Sind fitte Menschen immer gesund – oder doch nicht?
Fit, aber nicht gesund. Das klingt ketzerisch. Dennoch, eine überdurchschnittliche körperliche Leistungsfähigkeit bedeutet nicht zwangsläufig Gesundheit. Anscheinend paradox, aber es gibt Beispiele.
Plötzliche Herztodesfälle im Spitzensport sind relativ selten, aber die öffentliche Aufmerksamkeit ist umso größer. Vor einiger Zeit verstarb ein 26-jähriger norwegischer Spitzenschwimmer, der ein Jahr zuvor Weltmeister im 100-Meter-Brustschwimmen geworden war. Die Diagnose lautete Herzinfarkt, die Herzkranzgefäße waren krankhaft verändert, Risikofaktoren wurden festgestellt. In großen internationalen Studien wurde bei jedem dritten Herztod eines jüngeren Sportlers eine krankhafte Herzmuskelverdickung nachgewiesen. Das ist eine genetische Herzerkrankung, die oft keine Beschwerden verursacht, aber in bis zu 90 Prozent Spuren im EKG hinterlässt. Eine sportmedizinische Vorsorgeuntersuchung könnte manches verhindern. Was lehren uns diese Fälle? Man stirbt nicht am Sport per se, sondern an einer oft nicht bekannten Herzkrankheit.
Ein weiteres Beispiel Vorhofflimmern ist die häufigste Herzrhythmusstörung, die Herzvorhöfe schlagen unregelmäßig und schnell. Bei Master-Athleten, also älteren Wettkampfsportlern, die typische Ausdauersportarten betreiben, tritt Vorhofflimmern häufiger auf als in der gleichaltrigen Normalbevölkerung. Es ist bisweilen erstaunlich, welch’ sportliche Leistungen trotz krankhafter Befunde möglich sind.
Generell – und das mag überraschen – sind sportbedingte Todesfälle bei Freizeitsportlern deutlich häufiger als bei Leistungssportlern. Die meisten Todesfälle treten im mittleren Lebensalter zwischen 40 und 60 Jahren auf. Besonders gefährdet sind Sportanfänger und sportliche Wiedereinsteiger. Fußball und Jogging stehen in Deutschland an der Spitze der betroffenen Sportarten. Das Risiko bei Frauen ist um ein Mehrfaches geringer als bei Männern.
Nun die gute Nachricht. In einer aktuellen Studie konnte gezeigt werden, dass ein gesunder Lebensstil "schlechte" Gene wettmachen kann. Fitte haben statistisch betrachtet eine günstigere Prognose als Unfitte, nicht vorzeitig an Herz-Kreislauf- oder auch Krebserkrankungen zu sterben. Alterungsprozesse in der Zelle können verzögert werden, sodass die biologische Uhr langsamer tickt. Mangelhafte körperliche Leistungsfähigkeit ist heute ein anerkannter Risikofaktor.
Nicht selten ändern Personen im mittleren Lebensalter ihre Verhaltensweisen, werden sportlich aktiv, und einige werden sogar zum Marathonläufer. Viele haben Risikofaktoren wie Bluthochdruck oder erhöhte Blutfette, insbesondere Cholesterin. Es ist nie zu spät, mit regelmäßiger körperlicher oder sportlicher Betätigung zu beginnen, denn entsprechende Effekte sind in jedem Lebensalter möglich. Die Last der Risikofaktoren wird gesenkt, aber oft nicht komplett. Trotz Sport sind deshalb häufig Medikamente notwendig, um beispielsweise einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu verhindern. Aber in aller Regel kann die Medikamentendosis verringert werden.
Um nicht zu verunsichern, noch einmal zum Vorhofflimmern. Wer regelmäßig gesundheitssportlich aktiv ist oder wöchentlich zwei bis drei Stunden Ausdauersport betreibt, muss Vorhofflimmern nicht befürchten. Sogar ein geringeres Risiko wird beschrieben. Auch Wettkampfsport ist möglich, ohne dass vermehrt Komplikationen auftreten oder die Lebenserwartung beeinträchtigt wird.
Noch eine letzte Botschaft, die der veröffentlichten Meinung widerspricht: 15.000 olympische Medaillengewinner aus neun Ländern, die seit den ersten Olympischen Spielen der Neuzeit (Athen 1896) Gold, Silber oder Bronze gewannen, lebten knapp drei Jahre länger als Kontrollpersonen aus der Normalbevölkerung. Das ist keine Eintagsfliege, denn weitere epidemiologische Studien zur Lebenserwartung von ehemaligen Leistungssportlern zeigen ähnliche Ergebnisse. Ausdauersportler haben in den meisten Studien die günstigsten Ergebnisse.
Von Wilfried Kindermann
Univ.-Prof. em. Dr. med. Wilfried Kindermann (76) ist Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Sportmedizin. Er war Arzt bei acht Olympischen Sommerspielen, Chefarzt des deutschen Olympiateams und von 1990 bis 2000 internistischer Arzt der Fußball-Nationalelf.
LEBEN
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Risikofaktoren senken
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