Kreuzfahrtschiffe stehen vor allem wegen ihrer schädlichen Abgase in der Kritik. Doch auch beim Abwasser gibt es ökologische Bedenken. Bisher durften sie einfach so in die Ostsee geleitet werden. Damit ist ab 2021 Schluss.
Die Stella Scandinavica ist schon fast entleert. Im Dauer-Regen verlassen die letzten Passagiere die Ostsee-Fähre, gefolgt von Autos, Lastwagen und Containern, die von Göteborg nach Kiel gereist sind. Doch nicht nur Personen und Waren wechseln in diesem Moment ihren Ort: Auch ihre Hinterlassenschaften gehen von Bord. Alle Abwässer, die in den vergangenen zwölf Stunden angefallen sind, wandern in die Kieler Kanalisation – ganz diskret, über einen Schlauch, der unter dem hintersten Rettungsboot am Schiffsrumpf befestigt ist.
„Das ist kein Hexenwerk", sagt Ulf Jahnke, Sprecher des Kieler Hafens. „Wenn Sie zu Hause duschen, geht das Abwasser ja auch direkt in die Kanalisation." Allerdings funktioniert dieses einfache Verfahren nur bei Schiffen, die wenige Stunden unterwegs sind. Sobald die Abwässer länger an Bord lagern, beginnt ein chemischer Prozess. „Die Schwefelbildung schreitet voran, der pH-Wert verändert sich", sagt Jahnke. Das toxische Gemisch darf dann nicht mehr einfach so in die kommunale Kläranlage wandern – in die Ostsee allerdings schon. Noch bis 2021 ist es Kreuzfahrtschiffen gestattet, ihr Abwasser ungeklärt auf hoher See zu entsorgen. Erst dann tritt das internationale „Helcom"-Abkommen in Kraft, auf das sich die Ostsee-Anrainerstaaten verständigt haben.
Reedereien können ab diesem Zeitpunkt selbst entscheiden, was sie mit der stinkenden Flüssigkeit tun: Sie an Land abgeben oder schon an Bord klären, mithilfe eigener Technik. In Kiel hofft man darauf, dass sich die erste Variante durchsetzt. Im Sommer 2017 weihte der Hafen eine 1,8 Millionen teure Aufbereitungsanlage ein, die die Abwässer vorbehandelt. „Dabei werden Luft und Ozon eingeblasen", erklärt Jahnke. „Das ist ein bisschen wie bei einer Sektflasche, die man schüttelt, um die Kohlensäure rauszulassen." Wenn dieser Prozess abgeschlossen ist, kann das Abwasser in die Kieler Kanalisation fließen.
Am Hafen selbst ist die High-Tech-Anlage mit bloßem Auge nicht zu sehen. Kein Geruch, keine Sickergrube. Noch nicht mal ein Gullydeckel. Die Rohre mit einem Durchmesser von 1,20 Metern schlängeln sich unter der Erde entlang. 300 Kubikmeter Flüssigkeit können pro Stunde aufgenommen werden – die Anlage ist nach Aussage der Hafenverwaltung die modernste ihrer Art in Europa. „Wir sind froh, dass wir nun technisch in der Lage sind, größere Kapazitäten aufzunehmen", sagt Janke. „Und dass viele große Reedereien schon mitmachen." Zu den ersten Nutzern zählten Tui, Aida und Phoenix Seereisen.
Das alles klingt gut, verdeckt aber die Tatsache, dass bisher nur ein Drittel derer, die die Anlange nutzen könnten, dies auch wirklich tun. „Natürlich besteht die Gefahr, dass wir am Ende auf unseren Kosten sitzen bleiben", sagt Jahnke – immerhin gibt es längst marktreife Lösungen, mit denen Kreuzfahrtschiffe ihre Abwässer an Bord filtern können. Andererseits: Warum sollten Reedereien in solch teure Technik investieren, wenn die Entsorgung in den Hafengebühren ohnehin schon enthalten ist oder nur einen geringen Aufpreis kostet? „Gestern war die Aida-Vita da", freut sich Jahnke. „Wenn das Abkommen erst mal in Kraft tritt, werden die anderen sicher bald nachziehen."
„Die neue Anlage ist vorbildlich"
Die Vorzeichen dafür stehen gut. Schließlich lebt die Branche von einer intakten Natur, die sie ihren Kunden präsentiert. Zumal die schwimmenden Hotels ohnehin seit Längerem in der Kritik stehen, weil sie auf hoher See immer noch Schweröl verbrennen – eine ökologische Todsünde. So verwundert es nicht, dass sich der Branchenverband Clia schnell zu dem „ganzheitlichen Ansatz" im Kieler Hafen bekannte. Gleichzeitig schlug er aber auch kritische Töne an: So hätten die meisten Ostsee-Häfen noch einen „deutlichen Nachholbedarf", was die Entsorgung von Abwasser angeht. Immerhin geht es um gewaltige Mengen: Pro Passagier und Tag fallen auf einem Kreuzfahrtschiff bis zu 200 Liter Abwasser an – vom Zahnputzbecher bis zur Klospülung.
Es wäre interessant, zu erfahren, welche Methode der Abwasser-Entsorgung die Reedereien bevorzugen. Doch die meisten Unternehmen antworten auf Anfragen nur sehr allgemein und schwammig. So gibt Tui Cruises etwa an, die Anlage in Kiel intensiv zu nutzen (was die Hafenbehörde bestätigt). Gleichzeitig heißt es jedoch, die „Mein Schiff"-Flotte habe ohnehin Wasseraufbereitungsanlagen an Bord, „die mit modernen Kläranlagen an Land vergleichbar sind". Hapag-Lloyd versichert, man werde die Einrichtung „bei unseren zukünftigen Anläufen in Kiel berücksichtigen, sofern dies notwendig ist", während Costa beteuert, die Aufbereitungsanlage in Kiel bereits zu nutzen (was der Hafen aber dementiert). Demnach entsorgt die Reederei dort zwar ihren Müll, „hat aber bei den fünf Anläufen der ,Costa Pacifica‘ im Jahr 2017 kein Abwasser an der neuen Hafenauffangreinrichtung (…) abgegeben".
Auch Umweltschützer halten sich bisher noch mit einer klaren Bewertung zurück. „Es ist für uns sehr schwer zu beurteilen, welchen Methode die bessere ist", sagt Malte Siegert vom Naturschutzbund Deutschland (Nabu) in Hamburg. „Die neue Anlage in Kiel ist vorbildlich", ergänzt Siegert. „Und bei neuen Schiffen ist Abwasser inzwischen nicht mehr das große Problem." Kritisch sieht er jedoch die vielen ausgemusterte Schiffe, die nach China weiterverkauft werden und dort noch jahrelang im Einsatz sind. „Die sind ja nicht weg", sagt Siegert. „Da werden die ökologischen Probleme einfach nur verlagert." Ein weiteres Ärgernis: Um ihren Schwefelgehalt zu reduzieren, nutzen viele Kreuzfahrtschiffe sogenannte Scrubber. Dabei werden die Schadstoffe aus den Abgasen gewaschen – entweder direkt mit Meerwasser oder in geschlossenen Systemen, die dann im Hafen entleert werden. „Dabei entsteht eine hoch-toxische Grütze", sagt Siegert. „Ich habe meine Zweifel, ob viele Häfen an der Ostsee darauf schon vorbereitet sind."
Ob sich die landseitige Abwasser-Entsorgung künftig durchsetzt, will der Nabu noch nicht prognostizieren. Allzu optimistisch gibt man sich aber nicht, denn schwarze Schafe hätten es wegen mangelnder Kontrollen relativ leicht. „Die Wasserschutz-Polizei ist personell nicht besonders gut aufgestellt", sagt Siegert. „Die können allenfalls Stichproben nehmen."