Element Of Crime ist für viele nicht einfach irgendeine Rockband, sondern deutsches Kulturgut. Seit 33 Jahren kleiden die Berliner um Bestsellerautor Sven Regener („Herr Lehmann") ihre poetischen Texte in fantasievolle Arrangements. Sven Regener und Gitarrist Jakob Ilja (59) sprechen im Interview unter anderem über das zehnte Studioalbum „Schafe, Monster und Mäuse".
Das Album beginnt mit „Am Sonntag nach dem Weltuntergang". Herr Regener, sind Sie zivilisationsmüde und fiebern der Apokalypse entgegen?
Sven Regener: Nein. Weltuntergang kann ja alles Mögliche bedeuten und metaphorisch gemeint sein. Wobei man sich schon fragen muss, ob es nach dem Weltuntergang noch einen Sonntag gibt. Wenn ich es richtig verstanden habe, dann gibt es danach auch keine Zeit mehr. Der Text enthält einige Hinweise darauf, dass es eine metaphorische Bedeutung hat. Weltuntergang ist generell eine sehr starke Metapher, die man weiterreiten kann, wenn man im Bild bleibt. Gleichzeitig kann es ein Ausdruck innerer Zustände sein.
Interessieren Sie sich für Verschwörungstheorien?
Regener: Diese Art von wahnhafter Besessenheit findet ja statt bei dem Lied „Nimm dir, was du willst (aber nerv mich nicht)": „Geradeaus die Straße runter schreist du jeden Fußgänger an, der stumpf an dir vorübergehen will und glaubt, dass er das einfach kann, ohne dass du ihm erzählst, wie der geheime Feind heißt, der für CIA und MI6 jeden Tag ins Trinkwasser scheißt". Das Lied hat etwas von einem Protestsong.
Jakob Ilja: Der Song beschreibt eine ureigene Berliner Charakteristik. Da sind so viele Leute, irgendwann ist auch mal gut. Man kann in Berlin nackt und grün angestrichen auf dem Fahrrad fahren, da guckt aber keiner mehr, weil es nervt. Das haben alle schon mal gesehen. Man will einfach nur in Ruhe gelassen werden. Das ist auch legitim, weil es anders nicht mehr geht.
Stimmt es, dass Sie im Studio nicht viele Worte wechseln müssen?
Ilja: Das hat vielleicht etwas mit unserer jahrzehntelangen Geschichte zu tun, aber es gibt bei uns kein Schweigegelübde. Und natürlich unterhalten wir uns über die Musik. Im Studio herrscht immer eine positiv angespannte Atmosphäre, weil es im kreativen Prozess eine gewisse Form von Anspannung geben muss. Es wäre sonst öde. Aber es gibt bei uns auch viel zu lachen.
In dem Lied „Schafe, Monster und Mäuse" werden Gestalten besungen, die durch Träume geistern. Schreiben Sie Ihre Texte zuweilen im Traum?
Regener: Meine Träume sind für mich Teil der Realität. Im Schlaf findet ja auch etwas statt. Das hat viel mit Metaphern, Symbolen und Allegorien zu tun. Das ist sehr nah an der Kunst dran. Insofern sind Träume ein gutes psychedelisches Thema für Songs.
Im Pressetext heißt es, die Band würde mit dem „ganzen psychedelischen Instrumentarium" hantieren. Soll Ihre psychedelische Musik das Bewusstsein erweitern?
Ilja: Einen konkreten Plan verfolgen wir nicht. Wir haben schon immer gerne in dem musikalischen Genre Psychedelic gearbeitet. Aber die Sachen kommen oft auch einfach zu uns und laden dadurch zu einer bestimmten Spielweise ein.
Regener: Auf dieser Platte sind wir so psychedelisch unterwegs wie seit „Weißes Papier" nicht mehr. Wir spielen alles, was man aus den späten 60ern kennt, aber auf eine seltsame Weise. Plötzlich kommt so ein mexikanisch anmutendes Zeug um die Ecke. Wir bringen Elemente wie Vaudeville, Blaskapellen, Barockmusik mit rein. Alles stürzt ineinander. Man will eigentlich immer nur Songs machen, die einem selbst gefallen, und hinterher lernt man viel über sich selbst.
Nehmen Sie Ihre Alben heute noch genauso wie 1985 auf?
Regener: Wir hatten damals eine 16-Spur-Bandmaschine, ein sehr kleines Mischpult und sehr wenige Mikrofone bei Ata Tak im Studio. Aber grundsätzlich ist die Art, wie wir Songs einspielen, gleich geblieben. Wir wollen das Lebendige dieser Rock‘n‘Roll-Sache erhalten und nicht glattbügeln.
In „Gewitter" geht es darum, dass neue Zeiten kommen, die mit großen Umbrüchen verbunden sind. Trotzt Element Of Crime den Entwicklungen im Musikbusiness?
Regener: Wir haben immer alles mitgemacht, waren aber nie die Betatester dieser Geschichten. Wir haben unsere Platten auch nach der Einführung der CD noch auf Vinyl herausgebracht, und irgendwann kamen die Downloads auf. Und jetzt beim Streaming sind wir uns mit unserer Plattenfirma darüber einig geworden, dass wir unseren Katalog bei Spotify und Apple reinstellen.
Ist Streaming gut für die Künstler?
Ilja: Für mich ist das kaum zu begreifen, weshalb jemand mit einer Albumveröffentlichung direkt zu Spotify geht. Die Vergütung ist doch so gering, dass man damit keine Platten mehr refinanzieren kann. Eine gute Lösung ist es, nach der Veröffentlichung einer Platte ein halbes Jahr damit zu warten.
Taylor Swift wirft Spotify vor, Musikern zu wenig Geld zu bezahlen.
Ilja: Die einzelnen Künstler mit alten Verträgen kriegen von den Streamingdiensten sehr wenig. Die Rechteinhaber wiederum verdienen mit dem riesigen Backkatalog. Insofern bleibt da schon etwas hängen, nur leider nicht für die Künstler.
Regener: Die Plattenfirmen haben die Künstler ausgebootet. Sie haben einen Deal mit den Streamingplattformen gemacht und sich Anteile an diesen Firmen gesichert. Die Anteile können sie jetzt über die Börse zu Geld machen, und wir Künstler werden davon nichts sehen. Dafür haben die Plattenfirmen sich abhandeln lassen, dass sie alles, was sie an Musik haben, von Anfang an da reinballern. In unseren Vertrag haben wir zum Glück reingeschrieben, dass wir über alle neuen Auswertungsformen mitreden wollen. Künstler wollen immer gefallen und nicht als gierig, blöd oder altmodisch dastehen. Musiker sind aber nicht rückständig, sie haben generell viel früher mit Computern gearbeitet als alle anderen Leute.
Ilja: Das Geschäftsmodell von Spotify ist schwer nachvollziehbar. Deren Vorstellung ist ja, dass irgendwann die gesamte Menschheit im Stream ist und es nichts Haptisches mehr gibt. Dann könne man entsprechend verdienen. Aber die Realität sieht so aus, dass bei denen mit den Kundenzahlen auch die Verluste steigen.
Auf dem Album gibt es etliche Berlin-Bezüge wie „Die Party am Schlesischen Tor" oder „Im Prinzenbad allein". Sind Sie durch und durch Lokalpatrioten?
Regener: Nicht mehr als jede andere Band, die von irgendwo kommt. Wenn man Songs schreibt, gibt man den Sachen gerne mal einen Ort. Der hat natürlich auch viel mit der Welt, in der man lebt, zu tun. Trotzdem kann man darauf vertrauen, dass es bei uns nichts Lokalpatriotisches gibt, weil es eben nicht affirmativ ist. Wir machen ja kein Städtemarketing, sondern erzählen einfach nur, was so läuft im Jahn-Sportpark oder am Schlesischen Tor. Das kann man überall verstehen.
Ilja: Ein Stück wie „Delmenhorst" kann ich total nachvollziehen, obwohl ich noch nie in dem Ort war. Sven, warst du mal da?
Regener: Meine Oma hat da gewohnt. Das ist aber lange her. Bei dem Lied „Immer da, wo du bist, bin ich nie" gerate ich im Steintor betrunken mit dem Fahrrad in die Rillen. Steintor heißt in Bremen das Szeneviertel, wo man nachts von der Kneipe nach Hause unterwegs war. Das kann man machen, denn es gibt auch ein Steintorviertel in Halle und in Hannover. Und auch da sind Kneipen. Ganz Wien träumt von Kokain. Man muss kein Österreicher sein, um das zu verstehen.
Das Album wurde in Berlin von Roger Moutenout gemischt. Der lebt in Nashville und arbeitete mit Leuten wie Nile Rodgers, Lou Reed und John Cale. Fänden Sie es reizvoll, einmal eine Platte in Nashville aufzunehmen?
Ilja: Ich glaube, das funktioniert so nicht. Wenn man sich einmal anguckt, wer seit 20 Jahren auf unseren Platten mitspielt, wird man feststellen, dass es mehr oder weniger dieselben Leute sind. Wir haben uns einen eigenen musikalischen Kosmos gebaut. Damit fahren wir sehr gut. Für uns funktioniert es am besten im Tritonus-Studio in Berlin.
Regener: Wir haben das ja schon gemacht und in London, New York, Weilerswist und Düsseldorf Platten aufgenommen. Diese Orte hatten durchaus einen Einfluss auf uns, aber wir müssen keine Reizwäsche anziehen, damit es noch spannend ist. Wir sind auch schon nach Nashville geflogen, um beim Mischen dabei zu sein. Aber es ist besser, wenn einer hierher fliegt, als wenn wir alle dahin fliegen. Nashville ist eine bedeutende Musikstadt, aber das ist Berlin auch. Ich habe da überhaupt keine Minderwertigkeitskomplexe. Ich kriege immer einen Koller, wenn ich eine Platte vier Wochen lang woanders aufnehme.
Hip-Hop hat Rock als dominante Jugendkultur abgelöst. Ist Rock einfach aus der Zeit gefallen, weil die Zeit, in der wir leben, eine Zeit ist, die keine Subversion mehr braucht?
Ilja: Im Kern wird der Rock‘n‘Roll bleiben: eine Gitarre, ein Verstärker, ein Song, Konzerte. Ob man vor 20 oder 20.000 Leuten spielt, ist letztendlich irrelevant, denn die Kraft bleibt ja. Heute haben junge Leute Computerspiele und soziale Netzwerke, da haben wir keinen Einfluss drauf, die Zeit verändert sich halt. Dass Rockmusik heute nicht mehr den Überbau hat wie damals, ist naheliegend. Das kann man über das Ölbild genauso sagen. Keine Kunstform hat ein Anrecht auf Erhalt. Nur weil ich zu der Generation gehöre, die den politischen und sozialen Input von Rockmusik miterlebt hat, habe ich noch lange kein Anrecht darauf, dass es immer so bleiben muss. Die nachfolgenden Generationen wählen selber aus, was sie gut finden. Wir haben ja auch Sachen abgelöst, weil einfach Platz für Neues geschaffen werden muss.
Musiker sein – ist das auch ein dienstleistender Beruf?
Ilja: Wenn man den Konsumenten beim Songschreiben schon im Kopf hätte, was wäre das dann für eine Musik? Man schöpft ja aus sich selbst. Und mit den anderen in der Band zusammen. Es funktioniert nur dann, wenn es einem selbst gefällt. Die Resonanz des Publikums ist ein Zufall. Alle Künstler, die ich kenne, verspüren einen Drang. Zu Kunst wird Musik aber erst, wenn sie Rezeption erfährt. Wenn ich in einer Kammer nur für mich aufnehme, ist es bloß ein Hobby.
Regener: Ich finde, wenn man ein Bild malt, ist es Kunst. Egal ob es jemand sieht oder nicht. Wenn du Musik machst, ist es immer Kunst. Wenn du beim Duschen singst, machst du Musik. Also machst du Kunst. Was soll Musik sonst sein? Wenn du vor Leuten spielst, ist das noch mal ein anderes Erlebnis, es fügt dem Ganzen noch etwas hinzu.
Ilja: Kunst heißt: Es gibt Leute, die auf so etwas wie Musik reagieren. Und die sagen, was es ist, weil man das selber nicht sagen kann.
Ist auch schlechte Musik Kunst?
Regener: Natürlich, es gibt auch schlechte beziehungsweise irrelevante Kunst. Das Argument, etwas sei keine Kunst, ist nie eins gewesen. Es gibt nur ein einziges Kriterium, ob wir einen Song machen oder nicht: nämlich ob wir den gut finden. Wir fragen niemanden sonst, ob ihm das gefällt. So einen würde man auch nicht ernst nehmen. Wenn wir nicht selber wissen, ob etwas gut ist, können wir einpacken. Wir wollen das Lied dann ja auch spielen und machen damit vielleicht Hunderte Konzerte.
In zwei Jahren wird Ihre Band 35. Werden Sie dann Ihr Gesamtwerk in einer edlen Jubiläumsausgabe neu auflegen?
Regener: Nein, wir haben ja unseren Katalog bereits in das Streamingportal reingestellt. Aber wir haben unsere ersten sieben Alben auf Vinyl neu aufgelegt. Vielleicht kommen bald die nächsten sieben. Ein ehemaliger Mitarbeiter unserer Plattenfirma hat mal damit gedroht, ein altes Demotape von uns zu veröffentlichen. Da haben wir nur gelacht. Tatsächlich haben wir nie viele Outtakes gemacht.