Die vor 125 Jahren geborene Schauspielerin Mae West gilt als berühmter Vamp der frühen Tonfilm-Ära. Die blonde Femme fatale schockierte das prüde Amerika mit der Verkörperung einer lasziven Glamour-Frau und freizügigen Botschaften zu Sex und gleichgeschlechtlicher Liebe.
Obwohl das Boulevard-Stück mit dem prägnanten Titel „Sex" von der Kritik zerrissen worden war, waren sämtliche 375 Aufführungen am Broadway seit der Premiere am 26. März 1926 ausverkauft gewesen. Das zahlende Publikum kam fraglos hauptsächlich wegen des blonden Vollblutweibs namens Mae West, die in dem von ihr selbst geschriebenen und produzierten Theater-Event ihre erste große Hauptrolle spielte. Dabei kam der Rolle der Hafendirne allerlei Schlüpfriges über die Lippen. Nach dem knapp einjährigen Erfolg des Stückes und auf Druck zahlreicher Beschwerden seitens bigotter religiöser Gruppierungen sahen sich die New Yorker Behörden zum Einschreiten veranlasst. In dem Theater gab es eine Razzia, West wurde gemeinsam mit ihren Schauspielkollegen festgenommen und anschließend im Jefferson Market Court House wegen Obszönität und Gefährdung der öffentlichen Moral angeklagt.
Am 19. April 1927 wurde sie zu zehn Tagen Gefängnis verurteilt. Sie hätte den Aufenthalt hinter Gittern durch Zahlung einer etwas höheren Geldstrafe vermeiden können, doch sie erkannte sogleich das enorme Publicity-Potenzial der zensurbedingten Verurteilung und trat daher mit einem Arm voller Rosen hinter die Mauern des Gefängnisses auf Welfare Island, wo sie in den folgenden Tagen mit dem Aufseher-Ehepaar dinieren, die Presse mit schlüpfrigen Geschichten füttern und eigenen Angaben zufolge sogar weiterhin ihre eigene Seidenunterwäsche tragen durfte. Nach acht Tagen wurde sie vorzeitig wegen guter Führung entlassen. Plötzlich war sie im ganzen Land bekannt. „Wenn man überlegt, was Sex mir gebracht hat", sagte Mae West, „sind ein paar Tage im Gefängnis und 500 Dollar Buße kein schlechter Deal."
Auch mit dem ihr verpassten Bad-Girl-Image hatte sie keinerlei Probleme. Mae West: „Good girls go to heaven, bad girls go everywhere – Gute Mädchen kommen in den Himmel, böse überall hin." Nur einer von unzähligen Sprüchen, die der mit einer frechen Schnauze gesegneten, kurvenreichen, den lasziven Hüftschwung perfekt beherrschenden und gerade mal 1,52 Meter großen Lady zugeschrieben wurden. Noch im selben Jahr sollte sie mit dem Stück „The Drag" für weitere Furore und landesweiten Aufruhr sorgen, wurden darin doch die Probleme eines Homosexuellen auf der Bühne thematisiert. In Connecticut und New Jersey hatte es erste Aufführungen gegeben, in New York drohten neue Sanktionen, weshalb Mae West auf die geplante Premiere am Broadway verzichtete. Dennoch blieb sie zeitlebens mit all ihrer präfeministischen Frivolität eine Vorkämpferin für die Rechte von Homosexuellen, weshalb sie in ihren späteren Jahren zu einer Art Schwulenmutti stilisiert wurde.
Vom Ehrgeiz der Mutter auf die Bühne getrieben
Mary Jane West wurde am 17. August 1893 in Brooklyn als Tochter des Preisboxers John Patrick West und des ehemaligen deutschstämmigen Korsett- und Bekleidungsmodels Matilda „Tillie" Doelger geboren. Sie wuchs in einem Milieu auf, in dem um 1900 auf Schulbildung nicht sonderlich viel Wert gelegt wurde, sondern die aufblühende Welt der Varietés und der Vaudeville-Theater im Mittelpunkt stand. Getrieben von ihrer ehrgeizigen Mutter war Mae West erstmals im zarten Alter von fünf Jahren auf einer Bühne zu sehen, ab dem siebten Lebensjahr trat sie regelmäßig bei Amateur-Shows auf und gewann mehrfach Preise bei lokalen Talent-Wettbewerben. Mit 14 Jahren startete sie 1907 eine professionelle Künstlerlaufbahn durch ein Engagement bei der Hal Clarendon Stock Company, wo sie unter dem Namen „Baby Mae" auftrat. Auch das Pseudonym „Jane Mast" hatte sie schon früh in ihrer Karriere benutzt.
Auf dem Broadway tauchte sie erstmals 1911 in einer „A la Broadway" betitelten Revue auf. Im Alter von 18 Jahren wurde sie von der „New York Times" wegen ihrer Bühnen-Performance und ihrer schmissigen Stimme gelobt. 1912 mimte sie in „A winsome widow" einen „Baby Vamp" und sorgte sechs Jahre später durch ihren Auftritt in der Revue „Sometime" der Shubert Brothers für einen Skandal, der ihr zugleich zum endgültigen künstlerischen Durchbruch verhalf. Sie hatte es als erste weiße Frau gewagt, den ziemlich anrüchigen Jazz-Bauch-tanz namens Shimmy zu zeigen.
Fortan war sie ein Bühnen-Star und erhielt Anfang der 20er-Jahre ein erstes Filmangebot der Produktionsfirma Pathé, das sie jedoch ablehnte. Ihre 1911 geschlossene Ehe mit dem Schauspielkollegen Frank Szatkus, der sich den Künstlernamen Frank Wallace zulegte, hatte für sie keinerlei Bedeutung und wurde sogar immer verheimlicht, auch wenn die offizielle Scheidung erst 1943 erfolgen sollte. Viel wichtiger war ihr Verhältnis mit dem Piano-Akkordeon-Virtuosen Guido Deiro zwischen 1913 und 1920. Mit dem hatte sich die Verheiratete sogar zuvor verlobt. „Die Ehe ist eine sehr gute Institution", sagte West, „aber ich bin nicht reif für eine Institution."
Diversen Frauen war West ein Dorn im Auge
Bevor sie 1930 nach Hollywood umziehen und dort bis zu ihrem Lebensende wohnen sollte, feierte die zunehmend draller werdende Blondine noch einige Erfolge am Broadway in von ihr selbst geschriebenen Stücken wie „Diamond Lil" im Jahr 1928. Andere Werke wie „The pleasure man" wurden im Oktober 1928 schon nach der Premiere polizeilich verboten. Der Publikumsrenner „Diamond Lil" brachte Mae West im Sommer 1932 einen Vertrag mit dem Filmstudio Paramount Pictures Corporation ein. Gerade für eine Frau war es damals mehr als ungewöhnlich, eine Hollywood-Karriere erst im Alter von 39 Jahren zu starten. Doch kein Problem für die „Statue of Libido", wie Mae West bald als erste Sexgöttin des amerikanischen Films bewundernd genannt wurde. Und ihren Kultstatus untermauerte sie gleich weiter mit Sätzen wie: „Ist das eine Pistole in deiner Hose, oder freust du dich nur, mich zu sehen?"
Nur Mae West hatte es Paramount letztlich zu verdanken, dass die vergleichsweise kleine Firma den Bankrott und die Übernahme durch MGM vermeiden konnte. Mae Wests erste beiden Filme „Night after night" (1932) und „She done him wrong" (1933) wurden Kassenhits. Der zweite Streifen brachte die damalige Rekordsumme von zwei Millionen Dollar ein, was heute etwa 140 Millionen Dollar entsprechen würde. Wie in allen ihren insgesamt zehn Filmen bis 1943 spielte sie die Rolle der lasziven Glamour-Frau, die mit Doppeldeutigkeiten die Begierden der Männer anzustacheln und sie dennoch locker jederzeit unter Kontrolle zu halten wusste. Keine andere Schauspielerin durfte sich im Hollywood der 30er-Jahre so viel herausnehmen wie Mae West. Sie suchte sich die Filmpartner wie Cary Grant selbst aus, duldete keinen Widerspruch seitens der Regisseure und verfasste ihre Dialoge eigenhändig.
Weitere Leinwanderfolge mit „I’m no angel" (1933) und „Belle of the nineties" (1934) machten sie zur bestverdienenden Frau der USA, die Gagen beliefen sich auf 300.000 beziehungsweise 400.000 Dollar. Während Künstler wie Salvador Dalí zu glühenden Verehrern der „Queen of the world", einem weiteren Spitznamen der Schauspielerin, zählten, stachelte der Zeitungszar William Randolph Hearst, unterstützt von diversen Frauenvereinigungen, eine regelrechte Hetzkampagne gegen Mae West an. Diese hatte eine erhebliche Verschärfung der Zensur-Richtlinien ab Juli 1934 zur Folge. Sämtliche Anzüglichkeiten mussten fortan unterbleiben, da sie sonst der Schere zum Opfer gefallen wären. „Die Zensoren waren schon sauer, wenn ich auf dem Schoß eines Mannes saß", sagte Mae West. „Dabei war ich bei mehr Männern auf dem Schoß als eine Serviette." So fehlten Streifen wie „Klondike Annie" (1936), „Go west, young man" (1936) oder „Every day’s a holiday" (1937) das gewisse Salz in der Suppe. Nachdem der Name von Mae West 1937 auf der berühmten Kassengift-Liste erschienen war, löste Paramount den Vertrag mit der Schauspielerin auf.
Sie versuchte sich auch als Musikerin
Mae West drehte bis zum Weltkrieg noch die Filme „My little chickadee" bei Universal Pictures 1940 und „The heat’s on" bei Columbia Pictures im Jahr 1943. Danach kehrte sie wieder zur Bühne zurück, spielte am Broadway in Stücken wie „Catherine was great" 1944, hatte in den 50er-Jahren eine eigene Show in Las Vegas, tingelte durch Bars und Nachtclubs und veröffentlichte 1958 ihre Autobiografie „Goodness had nothing to do with it". Filmangebote von Regisseuren wie Billy Wilder oder Federico Fellini wies sie zunächst zurück, ließ sich später dann aber doch noch zur Mitwirkung an zwei wenig sehenswerten Produktionen mit den Titeln „Myra Breckinridge" (1970) und „Sextette" (1978) überreden. Auch als Sängerin hatte sie sich immer wieder mal versucht, ihr erstes Album „The fabulous Mae West" war 1955 erschienen. 1966 und 1972 sollten zwei Rock-and-Roll-Alben folgen. Die Jahre bis zu ihrem Tod am 22. November 1980 infolge eines Schlaganfalls verbrachte sie in ihrem kalifornischen Domizil, zur Mumie geschminkt, umgeben von jungen Muskelmännern, von denen sie Paul Novak zu ihrem letzten Partner erwählt hatte.