Früher war die Baleareninsel für deutsche Urlauber so exotisch wie Bali. Heute ist sie für viele Touristen die Lieblingsinsel schlechthin.
Damals in den 70ern versprach uns eine Reise nach Mallorca die ganz große Welt. Als Teenager waren zwei oder drei Wochen Sommerurlaub auf der Baleareninsel der Traum schlechthin.
1975 war endlich auch mein Jahr. Mein größter Wunsch wurde erfüllt. Mit der Familie flog ich nach Palma. Es war meine erste Flugreise. Wie aufregend. Nach Ankunft brachten uns Busse nach Can Picafort und direkt ans Meer. Der Ort war für mich trotz des Quartiers in einer Bettenburg die reinste Verheißung: Schwimmen, Sonnen, ein paar Ausflüge mit den Eltern und Shoppen mit dem Triumphgefühl, dass das gute und individuelle Stück auch garantiert niemand anders hat. Und natürlich das südliche Nightlife, zu dem das abendliche Abtanzen in der Hoteldisco ebenso gehörte, wie die Eltern, die direkt vor der Tanzfläche mit den silbernen Lichtkugeln ihre Cocktails schlürften. Das Leben war schön!
Die auf dem örtlichen Wochenmarkt erstandenen Kastagnetten habe ich heute noch und hüte sie wie meinen Augapfel. Als ich jetzt wieder vor Ort war, habe ich diese Instrumente nicht mehr entdeckt. Somit bleiben sie für mich einzigartig.
Schon die Schriftstellerin George Sand und ihr Geliebter, der polnische Komponist Frédéric Chopin, mochten die Insel. Die Autorin bezeichnete sie gar „als schönsten Ort der Welt", als sie den Winter 1838 dort verbrachten. Hundert Jahre später hatte die Insel gerade mal 40.000 Besucher. 1950 hatte sich die Zahl schon verdreifacht. Den Touristenboom machten sich auch Rogelia und Antonío Xamena zunutze. Das junge Ehepaar kaufte 1953 ein Haus in Illetas nahe der Hauptstadt Palma, wo Antonío in einem Herrenkonfektionsgeschäft arbeitete. Später sollte es ein Hotel werden, wo 1955 auch der Hollywood-Schauspieler Errol Flynn einen Monat lang logierte. Er verliebte sich in die Gegend, mietete ein Haus ganz in der Nähe und bewohnte es für mehrere Jahre. Die Xamenas und Flynn wurden Freunde, und die Familie erinnert sich noch heute gerne an die illustre Gesellschaft, die der Star aus Hollywood als Hotelgäste mitbrachte.
Errol Flynn verliebte sich in die Gegend
Mit 21 Jahren heiratete Rogelia ihren Antonío. Fortan lebte sie mit ihrem Mann in der Hauptstadt Palma. Er liebte es, im Meer zu schwimmen, und bald darauf zog das junge Paar nach Illetas. Antonío pendelte jeden Tag zur Arbeit nach Palma. Die junge Frau vermisste das Leben, das sie in Palma geführt hatte. Sie langweilte sich allein in dem großen Haus, denn sie war es immer schon gewohnt, Familie und Freunde um sich zu haben. Spontan entschlossen sich die beiden, aus dem weitläufigen Gebäude eine Pension zu machen. Rogelia genoss es, für die Gäste zu sorgen, und auch Antonío gefiel das Leben in Gesellschaft, wenn er abends nach Hause kam. Bald darauf gab er seine Arbeit auf und widmete sich fortan hauptsächlich den Gästen. Im Laufe der Jahre wurden weitere Häuser hinzugekauft, und das Gästehaus vergrößerte sich. Das Hotel „Bonsol" entstand. Zu Ehren ihrer Schutzheiligen ließ Rogelia im Hotel eine kleine Kapelle bauen, in der sie täglich betete. Auch die Hotelgäste von heute können sie jederzeit zu einer stillen Andacht besuchen. Hinter dem Altar hängt die goldene Ikone mit dem Abbild der Heiligen. Links daneben steht die Figur der Mutter Gottes. „Als die Kapelle gesegnet wurde, war meine Mutter sehr glücklich", erinnert sich der 73-jährige Sohn Martín Xamena.
Heute führt er gemeinsam mit seinem Sohn Alejandro die 18.000 Quadratmeter große Anlage mit subtropischem Garten, mehreren Pools und Restaurants. Die einzelnen Gebäude sind durch Tunnel verbunden. Von der Rezeption hinauf führt eine Treppe in die Ahnengalerie mit den Porträts der Gründer. Die junge dunkelhaarige Rogelia trägt darauf ein langes schwarzes Kleid, ihr Mann Antonío blickt den Betrachter ernst an.
„Mein Vater war sehr gottgläubig", sagt Martín Xamena heute. Früher hatte jeder mallorquinische Bauernhof eine Kapelle. „Es gab keine Autos, mit denen die Arbeiter zur Messe in die Stadt fahren konnten", erklärt der Hotelier. „Deshalb wurden die kleinen Gotteshäuser direkt auf das Anwesen gebaut." Zudem gab es in jeder reichen Familie fast immer einen Sohn, der Priester werden sollte. Denn das gehörte zum guten Ton und wurde von der Gesellschaft wohlwollend akzeptiert. „Er las dann eine Messe pro Tag in den häuslichen Familienkirchen."
Und nachdem das Hotel für die Familie Xamena ein Zuhause wurde, durfte die Kapelle natürlich nicht fehlen. „Früher haben wir hier zu jedem Fest eine Messe gehalten", sagt der elegante Mittsiebziger. „Mutters Geburtstag, Ostern, Weihnachten, manchmal gab es pro Monat sogar mehrere Anlässe", schmunzelt er. „Und natürlich haben wir die Andachten auch mit den Gästen zelebriert. Für meine Mutter war das immer etwas ganz Besonderes."
Joana Llado steht auf der Dachterrasse des „Hotel Tres" über der Altstadt von Palma und deutet hinüber auf La Seu, wie die Kathedrale im Volksmund genannt wird und was auf Katalanisch „Bischofssitz" bedeutet. Die stellvertretende Hotelchefin mag den Anblick von hier oben am liebsten, und auch die Gäste sind von der Pracht begeistert. Die Mallorquiner sind stolz auf ihre Kathedrale. Nicht nur darüber, dass sie jährlich Tausende von Touristen anzieht, sondern vor allem weil sie die einzige Kathedrale weltweit ist, die sich dank des künstlich angelegten Sees im Wasser spiegelt. Damit wurde eine Attraktion geschaffen, die ihresgleichen sucht. „Im Inneren gibt es ein Rundfenster, das aufgrund seiner Fläche als größte gotische Rosette der Welt bezeichnet wird", betont Joana Llado. Seit dem Mittelalter haben in der Kirche viele Baustile ihre Spuren hinterlassen. Der bekannteste Architekt, der hier gewirkt hat, ist zweifelsohne Antoni Gaudí. Der berühmte Architekt steuerte durch seine Restaurierungs- und Dekorationsarbeiten in den Jahren 1904 bis 1914 Kunst im katalanischen Jugendstil (Modernisme) bei.
Gaudí nahm auch einschneidende bauliche Veränderungen im Chorraum vor. Dieser wurde aus der Mitte des Kirchenschiffs in die Königskapelle verlegt. Dabei wurde der Stuhl des Bischofs erneuert, und die Gläubigen erhielten freien Blick auf den Hochaltar. Und unter dem Chorgestühl entwarf der katalanische Baumeister einen Hohlraum, damit sich der Gesang, auch ohne Mikrofone, in der gesamten Kathedrale verbreiten kann. Der Raum ist mannshoch und wirkt wie ein Resonanzkasten. Dieser Hohlraum wurde erst vor Kurzem bei einer neuerlichen Renovierung wiederentdeckt.
Der 1957 geborene mallorquinische Künstler Miquel Barceló hat die Kapelle des Allerheiligsten im rechten Seitenschiff neu gestaltet. Hier hängt sein Werk über die Wundersame Vermehrung von Brot und Fisch. Die Menschen der Baleareninsel sind religiös, ehren ihre Heiligen und lieben Prozessionen. Als Mallorquinerin ist Llano diesbezüglich keine Ausnahme.
Nur einen Katzensprung entfernt liegt das Rathaus. Auf dem Platz davor steht ein alter Olivenbaum, der einen besonderen Schutz genießt. Darunter sitzen Touristen und Einheimische gleichermaßen bei Tapas und Drinks beisammen und genießen die Abendstimmung. Der Baum ist rund 600 Jahre alt und zu einem wichtigen Symbol Palmas geworden. 2003 wurde er in die Liste einzigartiger Bäume auf den Balearen aufgenommen. Der Olivenbaum war auf einer Finca bei Pollença herangewachsen und später ins Zentrum Palmas versetzt worden.
Ein Hotel im alten Stadtpalast
Das „Hotel Cort" gleich nebenan ist ein alter Stadtpalast, stilvoll renoviert mit wenigen Doppelzimmern, aber einigen Suiten. Vom Balkon blickt man hinunter auf das Treiben der Flanierenden und fühlt sich angekommen. Wie zu Hause, denn die skandinavischen Besitzer haben hier genau wie im „Tres" eine Wohlfühlatmosphäre geschaffen. Das temperamentvolle Leben in der Hauptstadt bleibt hinter den dicken Mauern und auf der ruhigen Dachterrasse mit Pool und Liegestühlen außen vor. Solange man will. Jedes Zimmer besitzt eine eigene kleine Bibliothek mit Kunst- und Designbüchern. Der deutsche Manager Sven Rasch kümmert sich um jeden einzelnen Gast selbst und weiß, was seine Besucher wollen oder auch nicht. Das Frühstück à la carte wird entweder draußen serviert oder im Restaurant hinter großen Fenstern. Auch bei kühleren Temperaturen kann man so am Geschehen draußen bestens teilnehmen.
Und was würde Joana Llado für einen einwöchigen Aufenthalt empfehlen? Am besten kein Auto mieten, denn Parkplätze sind in der Hauptstadt Mangelware. Unbedingt den alten Zug von 1912 nach Soller nehmen. Die Fahrt dauert rund 50 Minuten und ist landschaftlich besonders reizvoll: Alte Bahnhäuschen wechseln sich mit weiten Olivenplantagen ab, dazwischen verschlafene Dörfer, in denen die Zeit stehengeblieben zu sein scheint.
Nach Ankunft bietet es sich an, den Ort Soller zu besichtigen und am Hafen zu Mittag zu essen. Und wer Wein mag, sollte die Anbauregionen und Orte Binissalem,
Connell, Petra und Santa Maria del Cami kennenlernen. Einschließlich Weinverkostung, versteht sich! Auch diese Orte sind von Palma aus leicht mit dem Zug zu erreichen.
Und an einem Tag sollte man den Bus nach Valldemosa nehmen und dort Coca di Patata probieren. Ein süßes mallorquinisches Kartoffelgebäck. Deià als weiteres Entdeckungsziel ist ein alter Künstlerort mit zahlreichen Restaurants. „Unbedingt in einem der vielen typischen Lokale das Mittagessen einplanen", rät Llado. Stadtnahe Strände gibt es in Illetas oder Portixol. Der Park Cala Mondragó mit seinen kleinen Buchten liegt rund eine Busstunde entfernt. Den bekannten Strand Es Trenc würde die Hotelchefin derzeit nicht empfehlen, da es keine Strandbuden mehr gibt.
In Palma selbst ist der Mercado Olivar wegen seiner lokalen Produkte – oder um Austern zu essen und Cava zu trinken – ein Muss für alle Genießer. Es ist das Markthallen-Ambiente und das Mittendrinsein zwischen Fremden und Einheimischen. Wer gerne Fisch ist, sollte das Restaurant „Ca‘n Eduardo" am Hafen unbedingt auf seiner Liste haben. Und dann gibt es am Samstagnachmittag noch den Tardeo, dieses Flanieren mit der ganzen Familie im Stadtteil Santa Catalina, bevor es für Nachtschwärmer heißt: Tapas essen in „La Boveda", auf einen Cocktail ins „Abaco" und den Rest der Nacht zum Abtanzen ins „Tito’s".
Mallorca für ein paar Tage oder ein paar Wochen: Alles ist drin, es gibt immer etwas zu sehen und zu bestaunen. Und Tipps von Inselbewohnern wie Joana Llado sind immer noch die besten! Ich habe sie beherzigt und mich wohlgefühlt, obwohl das Gefühl von damals ein ganz anderes war. Aber das ist ja klar, einst war Mallorca so exotisch für uns wie heute Bali. Zeiten ändern sich zwar, aber die Baleareninsel ist für viele immer noch das schönste Urlaubsziel, das es gibt.