Wetten ist nicht mein Ding. Vielleicht liegt es daran, dass ich mich beim Notendurchschnitt fürs Abi auf Mathe verlassen konnte. Das ist zwar schon ein paar Tage her, aber es reicht immer noch, um Wettchancen auszurechnen. Wetten auf Wahlausgänge empfiehlt sich für Journalisten sowieso nicht. Die Chance, sich ähnlich zu blamieren wie zuletzt oft gescholtene Meinungsforscher, sind vergleichsweise hoch. Eine Wette würde ich trotzdem eingehen, zwei Tage vor der Hessen-Wahl. Wetten, dass der Satz, man müsse „das Ergebnis jetzt erst einmal analysieren", wahlweise „in Ruhe" oder „genau", in der Wahlnacht wieder Konjunktur hat? Nun ist nichts gegen „Analysieren" einzuwenden, aber das hätte man vorher machen können, ja müssen. Immerhin ist das mit dem „Analysieren" vergleichsweise neu, früher hieß der Wahlnacht-Satz: „Wir haben verstanden." Natürlich wird jetzt auch das andere Ritual Fahrt aufnehmen, die Personaldebatte. Die mag angezeigt und nötig sein, wird aber die wirklichen Fragen nur übertünchen.
Im bloßen Pragmatismus der zurückliegenden etwa zwei Jahrzehnte sind grundsätzliche Fragen auf der Strecke geblieben: Wie soll die Gesellschaft aussehen, in der wir leben wollen und die wir unseren Kindern überantworten wollen? Kennziffern über Schuldenstände oder Wirtschaftsentwicklung sind wichtige Kriterien, aber sie sind auf diese Frage, wie sich zeigt, keine Antwort. An wichtigen Wegmarken hat man sich bang gefragt, was wohl „die Märkte" sagen mögen, nur leider vergessen zu fragen, was Menschen dazu sagen. Statistiken waren wichtiger als Befinden und Befindlichkeiten der Menschen (ich vermeide das belastete Wort „Gefühl"). Wenn in Krankenhäusern Pflegekräfte nicht in erster Linie für mehr Geld streiken, sondern für bessere Arbeitsbedingungen, damit sie das tun können, warum sie den Beruf ergriffen, nämlich sich um Menschen zu kümmern, ist das eigentlich schon „Analyse" genug. Ähnlich gelagerte weitere Problemfelder sind hinlänglich bekannt. Es mangelt nicht an Analysen, sondern an Antworten, grundsätzlichen Antworten, die längere Halbwertszeiten haben als das ein oder andere Förderprogramm zum Stopfen alter Löcher, so begrüßenswert das auch jeweils aktuell sein mag.