Qualvolle Massentierhaltung, erbarmungswürdige Zustände in Großbetrieben. Reportagen dokumentieren immer wieder grausame Bilder, und am Ende steht die Frage: Warum macht "die Politik" nichts dagegen? Und wer ist eigentlich für was zuständig?
Eine Nachfrage bei einem Landesministerium sollte eigentlich Klarheit schaffen. Zumindest darüber, wer eigentlich zuständig und verantwortlich ist. Statt der erhofften Aufklärung gibt es aber erst einmal eine Gegenfrage: Was meinen Sie eigentlich mit "Tierschutz"? Geht es um Regelungen für die Massentierhaltung oder Tiertransporte, geht es um Tierversuche, die Frage nach Wildtieren in Zirkussen, Exotenhaltung in Zoos, Quälerei und Vernachlässigung von Haustieren, Tierheime oder den Schutz von Tierarten, die vom Aussterben bedroht sind? Allein diese Aufzählung ohne Anspruch auf Vollständigkeit zeigt: Das mit dem Tierschutz ist gar nicht so einfach. Und: Unterschiedliche Herausforderungen brauchen Regelungen auf unterschiedlichen Ebenen.
Zunehmend mehr Regelungskompetenz liegt inzwischen auf der Ebene der EU. In einer Zwischenbilanz über die Tierschutzstrategie 2012 bis 2015 beansprucht die EU-Kommission, die strengsten Tierschutznormen weltweit zu haben und in der Entwicklung weiter an der Verbesserung der Lebensqualität von Tieren durch Rechtsvorschriften, Schulungen und Durchsetzungsmaßnahmen zu arbeiten. Konkret führte der damalige EU-Gesundheitskommissar Tonio Borg Anfang 2014 als Erfolge auf, durch ein Verbot herkömmlicher Käfighaltung die Schutzstandards von 360 Millionen Legehennen verbessert zu haben, ebenso die Haltung von zwölf Millionen Sauen. Verbesserungen habe es beim Tiertransport gegeben. Und seit 2009 sind Tierversuche in der Kosmetikindustrie verboten.
Mag sein, aber es gibt Defizite bei der Gesetzgebung und vor allem der Durchsetzungen, so die einhellige Kritik von Tierschützern aller Art. Die Albert-Schweitzer-Stiftung kritisiert etwa, es gebe zu viele Ausnahmen, Einschränkungen und interpretierbare Formulierungen, die es erlaubten, Vorschriften zu umgehen oder zu unterlaufen. Zudem mangele es den Mitgliedsstaaten oft an notwendiger Durchsetzungskraft und dem Willen dazu. Bei den Behörden fehle das nötige Geld, Personal, qualifizierte Ausbildung und notwendige Konfliktbereitschaft bei der Durchsetzung, konstatierte die Stiftung bereits vor fünf Jahren. Die Albert-Schweitzer-Stiftung hält ihrem Leitbild zufolge eine vegane Lebensweise für die "ethisch beste Lösung". Da aber "ein Ende der Nutzung von Tieren als Nahrungsquelle derzeit nicht absehbar ist", setzt sie sich zumindest für "weniger qualvolle Züchtung, Haltung und Tötung der Tiere" ein.
Bekannt ist, dass auf der Brüsseler Bühne starke Industrielobbyisten bemüht sind, ihren Interessen zur Geltung zu verhelfen. Das gilt natürlich auch für die Bereiche, bei denen es um Tierschutz geht.
Zur Halbzeit der amtierenden Kommission hat "LobbyControl" versucht, den Einfluss von Lobbyisten einzuschätzen. Dabei kommt der amtierende EU-Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis, der auch für Tierschutz zuständig ist, vergleichsweise positiv weg. Der Anteil von Treffen mit Unternehmervertretern macht weniger als die Hälfte aller Gespräche mit Lobbyisten aus. Bei anderen Kommissionskollegen liegt der Anteil bei zwischen 60 und 80 Prozent. Und: Andriukaitis hat gerade erst eine "EU Plattform Tierschutz" ins Leben gerufen, in der auch Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs), Wissenschaftler und Vertreter internationaler Organisationen gemeinsam mit den Mitgliedsstaaten Beiträge zur Verbesserung des Tierschutzes ausarbeiten sollen.
Grundsätzlich kann die EU-Kommission Maßnahmen auf zwei Ebenen durchsetzen: mit Richtlinien oder Verordnungen. Richtlinien (mit Gesetzescharakter) müssen von den Mitgliedsstaaten in nationale Gesetze übernommen werden. Manche lassen sich damit oft ziemlich viel Zeit. Die EU greift deshalb zunehmend häufiger zur Verordnung, die unmittelbar in allen Mitgliedsländern gültig ist. Das geht schneller, führt aber dazu, dass die Handlungsspielräume für die Länder geringer werden, erst recht für die Bundesländer im föderalen Deutschland.
Kontrolle ist Sache der Länder
In der Bundespolitik lässt sich regelmäßig dieselbe Auseinandersetzung zweier Grundüberzeugungslinien beobachten. Auf der einen Seite Befürworter strenger, klarer Gesetze insbesondere bei der Nutztierhaltung, auf der anderen diejenigen, die Freiwilligkeitsmethoden bevorzugen, wie beim umstrittenen Tierschutzlabel von Christian Schmidt. Dazu kommt eine zersplitterte Zuständigkeit. So haben sowohl der Bundesagrarminister als auch die Umweltministerin Zuständigkeiten, hinzukommt der Verbraucherschutz und im Zweifel Gesundheit. Geht es aber beispielsweise um Tiere in Zirkussen, liegt es am Ende an den Kommunen, ob sie entsprechende Gastspiele genehmigen.
Gesetze, Verordnungen und Vorschriften nutzen aber letztlich wenig ohne Kontrolle und Sanktionen. Kontrolle ist in der Regel Sache der Länder, die das schon mal auf die Kreisebene delegieren, etwa im Fall von Veterinärämtern. Wenn dann der Bund den Ländern vorwirft, die Kontrolle zu vernachlässigen, vergisst er zuweilen, dass die Länder zur Einhaltung der Schuldenbremse gezwungen sind, und eben auch schon mal an genau diesen Stellen den Rotstift angesetzt haben.
Ganz handlungsunfähig sind die Länder dennoch nicht. So hat beispielsweise das Saarland, das unter strengen Sanierungsauflagen steht und somit nur bescheidene finanzielle Möglichkeiten hat, mit einem neuen Hochschulgesetz die Möglichkeit zu einem tierversuchsfreien Studium geschaffen und fördert tierversuchsfreie Forschungsmethoden, wofür das Land von "Ärzte gegen Tierversuche" als Pionier gelobt wurde. Tierversuche verbieten kann das Land hingegen nicht, denn das wiederum fällt in die Zuständigkeit des Bundes. Und das Saarland hat als eines der ersten Bundesländer einen Tierschutzbeauftragten installiert.
Gelegentlich macht sich die Bevölkerung aber auch selbst das Thema zu eigen. In Brandenburg sammelten beispielsweise im vergangenen Jahr Initiatoren für ein Volksbegehren gegen Massentierhaltung mit über 100.000 Unterschriften deutlich mehr als erforderlich. Es kam zu einem politischen Kompromiss für strengere Auflagen, um dessen Umsetzung allerdings bis heute gestritten wird. In der Schweiz gibt es Bestrebungen zu einer "Nationalen Volksinitiative" Anfang kommenden Jahres zur Abschaffung der Massentierhaltung.
Oliver Hilt