Eine Tour mit dem Geländewagen durch die Rub al-Khali im Oman ist ein Heidenspaß. Doch die größte Sandwüste der Welt macht demütig.
Der Beduine gibt Gas, um die nächsten Meter zu schaffen. Das Gefährt schiebt sich den wie mit einem Lineal gezogenen Hang herauf. Die groben Reifen wühlen im heißen Sand. Dann ein Ruck, die Köpfe nicken. Der Geländewagen hängt mit dem Boden auf dem Kamm einer Düne, wie ein hilfloser Käfer. Die Räder rotieren und versprühen feinen Sand. „Festgefahren", konstatiert Mussallem mit steinerner Miene. So was unterlaufe ihm eigentlich nie.
Wir haben Glück. Nach einer halben Stunde des Buddelns und Schiebens sitzt Mussallem wieder am Steuer. Der Käfer krabbelt weiter und hinterlässt sein Profil im welligen Rippelmuster. Wir sind unterwegs in der Rub al-Khali, jener größten Sandwüste der Welt, die sich auf der arabischen Halbinsel von Saudi-Arabien bis in den Süden des Sultanats Oman erstreckt. Vorbei geht es an dem Skelett eines gestorbenen Kamels. Düne hoch, Düne runter. Der Motor heult heiser auf, beruhigt sich wieder. Durch die offenen Fenster bläst ein unsichtbarer Fön seine Luft.
Gegen Mittag ist der Sand so heiß und weich, dass die Reifen kaum noch greifen. Unser Guide muss jetzt die Sandberge umkurven. Wie er sich orientiert, bleibt den Besuchern aus dem Okzident ein Rätsel. Wohin das Auge reicht: Sand, je nach Sonneneinfall mal gleißend grau, mal beige-orange. „Die Wüste ist mein Zuhause", ist das Einzige, was Mussallem zu entlocken ist. Wir vertrauen ihm auf unserem Weg zu einer der rar gesäten Oasen. Uns bleibt nichts anderes übrig.
Wohin das Auge reicht: Sand
Mussallem, graubärtig, ist in der Wüste geboren – in einer Höhle, wie er Touristen mit offenen Mündern stets erzählt. Er kennt noch das Nomadenleben der Beduinen. Sein Vater, heute weit über 90 und stolzer Träger eines Krummdolches, jenem traditionellen Erkennungszeichen der Männer im Oman, war Kamelhirte und handelte mit Weihrauch. Er kannte den Briten Bertram Thomas, der als erster Mensch aus dem Westen 1930/31 das leere Viertel durchquerte. Leeres Viertel wird die Wüste genannt, denn auf einer Fläche größer als Frankreich lebt dort kaum ein Mensch.
Gern hätte es der Alte, der tagsüber im Schatten hinter seinem Haus im Ort Rabkot sitzt und seinen Kindern und Kindeskindern beim Rumtollen zusieht, gesehen, das sein Ältester in seine Fußstapfen getreten wäre. Doch Mussallem und auch seine jüngeren Brüder lehnten ab. Der traurige Vater verkaufte die 15 Kamele bis auf zwei, die ihm weiter Milch spendeten. 1987 wurde die Familie sesshaft. Im Oman gibt es kaum noch Nomaden – auch wegen der Ansiedlungsmaßnahmen durch die Regierung. Schulen, Wasser, Strom, ja ganze Häuser bekamen die Beduinen gestellt, erzählt Mussallem. „Heute stören mich aber manchmal die Dinge des modernen Lebens."
Nomaden gibt es heute kaum noch
Tradition und Moderne – beides soll möglich sein im Oman. So will es der vom Volk verehrte Sultan Qabus ibn Sa’id Al Sa’id, der 1970 seinen Vater stürzte und das damals isolierte Land seitdem sanft und zum Wohl aller – so die offizielle Lesart – in die Moderne führte. „Davor hatten wir keine Schuhe, kein Wasser und keine Autos", erinnert sich Mussallem. Fast 50 Jahre ist die omanische Renaissance nun her. Anders als etwa die Arabischen Emirate, die ihren Ölreichtum teils in gigantische Bauvorhaben investierten und Landstriche in künstliche Welten verwandeln, will das Sultanat natürlich bleiben. Hochhäuser dürfen nicht in den Himmel schießen. Die kilometerlangen Sandstrände sind oft menschenleer, die Bergwelt ist schroff und schwer zugänglich.
In Zukunft setzt das Sultanat voll auf Tourismus. Die Devise ist, vergleichsweise wenige, aber zahlungskräftige Gäste ins Land zu locken. Doch ob dieser sanfte Tourismus das zur Neige gehende Öl wie geplant als Hauptwirtschaftsfaktor ersetzen wird, bleibt abzuwarten.
Weiter geht es durchs leere Viertel. „Man kann überall herumfahren", sagt Mussallem. Am Horizont tauchen weiß getünchte Flachbauten und Palmen auf. Die Oase von Fasad! Keine Menschenseele ist auf der staubigen Straße. Nur ein vielleicht siebenjähriger Pimpf mit kleinem Kopf fährt mit einem dicken Pick-up vor und verschwindet im Laden. Der gottverlassene Shop führt Seile für Kamele und Zündkerzen für Toyotas neben Zahnbürsten und Deos. Der Fernseher läuft, die Klimaanlage brummt, und der Sultan blickt von der Wand. Die warmen Wasserflaschen aus dem Auto tauscht Mussallem gegen tiefgefrorene ein, die wie Eisblöcke in den Kofferraum poltern. Die Oase an sich räumt mit allen Klischees auf: Das Wasser im betongefassten Pool riecht nach Schwefel und misst Lufttemperatur: rund 40 Grad. Jemand hat ein paar alte Ölfässer als Fußstützen für Kinder versenkt.
Am Abend hat Mussallem den Wagen in einem Dünental geparkt, unser Camp für die Nacht. Über den Kämmen rauscht der heiße Wind und weht feinste Partikel bis in die Gehörgänge. „Wenn es um neun Uhr noch so bläst, dann bekommen wir einen Sandsturm." Auf dem Feuer köchelt ein Kameleintopf – ein Gericht mit viel Gemüse und Brot, das die Beduinen nach Sonnenuntergang während des Ramadans essen. Es schmeckt köstlich.
Machtlos, ängstlich, respektvoll
Ein Weihrauchbrenner verströmt angenehmen Duft, der die Schlangen in der Nacht fernhalten soll. Der Himmel ist türkis-rosa verfärbt. Bei Sonnenuntergang neigt sich Mussallem gen Mekka und betet. Dann erzählt er lange Geschichten von dem siebtreichsten Mann der Welt, den er einmal zu Gast hatte, und unzählige andere in dieser einen Nacht im Morgenland. Man könnte stundenlang zuhören. Doch bald liegt der Wüstensohn auf seiner Matte und schnarcht.
Der Wind hat sich gelegt. Es kehrt Stille ein. Eine brüllende Stille. Der Himmel ist verhangen, der Mond taucht die Dünen in unwirkliches Grau, sie wirken fast wie schneebedecktes Hochgebirge.
Klein mit Hut tapsen wir ehrfürchtig zur Abendtoilette hinter einen verdorrten Busch, festgekrallt an der Taschenlampe. Machtlos, tief beeindruckt, ängstlich, respektvoll – wie man sich im leeren Viertel im Mondschein fühlt, es ist schwer zu beschreiben. Vielleicht ist es Dankbarkeit.
Ein letztes Holzscheit glimmt. Wir finden in einen unruhigen Schlaf unter freiem Himmel. Dann taucht eine Straße auf, die einzige Straße weit und breit. Es ist keine Fata Morgana, es ist kein Traum, es ist die weiß leuchtende Milchstraße.