In der Hauptstadt von Tadschiksitan können Touristen neben der faszinierenden Kultur vor allem die Abwesenheit des internationalen Reisestroms genießen.
Sitora streift durch den Schachmansur-Markt im Zentrum von Dushanbe. Für eine Arbeitskollegin möchte sie ein Teeservice kaufen, typisch tadschikisch, aus Porzellan mit blau glasierten Ornamenten. Sitora, 26, trägt tadschikische Tracht, eine wadenlange, geschlitzte Tunika in roter, grüner und blauer Ikatweberei, darunter passend gemusterte Hosen. Ein Kopftuch trägt sie nicht. So bunt kleiden sich viele Frauen in Dushanbe, doch Jeans und Blusen sind auch zu sehen. Sitora ist, wie jeden Sommer, zu Besuch hier. Sie lebt in New York, ihr Vater bekam die Green Card vor 14 Jahren. Sie war damals 13, wollte nicht in die USA und möchte immer noch lieber in Tadschikistan leben.
Die Marktstände quellen über von Plastik-Eimern, -Matten, -Schüsseln, alles quietschbunt, lokales Geschirr verstaubt im Lager. „Hier war mal die Seidenstraße, jetzt ist es nur noch eine Plastikstraße", sagt Sitora resigniert. Sie kauft Brot, so groß wie Autoreifen, zahlreiche Verkäuferinnen sitzen lethargisch hinter den gestapelten Fladen, beim Sprechen glänzen ihre Reihen von Goldzähnen. Die Hitze steht in der Luft, wieder einmal hat es jetzt Ende Juli 45 Grad. Vor dem Markt schlappen junge Männer umher, sie stapeln Wassermelonen, wuchten sie von Lkw, schichten sie in Schubkarren. Endlose Felder von Wassermelonen müssen vor Dushanbe liegen, unzählige Lastwagen stehen hier, voll beladen. Doch der Schachmansur-Markt wird verschwinden. Er liegt in einer Mahalla, einem traditionellen Stadtviertel, in dem sich hinter Eisentoren und Mauern verschachtelte, flache Gebäude, Höfe, Gärten verbergen. Wassergräben säumen die Straßen. Granatäpfel hängen über den Zaun, Kinder zerren Spielzeug auf die Straße – ein aufblasbares Krokodil, ein pinkes Fahrrad, ein Hula-Hoop-Reifen.
Grösste Bibliothek Zentralasiens
Der Himmel ist verspannt von Leitungen, Drähten, Masten. All das soll es bald schon nicht mehr geben. Der Markt soll abgerissen werden, von den sogenannten Mahallas sind kaum noch welche zu finden. Die Händler für Trockenfrüchte sind bereits in eine neue Markthalle umgezogen. Diese ist riesig, sauber und ziemlich leer.
„Dushanbe muss modern werden", so jedenfalls erkläre es Präsident Emomali Rahmon, sagt Sitora wehmütig. Sie blickt nostalgisch auf ihre alte Heimatstadt, die mal ein Marktdorf an der Seidenstraße war. Als Tadschikistan Sowjetrepublik wurde, musste eine Hauptstadt her. Die Wahl fiel auf das Dorf mit dem Montagsmarkt: Dushanbe bedeutet Montag auf Tadschikisch. Die Stadt wurde umgetauft, hieß bis 1961 Stalinabad. Die neuen Herrscher rissen die dörflichen Häuser ab, zahlreiche neoklassizistische Bauten entstanden, einige stehen noch entlang der schattigen Alleen in der Innenstadt. In ihren Pastellfarben sind sie ein beschaulicher Anblick.
Aber nun soll wieder alles anders werden. Dushanbe zählt 700.000 Einwohner und zeigt sich glitzernd, mit Hochhäusern, Glasfassaden, einem gigantischen Präsidentenpalast, der größten Bibliothek Zentralasiens, 2012 eröffnet, 45.000 Quadratmeter. Das größte Teehaus Zentralasiens – verschwenderisch dekoriert. Ein österreichischer Architekt wendet sich mit Grausen, grässlicher Protz-Prunk sei das, reinster Kitsch. Doch Ornament muss sein; die Tadschiken sind stolz auf ihr Teehaus, alle fragen, warst du schon dort? Und ob man den Fahnenmasten gesehen habe? Der nun ist nicht zu übersehen, mit einhundertfünfundsechzig Meter größter Fahnenmast der Welt. So wird an der Zukunft gebaut.
Doch woher das Glitzern kommt, ist schwer zu verstehen. Tadschikistan ist das ärmste Land im armen Zentralasien. Touristen kommen selten nach Dushanbe. Wer doch ein paar Tage in der Hauptstadt verweilt, kann genau dies genießen: die Abwesenheit des internationalen Reisestroms. Wer nach Tadschikistan fährt, will zum Trekking ins Fan-Gebirge oder gleich zum Höhenbergsteigen in den Pamir. Und wer dem Mythos Seidenstraße hinterherreisen möchte, landet eher in Usbekistan.
Tadschikistan bietet eine gewaltige, kaum entdeckte Landschaft, Kulturgüter hingegen finden sich eher in Samarkand und Buchara, den bedeutenden Städten Usbekistans mit ihren historischen Moscheen. Doch auch daran wird in Dushanbe gearbeitet: Am Stadtrand entsteht gerade Zentralasiens größte Moschee. Die soll sagenhafte 150.000 Gläubige aufnehmen können.
Zugleich wird nach der Vergangenheit gesucht. Im archäologischen Museum beteuert die Führerin ein ums andere Mal: Die Funde, „das ist bewiesen, sind von unserem Volk!" Man möchte endlich einmal kein Teil von etwas mehr sein, keine Sowjetrepublik, nicht eines dieser Stan-Ländern, sondern nur: Tadschikistan, in direkter Nachfolge der Sassaniden-Dynastie aus dem 4. Jahrhundert. Von anderen asiatischen Völkern grenzt man sich ab, als deutscher Besucher gruselt es einen, wenn schulterklopfend die Verbindung der Tadschiken, also der Perser, zu den Ariern betont wird. Tadschikistan war ein Vielvölkerstaat, doch die Sprache ist dem persischen verwandt, geschrieben wird in kyrillisch.
Im Museum finden sich Korallen und Muscheln aus Indien, alles gelangte über die Seidenstraße ins Innere Asiens. Und im Grunde lebt Dushanbe seine Kontinuität auf den modernen Märkten. Kam früher die Seide aus China, kommen heute eben andere Waren. Die Welt ändert sich, auch deutsche Kleinstädte haben nun Shoppingmalls, Rothenburg ob der Tauber sieht nicht mehr aus wie vor 50 Jahren. Zum Glück. Alles werde importiert, aus dem Westen, aus dem Osten, „unsere Kultur geht verloren", klagt ein Stadtführer. Aber vielleicht stimmt das ja nicht.
Selbstbewusste junge Generation
Abends trifft sich Sitora mit Studien-Freundinnen. Sie gehen gern ins „BNDS", Bundes ausgesprochen. Die Bierbar reicht über zwei Stockwerke, es gibt Live-Konzerte, Tischkicker, Lounge-Sofas, und die Tagesgerichte stehen mit Kreide an der Tafel. Ein Salat heißt „Stuttgart", das gilt wohl als exotisch. Für diesen Abend wollen sie rausfahren aus der Stadt, in ein Fischlokal im Varzow-Tal. Die jungen Frauen sehen hinreißend aus. Sitora trägt ein schulterfreies Kleid, geblümt, kurz, abenteuerlich hohe High Heels, die Haare offen bis zur Hüfte. Mit ihrem ebenmäßigen Gesicht gleicht sie einer Iranerin. Zebo Kasimowa holt sie ab, mit einem SUV. Zebo, eine üppige, orientalische Schönheit mit langen schwarzen Haaren, arbeitet als Sales Managerin bei einem Importeur für medizin-technische Geräte. Sie spricht fließend Englisch, „dank Gülen", sagt sie. Sie studierte auf der „Türkischen Universität" in Dushanbe, einer Bildungseinrichtung Gülens.
Frauen sind, auch abends, gegenwärtig im Straßenbild. Sie fahren Auto, stehen alleine an der Bushaltestelle, fegen die Straßen. Vielleicht fällt all das auch so auf, weil die Männer im Straßenbild fehlen. Sogar Ärzte verdienen nur 140 Euro im Monat, weiß Zebo. So zählen auch Akademiker zu den Heerscharen, die ins Ausland gingen. Zwei Millionen Tadschiken arbeiten in Russland als „gastarbaitery".
Eine herrliche Brise weht entlang des rauschenden Varzob-Flusses, ein Restaurant am anderen steht hier, die Terrassen ragen ins Wasser. Die jungen Frauen bestellen gegrillten Fisch, Schaschlick – das Lieblingsgericht aller Tadschiken, die sich Fleisch leisten können – alles serviert auf dem klassischen blau gemusterten Geschirr. Dazu trinken sie Tee. Sitora ist hin- und hergerissen zwischen Freude und Betrübtsein. „Ich habe mein Herz in diesen Bergen verloren", seufzt sie. „Ich mag die USA nicht." Die Pharma-Assistentin möchte im modernen Dushanbe heiraten. „Aber ich bin eine selbstständige Frau. Die Männer hier suchen andere Frauen."
Die Freundinnen fotografieren den Fluss, den Fisch, die gedeckte Tafel und posten alles auf Instagram– dabei hat die Regierung die Social-Media-Kanäle gesperrt. Eigentlich. Doch die Frauen haben sich eine VPN-Software heruntergeladen um die Sperre zu umgehen, die junge Generation lässt sich so leicht nichts verbieten. Sie würden oft so ausgehen, erzählen sie. Die Frage, ob nicht ein Bruder, ein Verwandter mitgeschickt würde, finden sie absurd.
Nach dem Essen fahren sie zurück in die Stadt. Kurz vor dem Eingangstor biegt Zebo auf einen geschäftigen Parkplatz. Sofort springen ein paar Jungs herbei, fast noch Kinder, und beginnen, das Auto zu waschen. Das ist Pflicht vor dem Einfahren in die Hauptstadt. Ein Gesetz dazu gebe es zwar nicht, erklärt Zebo, aber Polizisten, die kassierten, wenn ein Auto schmutzig sei. In jedem Innenhof am Stadtrand winken Tag und Nacht junge Männer mit nassen Lappen und mit Wasserschläuchen. Sie schuften und schrubben, ältere Männer sitzen daneben auf einer Bank, neben sich die Teekanne mit Rosenmuster. Zebo fährt los, das Auto ist blitzblank. Passend zum neuen Dushanbe.