Marcel Noebels beweist auch in dieser Saison seine Offensiv-Qualitäten. In Berlin fühlt er sich wohl. Der Traum von der NHL ist ausgeträumt, Russland kommt aus einem speziellen Grund nicht infrage.
Beim Einkaufen kann es schon mal vorkommen, dass Eishockeyprofi Marcel Noebels erkannt wird. „Letztens bei Rewe ist mir passiert, dass die Kassiererin gesagt hat: ‚Ich kenne sie, oder?‘“, erzählte der Nationalspieler von den Eisbären Berlin. Doch ansonsten genießt Noebels die Anonymität in der Großstadt Berlin, hier kann er meist unbehelligt unterwegs sein, ohne dass er sich Sorgen um seine Privatsphäre machen müsste. In kleineren Eishockey-Standorten wie Straubing oder Iserlohn sei das anders, verriet Noebels: „Wenn du da als Spieler öffentlich in der Nase bohrst, steht das den nächsten Tag irgendwo. In irgendeinem Keller in Kreuzberg kennt mich keiner.“ Im Trikot der Eisbären aber fast jeder Eishockey-Fan. Marcel Noebels ist sowohl bei den Berlinern als auch in der Nationalmannschaft ein Leistungsträger, der nicht nur mit reichlich Toren und Vorlagen glänzt. Als eloquenter und meinungsstarker Spieler ist der 31-Jährige auch in der Kabine und als Aushängeschild für Verein und Verband ein Gewinn.
Meinungsstarker Topscorer
Dass er in Deutschland dennoch längst nicht so bekannt ist wie einst die Eishockeystars aus der früheren Generation wie Erich Kühnhackl, ist für ihn kein großes Problem. „Das waren Männer, die die Szene im Eishockey geprägt haben“, sagte Noebels dem „Tagesspiegel“: „Aber ich bin einer derjenigen, der jetzt die größten Erfolge mitgenommen hat.“ Und was für welche! Silbermedaillen bei Olympia 2018 und der Weltmeisterschaft 2023, deutsche Meistertitel 2021 und 2022. Dazu seine Ehrung zum DEL-Spieler des Jahres 2020 und 2021. Doch trotz dieser Erfolge ist bei Noebels noch immer der Hunger nach mehr zu spüren, kaum ein Leistungsabfall zu erkennen. Auch in dieser Saison ist er in der internen Scorerwertung der Eisbären ganz vorne dabei, in Sachen Torvorlagen macht ihm keiner etwas vor. Im Spiel gegen den ERC Ingolstadt Anfang November durfte er sich über seinen 400. DEL-Scorerpunkt freuen: „Ein kleiner Meilenstein für mich persönlich.“ Er sei jetzt in einer Position, „dass ich sage, ich möchte der beste Spieler sein und das von Spiel zu Spiel“, sagte er: „Mein Ziel ist es, das Niveau zu halten.“ Für sich und für das gesamte Team.
Auch dank Noebels haben die Eisbären nach einer katastrophalen Vorsaison mit dem peinlichen Verpassen der Play-offs zurück zu alter Stärke gefunden. „Noebi macht einfach viele Dinge richtig“, lobte Eisbären-Trainer Serge Aubin seinen Topscorer: „Er spielt mit viel Reife und großer Ruhe.“ Auch Sturmpartner Zach Boychuk schwärmte vom Zusammenspiel: „Noebi ist immer schon bekannt für seine großartigen Spielzüge.“ Doch der Führungsspieler sorgt auch dafür, dass die Mannschaft trotz der starken Hauptrunde mit Demut in die anstehenden K.-o.-Duelle um den Titel geht. „Es gab schon noch Phasen, in denen wir nicht so gut gespielt haben oder unser Potenzial noch nicht abgerufen haben“, mahnte er. Noebels wird nicht müde zu betonen, dass jeder Erfolg an harter Arbeit hänge. Und an der notwendigen Entwicklung. Auch er könne sich noch verbessern. Das hat er während seiner knapp neuneinhalb Jahre in Berlin eindrucksvoll bewiesen.
In seiner Anfangszeit nach dem Wechsel aus der American Hockey League (AHL) war Noebels unter dem damaligen Trainer Uwe Krupp eher als Mann fürs Grobe eingeteilt. Unter Serge Aubin ist seine Rolle aber eine ganz andere, Noebels darf in Über- und Unterzahl ran und bekommt generell die meiste Eiszeit mit. Auch, weil er anders als in den ersten Jahren deutlich mehr Zug zum Tor entwickelt hat. „Früher wussten die Gegenspieler, dass ich vermutlich eher passe“, erzählte Noebels: „Jetzt schieße ich mehr und bin dadurch schwerer ausrechenbar.“ Das gilt aber nicht nur für ihn, generell sind die Lasten des Offensivspiels bei den Eisbären in diesem Jahr auf viele Schultern verteilt, was es für die Gegner schwerer macht. „Wir haben vier Reihen, die das ganze Spiel marschieren“, meinte Noebels. Die positiven Ergebnisse würden die Beine zudem leichter machen, erklärte der Nationalspieler: „Wir haben sehr viel Selbstvertrauen.“ Rückschläge werfen das Team nicht mehr um, das war in der Vorsaison noch ganz anders. „Auch wenn ein Drittel mal nicht so funktioniert, ist das nächste Drittel meist eines der besten“, sagte Noebels: „Ich glaube, das zeichnet gute Mannschaften aus.“ Noebels will mit den Eisbären seinen dritten Meistertitel holen und die Mission „Wiedergutmachung“ für das schmachvolle Abschneiden im Vorjahr zu einem erfolgreichen Abschluss führen. „Da, wo wir jetzt stehen, wollen wir auch bleiben“, sagte er selbstbewusst: „Ich glaube, es macht unheimlich Spaß, uns zuzugucken. Da wollen wir weitermachen.“
„Da, wo wir jetzt stehen, wollen wir auch bleiben“
Um für den Endspurt genügend Kraft zu haben, verzichtete Noebels auch auf die ersten Länderspiele nach dem sensationellen Gewinn der WM-Silbermedaille im vergangenen Mai. Mit Bundestrainer Harold Kreis vereinbarte er eine Pause, um sich zu erholen und Zeit mit der Familie verbringen zu können. Denn Kreis muss einen Marcel Noebels nicht mehr testen, er weiß genau um dessen Klasse und Einsatzbereitschaft. Auch für die anstehende WM in Tschechien (10. bis 26. Mai) gilt Noebels als gesetzt. Diesmal würde er aber gern wieder später zur WM-Vorbereitung des DEB-Teams dazustoßen, denn das würde bedeuten: Die Eisbären sind in den Play-offs sehr weit gekommen.
Und was kommt danach? Was treibt einen Spieler an, der national und international fast alles gewonnen hat, was es zu gewinnen gibt? Eigentlich ist für jeden Eishockeyprofi die NHL ein Traum – auch Noebels hat dafür alles gegeben. Gleich zweimal startete er einen Versuch, in der besten Eishockeyliga der Welt Fuß zu fassen: Als Jungprofi, nachdem ihn die Philadelphia Flyers beim Draft 2011 an 118. Stelle gezogen und an unterklassige Teams weitergegeben hatten. Und dann noch einmal 2018, als er im Trainingscamp der Boston Bruins eine neue Chance erhielt. Doch beide Male gelang ihm der Durchbruch nicht. Aber gebrochen haben ihn diese Erfahrungen nicht, weil die NHL zwar sein Traum war, er aber nicht als Träumer über den Teich flog. „Ich bin noch nie gefallen, weil ich immer wusste, dass ich auch scheitern kann“, erzählte Noebels: „Ich habe mir nie gesagt: Wenn das nicht klappt, dann weiß ich nicht weiter.“
Die Zeit hat gezeigt, dass Noebels zumindest im europäischen Vergleich ein exzellenter Spieler ist. Die russische Profiliga KHL klopfte mehr als nur einmal bei ihm an, ein höchst lukratives Angebot hatte er unter anderem von Lokomotive Jaroslawl erhalten. Aber Noebels konnte das nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine nicht mit seinem Gewissen vereinbaren. „Klar weiß ich, dass man dort innerhalb von acht oder neun Monaten Geld verdienen kann, für das man hier vielleicht zwei, drei Jahre spielen muss. Aber bei dem, was jetzt aktuell in der Welt passiert, gab es keinen guten Grund, zu wechseln“, sagte Noebels. Er wolle als Eishockeyspieler auch ein Vorbild sein, „für meinen Sohn, meine Familie und auch für viele andere“.
Womöglich wäre Noebels mit einem Wechsel nach Russland auch nicht mehr für die deutsche Nationalmannschaft nominiert worden, auch wenn es der Deutsche Eishockey-Bund öffentlich so nicht ganz klar kommunizierte. In die Zwickmühle wollte sich Noebels aber auch gar nicht bringen, zumal er sich in Berlin sehr wohl fühlt. Jetzt, wo es auch sportlich wieder optimal läuft, umso mehr.