbia zum Anlass, den Vertrag im Herbst 1952 nicht zu verlängern, nachdem auch schon Hollywood die Zusammenarbeit aufgekündigt hatte. Die oscarprämierte Darstellung des Soldaten Maggio in „Verdammt in alle Ewigkeit" katapultierte Sinatra allerdings 1953 doch wieder zurück ins Show-Rampenlicht. Das frühere Saubermann-Image wurde durch das des trinkenden Rabauken ersetzt, am liebsten ausgelebt im Kreis seiner sauffreudigen, auf den Namen „Rat Pack" getauften Kumpelgang mit Dean Martin und Sammy Davis Jr. an der Spitze. Politisch ergriff er Partei für die Bürgerrechtsbewegung und für den Demokraten John F. Kennedy. Künstlerisch pflegte er in den 1960er-Jahren den Stil des reifen, durch Glück und Leid gestählten Lebemannes.
Der Sänger wurde zum Entertainer im besten Sinne, der seinem Publikum scheinbar nichts anderes als die Geschichte seines Lebens vortrug – von „Come fly with me" oder „I’ve got you under my skin" bis hin zu „Strangers in the night" oder „My way".
Empire State Building zu seinen Ehren in Blau
Er genoss, immer elegant im Smoking gekleidet, das Whiskyglas in der einen, das Mikrofon in der anderen Hand, den Glamour in den großen Konzertsälen der Welt und vor allem in Las Vegas, wo er seit den 60er-Jahren regelmäßig gastierte und eine Abendgage von 200.000 Dollar verlangen konnte. 1971 hatte der coole, politisch zu den Republikanern konvertierte Lebemann, der sich selbst gern als „Saloon-Sänger" charakterisierte, erstmals seinen Rückzug aus dem Showgeschäft angekündigt, konnte aber noch 1979 gegen die vorherrschende Rockmusik mit „New York, New York" seinen letzten großen Hit landen.
Offensichtlich vom Virus der Standing Ovations infiziert, tourte der grauhaarige Altmeister mit Toupet trotz nachlassender Stimme und diverser Krankheiten bis 1995 rund um den Globus. Nur die allerletzten Lebensjahre verbrachte er zurückgezogen in seinem Anwesen in Beverly Hills. Am 14. Mai 1998 starb die mit den beiden höchsten zivilen Orden der USA ausgezeichnete Showlegende im Alter von 82 Jahren an einem Herzinfarkt in einem Krankenhaus in Los Angeles. Das Empire State Building in New York City wurde daraufhin drei Tage in blaues Licht getaucht – in Würdigung eines Künstlers, der 700 bis 800 Millionen Tonträger verkauft und rund 1.300 Songs aufgenommen hatte. Er hinterließ ein geschätztes Privatvermögen von 175 bis 200 Millionen Dollar.