Nicht einmal die berühmten 100 Tage hat Annegret Kramp-Karrenbauer gebraucht, um Akzente als CDU-Generalsekretärin zu setzen. Die „Beinfreiheit", die die Kanzlerin ihrer Nachfolgerin in spe lässt, nutzt die durchsetzungsstarke Saarländerin.
Schon ihre Wahl Ende Februar auf dem CDU-Bundesparteitag in Berlin war bemerkenswert. 98,87 Prozent der abgegebenen Stimmen votierten für Annegret Kramp-Karrenbauer, beinahe Schulz’sche Dimensionen. Wobei es auf die Formulierung, „der abgegebenen Stimmen" ankommt, denn von den 1.001 stimmberechtigten Delegierten auf dem CDU-Parteitag fehlten gut 100 Stimmzettel, wie CDU-Eurorebell Klaus-Peter Wilsch damals genüsslich feststellte. Doch wer nicht abgestimmt hat, kann auch nicht gezählt werden, und dann kommt so ein beinahe 99-Prozent-Ergebnis zustande. Die fehlenden Delegierten waren bei der AKK-Krönung entweder gerade auf der Toilette oder hatten sich bewusst bei einem Kaffee verquatscht, erläuterte Merkel-Kritiker Wilsch damals das Ergebnis. Aber genau das ist bezeichnend für die Merkel-CDU, Widerstand oder Kritik gibt es nicht mehr aus den eigenen Reihen, was in diesem Fall der neuen Generalsekretärin zugutekommt.
Zuerst die Debatte ums Programm
Dabei hatte die CDU in den letzten Monaten einfach nur Glück, denn ihr Bundestagswahlergebnis vom September vergangenen Jahres hätte eigentlich zu grundsätzlichen Diskussionen innerhalb der Partei führen müssen. Die CDU hat weit über sieben Prozent ihrer Wähler verloren und ist bei 26,8 Prozent der Wählerstimmen gelandet. Vier Jahre zuvor waren es noch 34,1 Prozent. (Ergebnis jeweils ohne CSU). Historisch eigentlich ein totales Fiasko, weil weit unter der psychologisch so wichtigen 30-Prozent-Grenze, die den CDU-Machtanspruch als Volkspartei legitimiert. Aber da half der CDU und vor allem ihrer Parteichefin Angela Merkel die desaströse Vorstellung der SPD, mit ihrem ebenfalls historisch niedrigen 20,5-Prozent-Ergebnis. Dazu kam ein Parteichef der politisch zwischen allen Stühlen saß und jeden Tag eine neue Position bezog. Martin Schulz und seine SPD-Genossen bestimmten über Wochen die Schlagzeilen, obwohl es eigentlich nichts wirklich Weltbewegendes zu berichten gab. Aber die sozialdemokratische Performance nach der Bundestagswahl war derart skurril, dass Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Merkel die eigentlich anstehende Debatte in ihren eigenen Reihen mit der Feststellung, dass sie keine Fehler erkennen könnte, kurzerhand für beendet erklärte. Selbst das Scheitern der Jamaika-Sondierungen konnte Merkel nichts anhaben. Das fiel der FDP komplett auf die Füße, weil Fraktions- und Parteichef Christian Lindner nur zu gern die beleidigte Leberwurst gab.
Es folgte die Neuauflage der diesmal gar nicht mehr so Großen Koalition – und die unerwartete Kür der neuen Generalsekretärin, die zuvor so niemand wirklich auf der Rechnung hatte. Schließlich hatten sich Spekulationen eher um einen Posten am Kabinettstisch gerankt, was Kramp-Karrenbauer aber abgelehnt haben soll.
Angeblich soll sie zunächst eher in Erwägung gezogen haben, erst in zwei Jahren nach Berlin zu wechseln und ihre Position „Saarländische Ministerpräsidentin" als Startrampe zum CDU-Vorsitz mit anschließender Kanzlerkandidatur 2021 zu nutzen. Das war aber wohl noch in der Phase der Jamaika-Verhandlungen. Der FDP-Rückzieher machte diese Pläne zunichte.
Übereinstimmend berichteten die beiden beteiligten CDU-Damen, dass sie sich bei einem Abendessen dann auf den Job „Generalsekretärin" verständigt hätten. Wobei Annegret Kramp-Karrenbauer dies vorgeschlagen und CDU-Chefin Merkel es dann für gut befunden hat. Die eigene Partei wurde anschließend darüber in Kenntnis gesetzt. Ganz klassisch, erst der Vorstand, dann das Präsidium, der Parteitag musste am 26. Februar dieses Jahres nur noch abnicken. Wobei, wie erwähnt, einige Kaffeetrinker und Toilettengänger bei der Abstimmung dann fehlten. Parteidemokratie à la Merkel-CDU. So ähnlich hatte auch schon vor ihr Helmut Kohl ein Viertel jahrhundert seine Partei geführt. Merkel war nach der Wende Kohls Politik-Azubi, gelernt ist gelernt.
Merkel lässt AKK Spielräume
Nun also soll Annegret Kramp-Karrenbauer in den kommenden zwei Jahren die CDU übernehmen, so zumindest der Plan. Auf dem Parteitag im Frühjahr 2020 will Merkel offenbar den Parteivorsitz aufgeben. AKK, wie sie tatsächlich in der CDU auch angesprochen wird, soll dann die Führung übernehmen. Die Arbeit an einem neuen Grundsatzprogramm gilt sozusagen als Meisterprüfung.
Das derzeitig gültige Programm stammt noch aus dem Jahr 2007, hat also beinahe elf Jahre auf dem Buckel. In dieser Zeit hat sich die Welt erheblich gewandelt – und die CDU vor allem reichlich Wähler verloren. Damals war Angela Merkel gerade zwei Jahre als Bundeskanzlerin im Amt und hatte den Weg der Partei in die „neue Mitte" gerade erst eingeschlagen. Die „Sozialdemokratisierung" der CDU, wie ihre damaligen Kritiker, unter ihnen Ex-Fraktionschef Friedrich Merz, monierten, hatte erst begonnen.
Mittlerweile ist das eingetreten, wovor CDU-Übervater Helmut Kohl und sein CSU-Rivale Franz-Josef Strauß immer gewarnt hatten, dass rechts der Union keine andere politische Kraft im Parlament entstehen dürfe. Doch seit Ende September 2017 sitzt die AfD mit über zwölf Prozent im Bundestag, ist damit stärkste Oppositionskraft. In den Reihen der AfD sind nicht wenige ehemalige CDU-Mistreiter. Und am Rand der politischen Bühne stehen vormalige CDU-Größen wie Erika Steinbach und spenden den AfD-Protagonisten Applaus. Die Etablierung der AfD stellt die CDU vor vergleichbare Herausforderungen wie seinerzeit die Linke für die SPD.
Generalsekretärin Kramp-Karrenbauer steht damit vor einer Herausforderung, die mit der Quadratur eines Kreises zutreffend beschrieben ist. Sie darf die bisherige Flüchtlingspolitik nicht infrage stellen, damit würde sie ihreR Noch-Parteichefin Angela Merkel schaden. Gleichzeitig muss sie so etwas Ähnliches wie ein Einwanderungsgesetz ins Parteiprogramm hieven, das in Teilen das Asylgesetz ablöst, aber nicht aufhebt, was schon rein verfassungsrechtlich nicht möglich ist. Und obendrein wäre ein Einwanderungsgesetz ein weiterer Paradigmenwechsel in der Geschichte der CDU.
Doch Kramp-Karrenbauer ist schlau genug, sich dieser Herkules-Aufgabe nicht allein zu stellen. Sie nimmt ihre Partei im wahrsten Sinne des Wortes mit und besinnt sich auf alte Tugenden.
Nach über sechs Jahren findet Anfang Mai im Rahmen ihrer Zuhör-Tour wieder eine CDU-Kreisvorsitzendenkonferenz statt. Die Anfahrts- und Übernachtungskosten übernimmt die Partei. Es sind vor allem Männer, die sich dann in der CDU-Parteizentrale ein Stelldichein geben.
Auf dem Podium sitzen die Parteichefin und ihre Generealsekretärin einträchtig nebeneinander. Aber nicht die Hausherrin, also Merkel, eröffnet die Runde, sondern die Generalssekretärin fängt an. AKK sagt ihren politischen Freunden aus der deutschen Provinz erst einmal Bescheid, wie sie sich den Abend so vorstellt und übergibt dann an die Bundeskanzlerin, sozusagen als lieben Gast im eigenen Haus. Angela Merkel hält sich dann auch gar nicht erst mit Parteipolitik und ihren Niederungen auf, sondern durchschreitet den großen Raum der Weltpolitik, Syrien, Ukraine, das Iran-Atom-Abkommen. Es fallen Schlagworte wie „Intergouvernementalität" und „Konvergenz" in Europa, und die Kanzlerin erklärt ihren erstaunten Kreisvorsitzenden den Unterschied zwischen „Big Data Management" und „Big Data Mining". Auch wenn nur die wenigsten verstanden haben dürften, worum es eigentlich geht, die versammelten Kreisvorsitzenden sind geradezu erschlagen von der komplizierten Kanzlerinnen-Welt, an der sie gerade teilhaben durften. Eines wird an diesem Abend sehr deutlich: Parteichefin Angela Merkel hat die CDU längst an ihre saarländische Freundin Annegret Kramp-Karrenbauer übergeben, die derzeit als siebte Generalsekretärin unter ihrer Regentschaft dienen darf. Das zeigt schon der Umstand, dass Kramp-Karrenbauer auch die Vorstandssitzungen ihrer Partei am Montagmorgen in der Parteizentrale mit dem Bericht der Generalsekretärin eröffnet. Erst danach ergreift dann die Parteivorsitzende das Wort.
Den Rest der Woche beginnt der Arbeitstag von AKK um 8.30 Uhr im Kanzleramt mit „Muttis" Morgenlage, kurz „MM" genannt. Hier werden die großen politischen Linien festgelegt. In einer dieser Morgenlagen Mitte März bekam die gerade gewählte Generalsekretärin auch die erste klare Anweisung ihrer Chefin, nämlich den politisch marodierenden Newcomer und gerade ernannten Gesundheitsminister Jens Spahn zu bändigen, was Kramp-Karrenbauer aber dann nicht ganz so zügig gelang. Spahn hatte sich mehr als despektierlich gegenüber Hartz-IV-Empfängern geäußert, Erinnerungen an Generalsekretär und AKK-Vorgänger Peter Tauber wurden wach. Dieser hatte vor einem Jahr mitten im Wahlkampf zum Besten gegeben, „wer studiert hat, braucht keine drei Jobs". Dies trug vermutlich mit zum politischen Untergang des AKK-Vorgängers bei, abgesehen von seinen gesundheitlichen Problemen.
Im Fall Spahn gab es umgehend eine klare AKK-Ansage, im Bereich sozialer Verwerfungen ist mit ihr nicht zu spaßen. Doch dieser legte zwei Tage später gleich noch mal nach: „Einigen geht Tierschutz vor Schwangerschaftsabbruch." Nach dieser Spahn-Aussage platzte der neuen CDU-Generalsekretärin der Kragen, Spahn wurde zum Rapport in die Parteizentrale einbestellt, seitdem ist Ruhe im Karton.
Kein Selbstläufer für AKK in Berlin
Die Bändigung von Jens Spahn hat AKK unterm Strich geholfen. In der Parteizentrale nahm man sie umgehend ernst, und dort hat sie den Laden dann seither auch schon reichlich umgebaut. Das Adenauer-Haus hat Kramp-Karrenbauer so schnell in ihren Besitz genommen wie kein anderer Generalsekretär vor ihr. Vier Abteilungsleiter wurden ausgetauscht, nur einer durfte bleiben. CDU-Geschäftsführer Klaus Schüler, absoluter Merkel-Mann, bekommt mit Nico Lange einen Stellvertreter, den AKK persönlich ausgesucht hat, und neue Sprecherin der Christdemokraten ist Christiane Schwarte.
Nach über 100 Tagen im Amt hat sich Annegret Kramp-Karrenbauer sichtlich gut eingelebt und auch für eine zukünftige personelle Gefahrenquelle ihrer Kanzlerkandidatur zeichnet sich bereits eine Lösung ab. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat ihre Ambitionen auf den Parteivorsitz und damit die Kanzlerkandidatur keineswegs aufgebeben, ist aus dem einflussreichen CDU-Landesverband Niedersachsen zu hören. Ganz so kampflos wollen sich offenbar die Anhänger von der Leyens dem Diktat der noch amtierenden CDU-Chefin aus Mecklenburg-Vorpommern nicht beugen. Doch die hat ihrerseits schon eine schöne Idee, wie sich diese drohende Kampfkandidatur und damit parteiinterner Zwist verhindern lässt. In anderthalb Jahren muss der Posten von Nato-Generalssekretär Jens Stoltenberg neu besetzt werden. Zum ersten Mal in der Geschichte der Nato könnte dieses Amt eine Frau übernehmen: Ursula von der Leyen. Damit stünde dann Annegret Kramp-Karrenbauer als neuer, starker CDU-Frau nichts mehr im Weg. In 36 Monaten könnte es dann also heißen: AKK – mission accomplished!