Der US-Präsident bedient die Sehnsucht nach alter Größe – pure Nostalgie
Viele in Europa schauen dieser Tage zornig nach Washington: Welche Querschläger, Unverschämtheiten und Beleidigungen kommen von US-Präsident Donald Trump als Nächstes? Es scheint keine Grenze des Niveaus zu geben, die nicht noch unterschritten werden könnte. Wenn Trumps Vorgänger John F. Kennedy, ein Demokrat, oder Ronald Reagan, ein Republikaner, einen Blick auf die heutige amerikanische Politik werfen könnten, sie wären fassungslos.
Dabei besteht kein Grund, die transatlantischen Beziehungen in der Rückschau zu romantisieren. Die US-Klagen über die zu geringen Verteidigungsausgaben der Europäer reichen zurück bis in die 70er-Jahre. Präsident Richard Nixon war die Ostpolitik von Bundeskanzler Willy Brandt nicht geheuer, Jimmy Carter gingen Helmut Schmidts weltwirtschaftliche Exkurse auf die Nerven. Doch immer gab es einen unerschütterbaren Konsens in Grundfragen: Die Bekenntnisse zu Demokratie, Rechtsstaat, Freihandel und Bündnis-Treue unter dem Dach der Nato galten als Grundpfeiler des Westens.
All dies ist heute hinfällig. Trump provoziert mit Lust Kanzlerin Angela Merkel oder die britische Premierministerin Theresa May. Er giftet gegen die Nato, attackiert die EU, wettert gegen die Medien als „Feinde des Volkes". Er würde der politischen Elite des Landes am liebsten den Garaus machen – in seinen Worten heißt das: „den Washingtoner Sumpf trockenlegen".
Das Problem dabei ist, dass Trumps Kritik durchaus einen wahren Kern hat. Das Establishment hat sich in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend von der Bevölkerung entfernt. Das Ansehen des Kongresses ist Zug um Zug abgeschmolzen. Bereits Präsident George W. Bush hatte sich immer wieder als Gegenpol zur Polit-Blase in der US-Hauptstadt positioniert. Er liebte es, auf seiner Ranch im texanischen Crawford mit Cowboy-Hut, Flanellhemd und Bluejeans Büsche in Form zu sägen. Der Rancher aus den Südstaaten als Mann des Volkes.
Was bei Bush noch Koketterie war, ist bei Trump System. Er liebt es, das politische System kurz und klein zu schlagen. Der Präsident versteht sich als Tabu-Brecher und -Zerstörer. Das betrifft zuallererst die Errungenschaften seines Vorgängers Barack Obama. Bei dessen Gesundheitsreform („Obamacare") mit dem Ziel eines möglichst flächendeckenden Krankenversicherungsschutzes legte er bereits früh die Axt an. Auch das von Obama mitgetragene Atomabkommen mit dem Iran will er zu Fall bringen.
Mit Trump kommt es zu einer Umkehrung der Werte. Frühere Feinde wie Russlands Präsident Wladimir Putin oder Nordkoreas Diktator Kim Jong-un werden plötzlich zu umworbenen Freunden. Frühere Freunde wie Kanzlerin Merkel bekommen auf einmal das Etikett „desaströs" verpasst.
Trumps Handeln speist sich aus zwei Hauptquellen: Größenwahn und Narzissmus. Sein im Wahlkampf gemachtes Statement ist für ihn nicht blanker Zynismus, sondern mit Selbstverliebtheit überzuckerte Egomanie: „Ich könnte quasi mitten auf der 5th Avenue stehen und jemanden erschießen, und würde trotzdem keine Wähler verlieren. Okay?! Das ist unglaublich!"
Trumps Vorliebe für Autokraten wie Putin oder Chinas Staatschef Xi Jinping kommt nicht von ungefähr. Er hat selbst den Hang zum Alleinherrscher. Die frühere US-Außenministerin Madeleine Albright zeigt sich in ihrem gerade erschienenen Buch „Faschismus. Eine Warnung" über Trump alarmiert: „Er ist der am wenigsten demokratische Präsident, den wir in der amerikanischen Geschichte hatten."
Das Besorgniserregende: Trumps Wähler lieben ihn so, wie er ist. Der 72-Jährige bedient eine weit verbreitete Sehnsucht nach alter amerikanischer Größe. Der Schlachtruf „Make America Great Again!" spielt mit den Erinnerungen, als Straßenkreuzer von Chrysler und Ford über die Boulevards der Welt rollten, Kühlschränke von General Electric in alle Erdteile exportiert wurden und Colgate-Zahnpasta weit über Amerika hinaus ein Begriff war.
Diese Nostalgiewelle wird die USA nicht wieder groß machen. Das Problem besteht darin, dass die Opposition im Land Trumps Show nicht als das entlarvt, was sie ist: ein Illusionstheater des Nationalismus. Die Demokraten sind zerstritten, haben weder Zugpferde noch Programm und laufen sich in ihren Anti-Trump-Reflexen tot. So lange sich das nicht ändert, ist der Präsident nicht gefährdet.