Handwerksbetriebe, Baufirmen, Gebäudereinigungsdienste das sind die Hauptarbeitgeber für polnische Arbeitnehmer in Deutschland. Viele von ihnen leiden unter Ausbeutung, Mindestlöhne werden umgangen, Löhne nicht gezahlt. Zur Wehr setzen können sich die Wenigsten.
Tomek Napiorkowski arbeitete als Elektriker für eine Supermarktkette in Bayern. "Wir fuhren quer durchs Bundesland, manchmal 300 Kilometer in eine Richtung" erzählt er. In den Supermärkten gab es dann aber nicht allzu viel zu tun. "Wir haben quasi den ganzen Tag auf der Straße verbracht, und der Arbeitstag dauerte zwölf Stunden. Zum Job bei der Supermarktkette war der Elektriker über einen Arbeitsvermittler in seiner Heimat gekommen, angestellt war Napiorkowski bei einem deutschen Personaldienstleister aus Baden-Württemberg. Der vereinbarte eine Bezahlung nach Arbeitszeit und zusätzlich nach gefahrenen Kilometern doch die Realität sah anders aus. Denn vom Lohn wurden die Kosten für die Anreise aus Polen abgezogen sowie für Napiorkowskis Unterkunft in Deutschland, ebenso wie Vorschüsse, die der Arbeiter nie erhalten hatte.
Was am Ende übrig blieb? Ein Stundenlohn von 11,23 Euro, knapp über dem Mindestlohn. Allerdings nur auf dem Papier und brutto. Denn nach den Abzügen verdiente Napiorkowski im ersten Monat knapp 395 Euro und im Folgemonat nur noch 40 Euro. Für knapp 60 Stunden Arbeit. Danach brach er seine Arbeit in Bayern ab.
In der EU herrscht Arbeitnehmerfreizügigkeit. Was im Idealfall bedeutet, dass EU-Bürger in allen anderen Mitgliedsländern arbeiten können und die jeweiligen Mindestlöhne gelten. Doch für polnische Arbeiter, die auf deutschen Baustellen mauern, die Pakete ausliefern oder Senioren pflegen, trifft das häufig nicht zu. Sie werden von dubiosen Arbeitsvermittlern teils aus ihrer Heimat ausgebeutet, können sich ohne Sprachkenntnisse und gewerkschaftliche Vertretung schlecht wehren und kehren oft nach einigen Monaten frustriert in ihre Heimat zurück.
Rund 1,5 Millionen Menschen mit polnischer Herkunft leben in Deutschland. Unter ihnen sind Hunderttausende, die jeweils nur für ein paar Wochen oder Monate für deutsche Arbeitgeber tätig sind. Männer arbeiten vor allem auf dem Bau und im Transportgewerbe, Frauen als Babysitter, Altenpflegerinnen oder Haushaltshilfen.
40 Euro für rund
60 Stunden Arbeit
Zu Konflikten kommt es dabei oft kein Wunder also, dass der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) eine Beratungsstelle zur Arbeitnehmerfreizügigkeit unterhält. 38 Prozent der hier Ratsuchenden kommen aus Polen, gefolgt von etwas kleineren Anteilen aus Bulgarien und Rumänien.
Artur Schulz, ein aus Polen stammender Berliner Anwalt für Arbeitsrecht, erzählt von Hunderten Betrugsfällen pro Jahr. Täglich meldeten sich in seiner Kanzlei fünf bis zehn Arbeiter, die über Ausbeutung durch deutsche Chefs klagten. Doch er könne nur wenigen helfen. Die meisten Hilfesuchenden geben an, dass ihre Überst
unden nicht bezahlt werden. Das Problem: In der Bauindustrie erhalten Arbeiter ihre Löhne auch regulär erst Wochen oder sogar Monate nach dem Arbeitseinsatz. Wer nach einem solch langen Zeitraum die oft nicht schriftlich festgehaltenen Überstunden nachweisen will, hat schlechte Karten.
"Auch fehlende Sprachkenntnisse werden ausgenutzt", sagt Schulz. "Gerade in der Baubranche werden Löhne oft nur teilweise oder überhaupt nicht ausgezahlt." Der Anwalt schätzt, dass Arbeiter aus den osteuropäischen Nachbarländern auf Baustellen im Schnitt um ein Fünftel ihres Lohns gebracht werden. Die Gewinne kommen jenen Firmen zugute, die höher in der Hierarchie der Subunternehmen stehen. Und den Bauherren, die von günstigen Preisen profitieren.
Für die Subunternehmen ist das Risiko gering: "Die Arbeiter werden betrogen, dann gehen sie, und es kommen neue", sagt Kamila Schöll-Mazurek vom polnischen Sozialrat in Berlin. Der private Verein berät seit über drei Jahrzehnten Polen in Deutschland. "Die Vertreter der Firma verschwinden einfach. Und die Arbeiter haben niemanden, an den sie sich wenden können.
Nicht gezahlte Löhne sind ein Problem, das Unterlaufen des Mindestlohnes ist ein anderes. Die Masche: Die Arbeiter sind scheinselbstständig, werden jedoch nicht nach Stunden, sondern nach unrealistischen Stückzahlen bezahlt. Anwalt Schulz erzählt von einer Polin, die Treppenhäuser putzte. Rechnete man die vereinbarte Anzahl auf einen Stundenlohn um, sollte sie etwa sechs Euro pro Stunde erhalten. Aber sie wurde zwei Monate lang überhaupt nicht bezahlt. Als sie ihren Lohn einklagen wollte, konnte sie nicht nachweisen, dass sie die Arbeit überhaupt getan hatte. "Man kann sich kaum vorstellen, zwei Monate zu arbeiten ohne dafür bezahlt zu werden", sagt Schulz. Er nennt das Gewalt.
Eine organisierte Interessenvertretung haben die polnischen Arbeiter nicht. Da sie oft nur für wenige Wochen oder Monate in Deutschland sind, fallen sie auch durch das Raster der Gewerkschaften. "Gewerkschaften haben eine komplizierte Struktur, die Loyalität in Form von Mitgliedsbeiträgen verlangt", sagt Schöll-Mazurek. Man müsse drei Monate lang Mitglied in einer Gewerkschaft sein, bevor sich diese um die Belange eines neuen Mitglieds kümmert. Außerdem seien die Billigarbeiter aus dem Osten eine Konkurrenz für die Gewerkschaftsmitglieder. Warum ihnen also zu höheren Löhnen verhelfen? Zudem sind Gewerkschaften nach Branchen organisiert, ohne dabei die Nationalität ihrer Mitglieder zu erheben.
Migrantenorganisationen wie der polnische Sozialrat können diese Lücke kaum schließen. Der Rat erhält etwa 5.000 Anfragen im Jahr. Wirklich helfen können die freiwilligen Mitarbeiter des Rats aber nur wenigen. Dafür hören sie Geschichten wie die von Lukasz.
Die Gewerkschaften sind nicht zuständig
Der kam nach Deutschland, um im Baugewerbe zu arbeiten. Zunächst lief es gut, Lukasz gründete in Berlin seine eigene Handwerkerfirma für Decken- und Malerarbeiten. Nach einem Streit mit einem Auftraggeber über nicht bezahlte Rechnungen in Höhe von 30.000 Euro musste er seinen Betrieb schließen und wieder für andere Firmen arbeiten. Schnell wurde ihm ein Einsatz auf einer Baustelle in Hamburg vermittelt auch eine Unterkunft sollte es geben. Vor Ort sah alles allerdings anders aus. "In der versprochenen Wohnung lagen knapp ein Dutzend Rumänen und Russen in zwei Zimmern. Es gab noch nicht einmal Betten", sagt Lukasz. Er habe schließlich im Auto geschlafen. Das hielt er zwei Tage durch ? dann kehrte Lukasz nach Polen zurück.
Katarzyna Goszcz
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