Das größte Rockfestival in der Region feiert 20-jähriges Bestehen. Vom 9. bis 11. August werden wieder Tausende Fans nach Köllerbach zum Rocco del Schlacko pilgern. Veranstalter Thilo Ziegler erzählt, wie es das Rocco geschafft hat, sich zu einem Großfestival zu mausern.
Herr Ziegler, wie hat das Rocco eigentlich damals angefangen?
Wir waren fünf Freunde: Achim Raubuch, Christian Heck, Björn Gehl, Christian Martin und ich, alle in der zwölften und 13. Klasse. Damals kannten wir viele regionale Bands, die wenige Auftrittsmöglichkeiten hatten, und da einige von uns Abitur gemacht haben, wollten wir die spielen lassen und dabei feiern. Das war ein bisschen eine verlängerte Abiturfeier. Stattgefunden hat das erste Rocco dann auf einer Bretterbühne, die auf dem Gelände des Handballvereins HSV in Püttlingen stand. Eigentlich kann man das gar nicht als erstes Rocco bezeichnen, weil es als einmalige Aktion geplant war. Der Platz liegt am Fuße der Bergehalde, Monte Schlacko im Volksmund genannt. So ist der Name entstanden, in Anlehnung an den Berg und wegen der Rockmusik. Das glaube ich zumindest, genau wissen wir es nicht mehr.
War es damals schwer, die Bands zu bekommen?
Wir hatten unfassbar spät mit der Planung begonnen, erst im September. Und im Oktober oder Anfang November hat es schon stattgefunden. Es kamen damals 600 Besucher, die uns motiviert haben, weiterzumachen. Für das zweite Rocco haben wir den ersten Headliner gebucht. Terrorgruppe war damals Vorband von den Ärzten. Wir hatten 1.200 Besucher und drei bis vier gebuchte Bands in den Folgejahren, teilweise auch amerikanische Punkrock-Bands. Wir haben es auf ein Level von 2.000 bis 2.500 Besuchern gehoben, aber sind dort auch stagniert. Es war damals so viel Arbeit, dass man das nicht mehr so ganz easy nebenher machen konnte. Schließlich hatten wir auch alle ein Studium begonnen.
Ist diese Entscheidung schwergefallen?
Nach 2002 mussten wir uns einfach entscheiden: entweder professioneller weitermachen oder dann zu sagen: Wir haben einfach die Zeit nicht mehr. Wir haben uns fürs Rocco entschieden. Ich glaube, das war dann auch der Moment, in dem einige Mitstreiter ihr Engagement verkürzt haben. Es hat trotzdem funktioniert, und 2003 war der erste große Schritt für das Festival mit den damals aufstrebenden Sportfreunden Stiller. Wir sind danach in die Ortsmitte von Köllerbach umgezogen, auf den Kirmesplatz beziehungsweise Parkplatz von Aldi und Edeka.
Warum war der Platz so wichtig?
Der Parkplatz vor Aldi war witzig, weil das eine Songzeile von Wir sind Helden ist, die 2005 eben dort gespielt haben. Mittlerweile waren wir bei 8.000 bis 9.000 Besuchern angekommen. Nach 2005 kamen wir nicht weiter. Das Ganze mutierte immer mehr zu einer Art Konzert, wo der Headliner wichtig ist und Besucher für nur einen Tag von weiter her kommen. Zudem war es schwer zu erreichen. Wir mussten Rocco daher zu einem mehrtägigen Festival mit Camping umbauen. Also sind wir auf den heutigen Festivalstandort, den Sauwasen in Köllerbach, umgezogen. Da oben haben wir glücklicherweise die Möglichkeit, Parkplätze und Camping anbieten zu können. Das Rocco im Mai 2006 war das erste mehrtägige auf den Sauwasen. Die Zuschauerresonanz war mit 4.000 Besuchern eher schlecht. Das war eine schwierige Zeit, in der wir parallel Geld verdienen mussten, um das nächste Rocco überhaupt veranstalten zu können. Ein weiteres strategisches Problem war, dass der Termin auf Anfang Mai lag und somit zeitlich nah an Rock am Ring. Auch das Wetter war um diese Zeit sehr unbeständig.
Also mussten Sie terminlich umlegen?
Für 2007 wollte ich die Beatsteaks buchen, und die konnten mir für Mai nicht zusagen, weil sie für Rock am Ring gebucht waren. Die Sportfreunde Stiller hingegen spielten nur im August, weil nach dem WM-Hit 2006 erst dann neues Material da war. Also bin ich nach Berlin zum Agenten der Beatsteaks gefahren. Wir haben nur so drüber gesprochen, und er wollte mir plötzlich Die Ärzte geben. Da habe ich gesagt: „Wie, Ärzte? Nein, viel zu groß. Wir wollen ein Festival aufbauen und kein Ärzte-Konzert machen." Der Agent hat die Welt nicht verstanden. So etwas habe er noch nie gehört, dass er jemandem Die Ärzte geben wollte und der sie ablehnt.
Und wie ging es weiter?
Er meinte, mit den Beatsteaks sei es schwierig, weil Rocco im Mai stattfindet. In der Situation habe ich spontan gesagt: „Nee, dieses Mal im August. Wegen der Sportfreunde." Und er: „Ach so, kommen die denn auch?" Daraufhin bin ich aus dem Büro, habe die Sportfreunde angerufen, und als die hörten, dass die Beatsteaks kommen, waren sie auch dabei. Somit hatte ich innerhalb von fünf Minuten das Festival von Mai in den August verlegt und sowohl die Beatsteaks als auch die Sportfreunde Stiller gebucht. Das Wetter war super, und es kamen auch wieder mehr Besucher. Seither ist das Grundkonzept gleich geblieben. Jetzt sind wir bei etwa 24.000 Besuchern.
Bei der Auswahl der Bands scheinen Sie immer ein glückliches Händchen zu haben …
Naja, ich buche Rocco. Von Anfang an und immer noch. 2003 hatten wir den Glücksfall mit den Sportfreunden Stiller. Die hatte ich schon gebucht, bevor sie den Echo gewonnen hatten. Musikalisch haben wir es bisher immer so gehalten, dass wir nicht sofort auf neue Trends aufspringen. Es erschwert die Verständlichkeit unseres Profils. Natürlich haben wir mittlerweile ein paar urbane Hip-Hop-Acts drin, aber es muss auch einfach passen. Da lasse ich mir als Booker auch nicht reinreden. Wenn ich etwas sehe, was mich überzeugt und woran ich glaube, dann mache ich es.
Fällt das immer leicht?
Zu Hause habe ich Notizen hängen, damit ich immer mutig genug bleibe. Wir waren das erste Rockfestival, das damals Deichkind gebucht hat. Heute ist Deichkind von keinem Rockfestival wegzudenken.
Sie haben gerade das Profil vom Rocco angesprochen? Wie genau sieht das aus?
Unsere Besucherzahl ermöglicht es uns heute, ein Großfestival auf die Beine zu stellen. Aber unter den Großfestivals sind wir wiederum relativ klein, fast Boutique. Und genau das ist unser Profil: Wir sind ein kleines Großfestival mit wirklich großen Bands und das groß produziert.
Neben den Glücksfällen gab es aber auch schon einige heftige Diskussionen wegen Ihrer Bandauswahl.
In der heutigen Zeit wären die Sportfreunde Stiller von der Wahrnehmung her wie Kraftklub. Das war für die damalige Zeit, aus dem Punkrock kommend, fast Kommerzpop. Da gab es von Fans Anfeindungen. Und 2004 gab es heftige Kritik, weil wir Mia eingeladen hatten. Die sind damals mit „Was es ist" und „Hungriges Herz" sehr erfolgreich gewesen. Aber es stand immer irgendwie im Raum, dass die Band rechtes Gedankengut in die Populärmusik reinbringe, weil in einem Song „rote Lippen, schwarzer Kaffee, goldene Sonne" vorkommt.
Wir als Punkrock-Festival mussten uns schon viel Blödsinn anhören. Und mittlerweile hatte das Innenministerium auch ein Gutachten wegen Gefahr von Links geschrieben.
Die Band kam am Tag vor der Veranstaltung im Nightliner und wir haben sie unter Polizeischutz abgeparkt. Sie kam direkt aus Russland, wo sie für das Goethe-Institut im Rahmen deutsch-französischer Kommunikation unterwegs war. Also, da lädst du auf der einen Seite einen Künstler ein, der vom Goethe-Institut ins Ausland geschickt wird, und musst dir auf der anderen Seite anhören, dass du Nazis einlädst. Ich habe es selbst nie verstanden.
Wie wichtig ist das eigentliche Programm tatsächlich?
Beim Rocco ist das Programm mit Sicherheit wichtiger als etwa beim Electro Magnetic, weil das wiederum anders funktioniert. Das Programm ist zum anderen Teil aber auch wieder komplett irrelevant, weil es ja auch einfach um den Moment geht. Den Moment, der über vier Tage anhält und dieses Happening einfach ausmacht. Dazu gehören noch viele andere, auch soziologische Faktoren. Die Kommunikation mit anderen, was man einfach macht, wenn man drei oder vier Nächte auf dem Campingplatz zusammen ist. Wir bekommen jedes Jahr ganz viele Anfragen von Besuchern, die einen Heiratsantrag auf dem Rocco machen wollen, weil sie sich eben dort ein paar Jahre zuvor kennengelernt haben. Oder sie fragen nach einem besonderen Wohnmobilstellplatz, weil sie jetzt ihr Kind dabei haben, das beim Rocco gezeugt wurde. Ich glaube, um solche Geschichten geht es. Um diesen Austausch von Menschen. Aber ja, neue Musik zu entdecken und die Headliner abzufeiern, gehört auch dazu.
Was war rückblickend die größte Herausforderung?
Das war zweifelsohne 2006. Meine Mitorganisatoren haben sich beruflich und familiär mehr und mehr zurückgezogen. Wir wollten das Rocco an mehreren Tagen veranstalten, hatten aber zeitgleich zu wenig Besucher und extrem schlechte Witterungsverhältnisse. In diesem Jahr hatten wir auf dem Sauwasen alles in Schutt und Asche gelegt. Wir haben vier oder fünf Wochen lang nur aufgeräumt. In der Zeit habe ich sieben oder acht Kilo abgenommen. Das war psychisch und physisch wirklich hart. Aus diesem Jahr ist auch der Spitzname Rocco del Schlammo hängengeblieben. 2007 war alles trocken, das Jahr danach wieder extrem schlammig. Daraufhin haben wir den Platz ausgebaggert, 3.000 Tonnen Schotter reingekippt und wieder Wiese gesät. Bis zum vergangenen Jahr hatte es am Rocco selbst nie mehr so schlimm geregnet, dass alles schlammig geworden ist. Und dann war 2017 plötzlich das Rocco del Schlammo wieder allgegenwärtig. Jetzt musste es regnen, es musste schlammig sein, so richtiges Woodstock-Feeling. Das ist der Mythos, der da reinspielt.
Können Sie sich vorstellen, auch in 20 Jahren noch Rocco zu machen?
Ich liebe das Rocco extrem. Es fällt mir nicht schwer, mich fürs Rocco zu motivieren, und wir reden davon, dass ich das ganze Jahr am Rocco arbeite. Seit fast 20 Jahren. Jeden Tag und das nicht alleine, sondern meine Kollegen im Büro auch. Aber das gehört auch dazu, wenn man es professioneller und größer machen will. Ich freue mich, wenn die größeren, geileren Bands zu uns kommen. Ich bin begeistert, dass Künstler wie Billy Talent und Rise Against uns anrufen und bei uns spielen wollen. Also, wenn es die Möglichkeit gibt, das in 20 Jahren noch machen zu dürfen – auf jeden Fall.
Was war bisher Ihr persönliches Highlight?
(lacht) Der jetzt schon gebuchte Headliner für 2019. Ein definitives Highlight. Diese Größenordnung von Band hat das „Rocco" definitiv noch nicht gesehen. Mehr wird aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht verraten.