Seit 1967 haben die Toronto Maple Leafs in der NHL keinen Titel mehr geholt. Keine andere Mannschaft in der nordamerikanischen Eishockey-Profiliga wartet länger auf den Stanley Cup. Nach der spektakulären Verpflichtung von Stürmer-Star John Tavares im Sommer ist die Hoffnung groß, dass die Durststrecke ein Ende findet. Auch dank kleiner Veränderungen in der Optik.
Neben dem Eishockeyschläger zählte bei den Toronto Maple Leafs bislang der Rasierer zu den wichtigsten Ausrüstungsgegenständen der Spieler. Bislang galt bei dem kanadischen Verein die Regel, dass die Spieler öffentlich nicht mit einem Bart auftreten dürfen. Das hatte der frühere Teammanager Lou Lamoriello durchgesetzt, der den Club inzwischen jedoch verlassen hat und seit Kurzem bei den New York Islanders tätig ist. Sein Nachfolger Kyle Dubas hat die Vorgaben im Sommer gelockert – Haare im Gesicht sind seitdem wieder erlaubt. „Ich möchte, dass meine Spieler das Bestmögliche aus sich herausholen können, und dazu gehört auch, dass sie sie selbst sein dürfen", erklärte Dubas. Die Spieler wie Verteidiger Morgen Rielly wollten die Angelegenheit zwar nicht überbewerten. Es sei lediglich eine kleine Veränderung, so Rielly, kein kompletter Sinneswandel. Doch vielleicht steckt tatsächlich mehr dahinter.
Dazu muss man wissen, dass es in der National Hockey League (wie auch in anderen Sportligen) üblich ist, dass der Bart in den Play-offs stehen bleibt. Wer rasiert, verliert, ist längst zum geflügelten Wort geworden. Die Tradition wurde übrigens ausgerechnet von den Spielern der Islanders begründet, die auf diese Weise zwischen 1980 und 1983 viermal in Folge den Stanley Cup gewannen. Die Maple Leafs dagegen warten nun schon seit 51 Jahren darauf, die Meisterschaftstrophäe wieder einmal nach Toronto zu holen. 1967 hatte der Club zuletzt den Titel geholt – nur die St. Louis Blues, die erst ein Jahr danach gegründet wurden und noch nie den Stanley Cup gewinnen konnten, haben eine ähnlich lange Durststrecke.
Seit die NHL-Saison 2004/05 wegen eines Spielerstreiks abgesagt werden musste, hat Toronto in 13 Spielzeiten zehnmal die Play-offs verpasst. Und in den drei Jahren, in denen man die Endrunde erreichte, war jedes Mal schon in der ersten Runde Endstation. In dieser Saison, die am 3. Oktober beginnt, soll es für die Ahornblätter nun deutlich weiter gehen und der Bartwuchs damit erst Recht wieder in Mode kommen. Bei den Buchmachern gelten die Maple Leafs mittlerweile als Favorit auf den Gewinn des Stanley Cups. In ganz Kanada ist die Hoffnung groß, dass nach 26 Jahren endlich wieder ein Club aus dem Mutterland des Eishockeys den Titel holt, was zuletzt 1993 den Montreal Canadiens gelungen war.
Diese Hoffnung trägt einen Namen: John Tavares. Die Verpflichtung des Stürmer-Stars von den New York Islanders hat in Toronto für wahre Begeisterungsstürme gesorgt und dominierte im Sommer wochenlang die Schlagzeilen. „Das ändert schlagartig alles", schrieb etwa das renommierte Eishockeymagazin „The Hockey News". Nach einem zähen Vertragspoker hatte der begehrteste Free-Agent der Liga (so werden in Nordamerika Spieler ohne aktuellen Vertrag genannt) im Juli einen mit insgesamt 77 Millionen US-Dollar dotierten Vertrag über sieben Jahre bei den Maple Leafs unterzeichnet. „Mir hat die Vision für die Mannschaft ausgezeichnet gefallen, die Kyle Dubas bei unseren Treffen detailliert beschrieben hat. Ich bin davon überzeugt, dass ich als Spieler hier sehr gut in das Team passe. Das ist insgesamt eine herausragend strukturierte Organisation mit ungewöhnlich vielen Talenten im Kader", begründete Tavares seine Entscheidung.
Ein Überangebot im Angriff
Der Nummer-eins-Draftpick von 2009 und Olympiasieger von 2014 gehört längst zur NHL-Elite. In den vergangenen vier Jahren schoss er nur einmal weniger als 30 Tore und stand jedesmal im All-Star-Team. 37 Treffer und insgesamt 84 Scorerpunkte waren es in der abgelaufenen Saison für die Islanders, die dennoch weit abgeschlagen die Play-offs verpassten. Toronto dagegen schaffte mit 105 Punkten die beste Punkteausbeute der Vereinsgeschichte und deutete schon damals das große Potenzial an, das in der Mannschaft steckt. Das und die Tatsache, dass Tavares in der Nähe von Toronto aufgewachsen ist, dürften am Ende den Ausschlag für seinen Wechsel gegeben haben.
Tavares verstärkt ein ohnehin gut besetztes Team. Lediglich die Verteidigung gilt als Schwachstelle, und auch die beiden Torhüter Frederik Andersen und Curtis McElhinney könnten sicher noch zulegen. Dafür gibt es im Angriff ein Überangebot an jungen Talenten. Auston Matthews, 2016 im Draft an Position eins ausgewählt und immer noch erst 21 Jahre alt, gilt als kommender Superstar. In seinem ersten Einsatz in der NHL erzielte er mit seinen ersten drei Schüssen direkt einen Hattrick, am Ende des Abends hatte er sogar viermal getroffen. In der vergangenen Saison kam er auf 63 Zähler (34 Tore, 29 Assists), obwohl er verletzungsbedingt lediglich 62 Spiele absolvierte. Topscorer des Teams wurde deshalb der ebenfalls 21-jährige Mitchell Marner mit 22 Toren und 47 Vorlagen (69 Scorerpunkte). William Nylander als Dritter der teaminternen Scorerliste (20 Tore, 41 Assists, 61 Punkte) ist auch erst 22 Jahre jung. Er sagte: „Die Fans sind jetzt natürlich enthusiastisch. Es ist toll, wenn jetzt alle begeistert sind, doch unser Ziel ist ein langfristiges: Wir wollen endlich weiter kommen als bis in die erste Runde der Play-offs."
In der vergangenen Saison waren Torontos junge Wilde mit einer Powerplay-Quote von 25 Prozent in dieser wichtigen Kategorie ligaweit auf Rang zwei. Jedes vierte Überzahlspiel führte zum Torerfolg – ein herausragendes Ergebnis. Besser waren nur noch die Pittsburgh Penguins, die mit ihren beiden Topstars Sidney Crosby und Evgeni Malkin auch dieses Mal wieder zu den Favoriten zählen. Gleiches gilt für die San José Sharks, die sich mit Verteidiger Erik Karlsson aus Ottawa verstärkt haben – neben Tavares der zweite große Deal in diesem Sommer. Auch mit den Tampa Bay Lightning muss man rechnen, die in den vergangenen vier Jahren gleich zweimal das Endspiel der Eastern Conference und 2015 sogar das Stanley-Cup-Finale erreichten. Zum ganz großen Wurf reichte es nach dem ersten Titelgewinn 2004 aber nicht noch einmal. Kurz vor Beginn der Vorbereitung hat sich mit Teammanager Steve Yzerman zudem der Mann hinter diesem Erfolg überraschend verabschiedet, weil sich der Job nicht mehr mit seinem Familienleben vereinbaren ließ. Sein Nachfolger ist der bisherige Assistent Julien BriseBois.
Viele Deutsche in Nordamerika
In der vergangenen Saison hatten die Washington Capitals mit Superstar Alexander Ovechkin und dem deutschen Torwart Philipp Grubauer erstmals den Titel geholt. Sie zählen ebenfalls erneut zum Favoritenkreis. Allerdings ist es in diesem Jahrtausend erst einer Mannschaft geglückt, ihren Titel erfolgreich zu verteidigen: Pittsburgh schaffte dieses Kunststück in den Jahren 2016 und 2017. Auch bei den Vegas Golden Knights ist die Frage, ob sie ihren grandiosen Erfolg aus dem Vorjahr, als man es als Expansionsteam auf Anhieb bis ins Finale schaffte, wiederholen können. Dafür spricht, dass sich der Club mit Max Pacioretty aus Montreal namhaft verstärkt hat. Dagegen spricht, dass die Mannschaft eigentlich schon in der vergangenen Saison durchgehend über ihren Möglichkeiten gespielt hat. Eher ist ein kleiner Leistungseinbruch zu erwarten.
Es bleibt also spannend, gerade auch aus deutscher Sicht. Noch nie spielten so viele Deutsche in Nordamerika. Die Silbermedaille der Nationalmannschaft bei den Olympischen Spielen in Pyeongchang hat auch in der NHL das Interesse an Spielern aus Deutschland geweckt. Yasin Ehliz von den Nürnberg Ice Tigers bekam einen Vertrag bei den Calgary Flames, Brooks Macek vom EHC Red Bull München wechselte zu den Golden Knights nach Las Vegas und sein bisheriger Teamkollege Dominik Kahun zu den Chicago Blackhawks; Maximilian Kammerer von der Düsseldorfer EG wurde von Washington verpflichtet. Leon Draisaitl und Tobias Rieder (beide Edmonton Oilers), Tom Kühnhackl und Dennis Seidenberg (beide Islanders) sowie der momentan verletzte Korbinian Holzer (Anaheim Ducks) spielten schon vorher in der NHL, ebenso wie die beiden Torhüter Thomas Greiss (ebenfalls Islanders) und Grubauer, der nach dem Titelgewinn im Sommer zu den Colorado Avalanche gewechselt ist. Bundestrainer Marco Sturm wird also ziemlich viel im Flugzeug sitzen müssen, um seine Nationalspieler zu beobachten. Dabei war er erst im vergangenen Jahr aus Florida nach Landshut zurückgekehrt, um dem deutschen Eishockey wieder näher zu sein.