Eine Überraschung bahnte sich kurz vor den US Open (27. August bis 9. September) an, als Stefanos Tsitsipas an seinem 20. Geburtstag im Finale von Toronto den Trickkünstler Rafael Nadal in Break-Nöte brachte. Auf Hartplatz drängen die jungen Wilden noch erbarmungsloser an die Golden Oldies heran als auf anderen Belägen. Und jetzt wird sogar zwischen den Aufschlägen aufs Tempo gedrückt.
Das ist großartig, so in die Hartplatz-Saison zu starten", kommentierte Nadal noch auf dem Platz seinen vierten Turniersieg beim Rogers Cup, mit fünf Jahren Abstand zu seinem letzten Triumph dort. „Du gewinnst Masters-1000er-Turniere nicht so oft. Es ist ein wichtiger Sieg für mich, und ich bin sehr glücklich."
Hier wischen, dort zupfen, sich noch ein paar weitere Bälle geben lassen – mit 32 Jahren, nach 80 gewonnenen Turnieren und als Vorbild vieler junger Tennisspieler, ist „Rafa" immer noch ein Nervenbündel, wenn er aufschlägt. Manchen Gegner bringt es aus dem Konzept, wenn der Spanier ansetzt und dann doch nicht schlägt. Nervenflattern hier, Zermürbung dort. Damit ist jetzt Schluss. Zumindest beim vierten Grand Slam der Saison, den US Open im brodelnden Big Apple New York, und bei deren 500er- und 1.000er-Vorturnieren in Washington, Toronto und Cincinnati.
Mehrere Doppelfehler produzierte Nadal, als der Getriebene im Finale von Toronto von der Sekunden herunterzählenden Shot Clock unter Stress gesetzt wurde: 25, 24, 23…0. Doch Nadal wäre nicht der Mann mit dem eisernen Willen, wenn er nicht den Tiebreak zu seinen Gunsten gewendet hätte.
„Ein sehr wichtiger Sieg"
Die Shot Clock tickt laut: Eine Warnung beim ersten Verstoß, Punktabzug beim zweiten, und bis zu 20.000 Euro Strafe beim Ignorieren des „Seven-Minute-Warmups": Nach dem Einlauf bleibt den Spielern nur eine Minute Zeit bis zum Münzwurf, fünf Minuten zum Warmspielen und noch einmal eine Minute, bis das Match beginnt. Das bedeutet kaum Spielraum, um die Stärkungsflaschen in ritualisierter Form aufzustellen. Keine Muße, um mit abgekühltem Kopf nach einem hitzigen Ballwechsel wieder aufzuschlagen. Schneller sollen die großen Turniere werden, mit weniger Wartezeiten für die Zuschauer auf den Tribünen und vor den Fernsehern.
Premiere für die Shot Clock bei einem Grand Slam, wenn sie auf den Big Apple zielt. Das heißt, verkürztes Luftholen bei den anstrengenden Best-of-Three-Matches, wo die Herren bis zu fünf Sätze, mit offenem Ende im letzten Satz, spielen. Damit nicht genug der Neuerungen: Im USTA Billie Jean King National Tennis Center in New York City wird bei den US Open letztmals mit 32 gesetzten Wettkämpfern gespielt – bei den künftigen vier Grand-Slam-Turnieren pro Jahr nur noch mit 16 Gesetzten. Die Zeiten stehen auf Neuerungen im Traditionssport Tennis, ob bei den Turnieren der Internationalen Föderation ITF oder der Spielervereinigung ATP.
Modernisierung, Kommerzialisierung, Show und Tempo – immer rasanter schlagen Änderungen, Vorschläge und Ideen auf. Wie auch im Davis Cup, der ab 2019 örtlich und zeitlich in einem einwöchigen Turnier zentriert werden wird.
Zu den Neuheiten der Grand Slams gehört der Komfort ihrer großen Arenen. New York verwöhnt seine Tennisgäste 2018 erstmals im neu gebauten Louis Armstrong Stadium mit Dach und Platz für 14.000 Zuschauer. Ausgerechnet Nadal, der so gerne Sicherheit in seinen fixen Rahmenbedingungen sucht, soll inmitten aller Neuerungen seinen Vorjahrestitel bei den US Open verteidigen. Auf Hartplatz, wo es – bis auf die jungen Grundlinienspieler – nicht wirklich Spezialisten gibt. Mit ein Grund, weshalb es in diesem Jahrtausend elf verschiedene Sieger in New York gab.
Roger Federer fürchtet Flushing Meadows ein wenig, gewann dort zuletzt 2008 und kassierte manche Pein. In Cincinnati spielte er sich jüngst gegen den Münchner Peter Gojowczyk, Nummer 49 der Welt, auf die Härten des amerikanischen Slam-Belags ein. Ein Belag, der die Turniere der Welt immer mehr dominiert, aber gerade den Älteren zu schaffen macht: David Ferrer, Sieger von 2009, will bei den diesjährigen US Open mit 36 Jahren seinen letzten Grand Slam spielen. Auch der Münchner Florian Mayer beendet dort seine Grand-Slam-Karriere und sein Profi-Dasein – mit 34 Jahren, müde geworden vom harten Grundlinienspiel der Youngsters.
Leichter wird sich Sloane Stephens tun, Titelverteidigerin bei den Damen, die mit 25 Jahren heftige Herausforderungen liebt. Heiße Konkurrentin – neben der Weltranglisten-Ersten Simona Halep – wird für sie Angelique Kerber sein. Nach ihrem Wimbledon-Sieg auf Platz vier unter die besten Tennisspielerinnen der Welt zurückgekehrt, könnte die zuletzt etwas schwächelnde Angie auf Hartplatz an ihren US-Open-Triumph von 2016 anknüpfen.
Ferrer und Mayer beenden Karriere
Julia Görges, Zehntbeste der Damen im weltweiten Ranking, ist ebenfalls in bester Verfassung. Leichter könnte es der Regensburgerin fallen, in Flushing Meadows weit zu kommen, als der sechsmaligen US-Open-Titelträgerin Serena Williams. Die 36-Jährige kämpft ein Jahr nach der Geburt ihrer Tochter mit dem Zwiespalt zwischen Konzentration auf ihr Kind und Konzentration auf die Karriere, sagte deshalb jüngst auch ein Turnier ab. Serena twitterte über ihre Gefühlslage als „schlechte Mutter", haderte etwa damit, beim Training gewesen zu sein, während ihre Tochter die ersten Schritte machte.
Tennis ist nicht mehr weiß-steril. Emotionen werden wieder mehr nach oben gekehrt. Auch bei Pressekonferenzen, wo beispielsweise Sascha Zverev kürzlich das Wort „erbärmlich" über sein Match gegen Stefanos Tsitsipas gebrauchte. Der empfand das wohl nicht so: Immerhin bezwang der Grieche, der manche an einen Piraten aus „Fluch der Karibik" erinnert, im Turnier von Toronto die Top-Ten-Spieler Dominic Thiem, Novak Djokovic, Zverev, Kevin Anderson und auch fast noch Nadal.
Bei der US-Open-Serie, Vorspiele des letzten Grand Slams des Jahres in nordamerikanischen Austragungsorten vor großer Kulisse, gibt es viele Punkte zu gewinnen und zu verlieren. Für Nadal, der sich zum vierten Mal den Rogers Cup holte und genussvoll fürs Foto hineinbiss, waren weder der 1.000-Punkte-Gewinn, noch die mehr als eine Million US-Dollar auf dem Gewinnscheck sehr relevant. Schließlich führt der Spanier mit 80 ATP-Turniertiteln und mehr als 10.000 Weltranglistenpunkten das Ranking aktuell um mehr als 4.000 Punkte vor Roger Federer an, der seit Sommer 2016 nur 19 Turniere spielte, und um rund 5.000 Punkte vor Juan Martin del Potro liegt, der es mit 30 Jahren verdient auf den dritten Platz der Weltrangliste schaffte. Novak Djokovic ist nach Wimbledon immerhin wieder Weltzehnter, Andy Murray, US-Open-Sieger von 2012, nach seiner Hüft-OP noch am Zurückkämpfen in relevante Ränge.
Die Etablierten, aber nie ganz vorne Notierten, haben in Zeiten, in denen nur zwei der „Big Four" noch vorne in den Top Ten stehen, Chancen auf die vorderen Plätze. Wenn die nicht gerade von den jungen, „wilden" 19- und frühen 20-Jährigen belegt werden. Seit vergangenem Jahr war Position drei lange von der deutschen Nummer eins, Alexander „Sascha" Zverev, okkupiert gewesen. Das erste US-Open-Serien-Turnier auf Hartplatz in Washington, die Citi Open, gewann der 21-Jährige jüngst souverän, wie im vergangenen Jahr. Der neunte Turniersieg für Sascha, der dritte in diesem Jahr, gegen den ebenfalls 21-jährigen Australier Alex de Minaur, einen weiteren Angreifer aus der Riege der künftigen Führungsspieler. Wichtige 500 Punkte waren damit verteidigt.
Doch der Rogers Cup, den Zverev im vergangenen Jahr ebenfalls gewann, schloss sich direkt an. Diesmal reichte die Frische nicht ganz aus. Tsitsipas, den Zverev in Washington noch klar dominiert hatte, drehte im zweiten Satz in Toronto plötzlich auf.
Drama auch hier, der 5:2-Vorsprung des Deutschen war im Tiebreak endgültig weg. Die Partie ging im dritten Satz, nach Vorsprung und zwei vergebenen Matchbällen, schließlich mit Doppelfehler von Zverev verloren. Der Grieche habe gar nicht „so gut" gespielt, kommentierte Sascha, sichtlich genervt von sich selbst. Mag sein. Zunächst. Doch im zweiten und dritten Satz gelang es Stefanos Tsitsipas sich zu puschen und den mittlerweile nicht mehr mit voller Breitseite agierenden Zverev mit seiner eigenen, ganzen Bandbreite zu Fehlern zu veranlassen.
Großes Theater mit nur zwei Beteiligten, das ist die neue Tenniswelt, in der sich wieder mehr bewegt, die spannend ist, die Spaß macht. Demnächst mehr davon auf der Bühne im Big Apple!