Der freie Markt wird die Wohnungsknappheit nicht richten. Zumindest nicht für die, die wenig Geld haben – da ist sich Chris Kühn, wohnungspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, sicher. „Der Staat muss Leitplanken einziehen", fordert er. Auch für diejenigen, die Grundstücke oder Häuser besitzen.
Herr Kühn, Wohnungsbau ist doch eine gute Sache, Wohnungen fehlen ja. Wieso wurde dann schon im Vorfeld des Bundeswohngipfels am 21. September geschimpft, es gehe fast nur um Immobilien?
Die Wohnungspolitik ist in Schieflage geraten, die Mieten explodieren seit Jahren. Zwischen denen, die mit Immobilien Geld verdienen, und denen, die zur Miete wohnen, herrscht ein klares Ungleichgewicht. Der Wohngipfel spiegelt das wider. Er sollte aber auch diejenigen stärker beteiligen, die für die Interessen der Mieter oder auch der Wohnungslosen einstehen. Sie sind beim Wohngipfel gegenüber der Immobilienwirtschaft stark unterrepräsentiert. Damit ist der Gipfel ein immobilienwirtschaftlicher Gipfel, kein Wohn- oder gar Mietengipfel.
Das heißt, dieses Ungleichgewicht bleibt auch in der künftigen Wohnungspolitik bestehen?
Um das zu beurteilen, muss man erst einmal die Ergebnisse des Gipfels abwarten. Ob durch solch eine Hochglanzveranstaltung vor der Bayernwahl ein Aufbruch zu einer sozialen Wohnungs- und Mietenpolitik in Deutschland startet, bezweifle ich. Beispielsweise nehmen das Sozial- und das Umweltministerium am Gipfel nicht teil. Damit werden alle sozialen und umweltpolitischen Fragen beim Wohnen von vornherein ausgeklammert.
Wenn so viele nicht mitmachen: Fehlt es dann nicht an Wissen aus verschiedenen Bereichen?
Ich glaube, bei der Frage des sozialen Wohnungsbaus geht es nicht um ein Erkenntnisproblem, ebenso wenig bei Baumaßnahmen zum Klimaschutz. Die Bundesregierung hat ein Umsetzungsproblem. Alle streiten sich wie die Kesselflicker um eine Novelle bei der Mietrechtsreform und gebären am Ende eine Miniverbesserung bei der Mietpreisbindung, die die Grundprobleme nicht löst. Die Ausnahmen müssten rausgenommen werden, die Mieten dürften nicht weiterhin zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen, all das ist bekannt. Es geht aber auch um die Frage, wie man Boden, Immobilien und Wohnungen dauerhaft den Spekulationen entzieht. Die Unionsseite glaubt, dass es der Markt richtet. Das blockiert, und die SPD kämpft nicht genügend für andere Ideen. Im Koalitionsvertrag ist vieles vereinbart; aber das reicht nicht, die Bundesregierung muss deutlich mehr liefern.
Zum Beispiel?
Erstens muss das Mietrecht wieder zum Schutzrecht werden. Zweitens müssen wir dafür sorgen, dass Wohnraum durch die Einführung einer neuen Wohnungsgemeinnützigkeit wieder dauerhaft sozial gebunden ist…
Was ist denn diese neue Wohnungsgemeinnützigkeit?
Gemeinnützigkeit ist ein Prinzip der sozialen Marktwirtschaft: Für bezahlbaren und sozial gebundenen Wohnraum erhält man eine Steuervergünstigung. Das wurde 1990 abgeschafft, ein großer Fehler. Seit 2002 hat sich die Zahl der Sozialwohnungen halbiert, trotz Neubau. Wir wollen, dass wieder ein Gemeinnützigkeitssegment eingeführt wird. Steuerförderung muss also zielgerichtet sein.
Wer wären die Akteure der neuen Wohnungsgemeinnützigkeit?
Vor allem geht es um kommunale Wohnungsunternehmen, genossenschaftliche Unternehmen, Menschen, die sich als gemeinnützige Aktiengesellschaft gründen und sagen, sie wollen in bezahlbaren Wohnraum investieren und noch eine Altersvorsorge bekommen. Die neue Wohnungsgemeinnützigkeit ist ein ethisches Investment, viele wollen ihr Geld für etwas Gutes einsetzen. Gemeinnützigkeit richtet sich nicht nur auf sozialen Wohnungsbau, es geht auch um Wohnraum für die mittleren Einkommensschichten, dann eben mit geringerer steuerlicher Förderung.
Auch jetzt gibt es doch schon steuerliche Förderungen. Wieso sind die nicht gut genug?
Das sogenannte Baukindergeld wird zu Mitnahme-Effekten und Baupreissteigerungen führen, aber nicht zu mehr bezahlbarem Wohnraum. Ebenso die Sonderabschreibung, da profitieren weder eine Genossenschaft, noch ein kommunales Unternehmen oder eine gemeinnützige Stiftung. Wir sollten aber die Akteure staatlich fördern, die etwas zum Gemeinwesen beitragen, keine Gießkannenpolitik.
In der Einladung zum Alternativen Wohngipfel, der Gegenveranstaltung zum Bundeswohngipfel, werden Grundgesetzartikel genannt, die sich ums Eigentum – im Extremfall um Beschlagnahmung von Eigentum – drehen. Ist das nicht ein No-Go?
Eigentum verpflichtet – das ist im Grundgesetz klar formuliert. Aber viele spekulieren mit Baugrundstücken oder Immobilien. Sie werden ihrer sozialen Verpflichtung nicht gerecht, da muss der Staat Leitplanken einziehen.
Schon heute gibt es Vorkaufsrechte für Kommunen, sie dürfen also Grundstücke oder Häuser zum Verkehrswert erwerben –
das muss gestärkt werden. Kommunen müssen auch Bau-Gebote aussprechen oder sich an Planungsgewinnen anders beteiligen können; schließlich macht Baurecht ein Grundstück wertvoller. Selbstverständlich müssen solche Eingriffe mit Begründungen, Fristen, klaren Regeln geschehen. Aber es muss solche Möglichkeiten geben. Wohnungspolitik muss Daseinsvorsorge sein.
Apropos Kommunen: Sind nicht im Prinzip die Länder näher dran, wenn es um einen angespannten Wohnungsmarkt vor Ort geht? Sollten sie nicht mehr Rechte bekommen, das in Eigenregie zu regeln?
Ich glaube, da müssen Bund, Länder und Kommunen, also alle Ebenen zusammen, aktiv mehr machen. Der „freie Markt" sorgt nicht für bezahlbaren Wohnraum, momentan haben wir eher Marktexzesse. Steuer- und Mietrecht, die Landesbauordnungen und Wohnraumförderung, Planungsrecht und Liegenschaften – alle drei Ebenen sind gefordert, das Ruder rumzureißen. Wohnen ist ja auch eine Form von Heimat; wenn man es ernst meint mit den gleichwertigen Lebensverhältnissen, ist Wohnen zentral. Darum muss sich vor allem der Bund mehr kümmern.
Wie denn?
Zum Beispiel, indem er eigene Liegenschaften nicht zum Höchstpreis verhökert, sondern sie verbilligt für den sozialen Wohnungsbau abgibt. Er muss auch die Kommunen besser im Planungsrecht unterstützen.
Und was haben die Kommunen davon?
Auch für Kommunen ist eine nachhaltige Wohnungspolitik sinnvoll. Wer ein Grundstück beispielsweise in Erbpacht abgibt, hat davon auch in vielen Jahren noch etwas, statt kurzfristig eine Rendite mitzunehmen. Oder man baut mit kommunalen Unternehmen selbst. Das würde auch die Kosten für Sozialtransfers, für die Unterbringung von Menschen, die obdach- und wohnungslos sind, senken.
Im Umland sind die Mieten oft niedriger, aber dort brauche ich ein Auto, das Internet hakt auch öfter mal. Machen Visionen immer an der Stadtgrenze halt?
Die CSU-Verkehrsminister der vergangenen Jahre haben sich eher um die Pkw-Maut gekümmert als darum, dass Regionen nicht abgehängt werden. Aber auch in Dörfern oder kleinen Städten muss mehr passieren. Das Baukindergeld sorgt hier für noch mehr Zersiedelung. Stattdessen sollte es Gebietskulissen geben, innerhalb derer gefördert wird, zum Beispiel „Jung kauft alt" im Ortsbereich. Eine vernünftige Struktur- und Verkehrspolitik, medizinische Versorgung, Kultur, Freizeitangebote – das muss alles zusammenkommen.
Zurück in die Stadt mit ihren explodierenden Mieten. Wie dreht man eine Schieflage zurück?
Man muss über das Mietrecht und eine funktionierende Mietpreisbremse oder eine geringere Umlage von Modernisierungskosten zumindest weitere Preisanstiege verhindern und sozial gebundenen Wohnraum fördern und bereitstellen. Nach und nach für eine Entspannung auf dem Wohnungsmarkt zu sorgen – das braucht einen langen Atem. Was ich der GroKo vorwerfe: Das alles haben wir und andere schon vor Jahren moniert. Die Regierung hat nicht gehandelt, und diese Versäumnisse werden uns noch lange beschäftigen.
Und die Menschen auf die Straße treiben…
Wohnen betrifft alle. Ein angespannter Wohnungsmarkt trifft vor allem die, die ohnehin nicht viel haben. Aber das Problem reicht bis in die Mittelschicht hinein. Das ist natürlich sozialer Sprengstoff und führt zu großen Ängsten und viel Frust. Wir müssen uns kümmern – und dürfen die Wohn-Frage vor allem nicht denjenigen überlassen, die mit ganz einfachen Parolen hetzen. Die Geflüchteten sind nicht schuld daran, dass es zu wenige Wohnungen gibt, das war schon vor 2015 so. Die soziale Mischung in den Städten ist eine Grundvoraussetzung für Demokratie, der öffentliche Raum muss für alle da sein. Dieser Aufgabe muss sich Politik annehmen. Wohnen ist auch eine Demokratiefrage.