Markus Weinzierl galt als Trainer-Überflieger, scheiterte dann aber auf Schalke. Auch der VfB Stuttgart wähnte sich auf der Überholspur und stürzte ab. Nun versuchen beide zusammen, den Aufschwung zu schaffen.
Dass für ihn nur der Sieg zählt, stellte Markus Weinzierl noch vor seinem ersten Spiel als Trainer des VfB Stuttgart auf ungewöhnliche Weise klar. Als er auf einer Pressekonferenz darauf angesprochen wurde, soeben zum drittschönsten Trainer gewählt worden zu sein, gab sich der 43-Jährige kampfeslustig. „Ich will jeden Wettbewerb gewinnen", sagte er schmunzelnd. „Daher bin ich mit der Bronze-Medaille überhaupt nicht zufrieden." Er werde sich bemühen, noch etwas nach vorne zu kommen, „aber ich weiß nicht, wie das in meinem Alter geht". Als er hörte, dass vor ihm der inzwischen in Manchester trainierende Ex-Bayern-Coach Pep Guardiola und Bundestrainer Joachim Löw liegen, meinte er: „Können wir das denn umschreiben in Bundesliga-Trainer? Das wäre ein kleines Anliegen."
Schönster Bundesliga-Trainer wäre Weinzierl also nach dieser Umfrage. Darüber, wie gut er ist, streiten sich inzwischen manche Geister. Lange Zeit galt Weinzierl als absoluter Trainer-Überflieger. Jahn Regensburg führte er von der Vierten Liga in die Zweite, nachdem er vom Spieler zum Co-Trainer und dann zum Chefcoach umsattelte. „Ich bin ins kalte Wasser gesprungen, bin geschwommen und nicht untergegangen", sagte er dazu später. Nach vier Jahren in Regensburg ging er zum FC Augsburg, durfte nach einer schlechten Hinrunde mit nur neun Punkten bleiben, schaffte noch den Klassenerhalt und führte Augsburg 2015 sogar auf Rang fünf und damit in die Europa League. Spätestens jetzt wurde die halbe Bundesliga auf Weinzierl aufmerksam. Manager Stefan Reuter lobte damals: „Ich habe noch keinen Trainer erlebt, der selbst in schwierigen Situationen so sachlich und klar auftritt wie er." Vor allem Borussia Mönchengladbach und Schalke 04 hatten ihn nahezu ständig auf dem Zettel. Am Ende machte Schalke das Rennen. Eine Entscheidung, die beide Seiten nun hinterfragen müssen.
„Ich bin ins kalte Wasser gesprungen"
Denn auf Schalke scheiterte Weinzierl – so deutlich muss man das sagen. Er startete mit fünf Niederlagen, wurde am Ende Zehnter und kam gefühlt nie wirklich bei dem Gelsenkirchener Traditionsverein an. Er müsse sich selbst „im Nachhinein eingestehen: Das hat nicht gepasst!", sagte Schalkes Sportvorstand Christian Heidel später. Schon früh sei ihm klar gewesen, „dass das Gebilde Trainer–Mannschaft–Manager nicht optimal war. Selbstkritisch muss ich natürlich auch zugeben, dass Markus und ich nicht optimal zusammengepasst haben." Mit dessen Entlassung habe er „einen Fehler korrigiert". Und dann gab Heidel dem Ex-Trainer noch mit: „Die Entwicklung hat überall stattgefunden, nur auf dem Spielfeld hat sie noch nicht gegriffen. Ich möchte, dass die Mannschaft ein klares Konzept auf dem Platz zeigt. Ich habe es nicht
erkannt."
Das sind harte Worte, wie man sie nach Trainer-Entlassungen nicht oft hört. Weinzierls Ruf war dennoch noch nicht zerstört, zu gut war seine Arbeit zuvor. In Österreich hätte er Nationaltrainer werden sollen, doch nach Weinzierls Angaben habe Schalke sich zu viel Zeit gelassen mit der Vertragsauflösung. Auch bei einer ersten Stuttgarter Anfrage sowie beim Interesse aus Frankfurt und Bremen war der noch nicht aufgelöste Vertrag ein Teil des Problems. Als er im Sommer nun aufgelöst wurde, war der Weg frei für ein neues Engagement Weinzierls.
Er selbst bezeichnet die dann doch unfreiwillige Auszeit im Rückblick nun als wichtig, nachdem er doch zuvor eben vor allem immer darum bemüht war, zu schwimmen und nicht unterzugehen. „Es war vielleicht das wichtigste Jahr im Trainer-Leben", sagte er bei seiner Vorstellung. „Ich hatte mal Zeit, nach links und rechts zu schauen und mich zu reflektieren. Die Auszeit ist erst eine Enttäuschung, dann ist sie eine Erleichterung, dann eine Unzufriedenheit und dann arbeitet man das alles auf."
Die Frage ist: Hat Weinzierl diesmal den richtigen Verein ausgesucht? Der Trainerstuhl beim VfB ist wahrlich ein Schleudersitz, und kaum jemand bekam das schmerzhafter zu spüren als sein direkter Vorgänger Tayfun Korkut. Als dieser Ende Januar vorgestellt wurde, schlug ihm extrem viel Ablehnung entgegen. Zum einen musste er damit die Wut vieler Fans über die Entlassung des beliebten Hannes Wolf ausbaden, zum anderen gab aber seine vorherige Bilanz in Hannover, Kaiserslautern und Leverkusen genug Anlass zur Skepsis. Doch Korkut startete mit dem VfB komplett durch, formte die Schwaben zur zweitbesten Rückrunden-Mannschaft und verpasste nach einem furiosen 4:1 am letzten Spieltag beim FC Bayern nur deshalb den Einzug in die Europa League, weil die Münchner eine Woche später auch das Pokalfinale gegen Frankfurt verloren.
Vor dieser Saison galt der VfB dann bei vielen plötzlich als Geheimfavorit auf einen Europacup- oder sogar Champions-League-Platz. Auch weil Sportchef Michael Reschke fleißig investiert hatte, gestandene Bundesliga-Spieler wie Gonzalo Castro und Daniel Didavi und auch europaweit begehrte Talente wie Pablo Maffeo oder Borna Sosa verpflichtete. Als die Buchmacher vor der Saison ihre Quoten machten, welcher Trainer denn wohl als erster entlassen werden würde, stand Korkut mit einer Quote von 12:1 im unteren Mittelfeld. Selbst der Bremer Erfolgscoach Florian Kohfeldt galt mit einer Quote von 10:1 als gefährdeter. Am Ende erwischte es tatsächlich Korkut, nach gerade einmal sieben Spieltagen.
„Das wichtigste Jahr im Trainer-Leben"
Es wurde die Chance von Weinzierl, der sich kurz zuvor noch einen kleinen Fern-Streit mit seinem Ex-Verein geliefert hatte. In einer Sky-Sendung hatte er über die Taktik seines Nachfolgers Domenico Tedesco (der Schalke im Vorjahr zur Vizemeisterschaft geführt hatte) gerätselt, unter anderem über die exponierte Stellung des 36 Jahre alten Abwehrchefs Naldo. Worauf der Brasilianer entgegnete: „Er soll einfach seine Klappe halten und einen Job finden."
Das gelang zumindest. Doch dass dieser schwer wird, wurde Weinzierl schnell klar. Gleich im ersten Spiel musste er mit dem VfB gegen Borussia Dortmund antreten, der Letzte gegen den Ersten. Und als Weinzierl sein Debüt zusammenfasste, sagte er: „Nach drei Minuten wurde es unschön." Dann nämlich geriet sein Team schon in Rückstand. Am Ende hieß es 0:4. Es war die höchste Niederlage, die ein VfB-Trainer – und davon gab es ja wahrlich schon einige – in seinem ersten Spiel mit Stuttgart hinnehmen musste.
Die Frage ist: Was ist noch möglich mit diesem Team? Den Klassenerhalt sollte der VfB auf jeden Fall schaffen. Mehr scheint auch aufgrund des großen Rückstands kaum drin. Spannend bleibt, was Weinzierl in den nächsten Jahren aufbauen kann und will. In Ron-Robert Zieler, Gonzalo Castro, Christian Gentner, Holger Badstuber, Andreas Beck, Dennis Aogo und Mario Gomez haben die Schwaben eine ganze Reihe von Ex-Nationalspielern in ihren Reihen. Viel Erfahrung. Für die Zukunft stehen sie nicht unbedingt. In Benjamin Pavard gehört auch ein aktueller und obendrein erst 22 Jahre alter Weltmeister zum Team, doch der Wechsel im kommenden Sommer scheint schon beschlossen. Nur das Ziel scheint offen, der FC Bayern sieht sich offenbar als Favorit.
Mit Sosa, Berkay Özcan, Nicolas Gonzalez (alle 20), Maffeo (21), Timo Baumgartl, Anastasios Donis (beide 22), Chadrac Akolo (23) oder Erik Thommy (24) sind auch schon einige Talente im Kader vertreten. Doch die Frage ist und bleibt: Wie passen der VfB, dieses Team und Markus Weinzierl zueinander? Der Trainer scheint selbst zu zweifeln, wenn er sagt: „Unsere Mannschaft definiert sich nicht über brutale Robustheit und Zweikampfstärke, sondern über Spielstärke." Genau das Gegenteil hatte Weinzierl in Augsburg zur Verfügung, entsprechend war es eine robuste Spielweise, die den Erfolg brachte. Doch Weinzierl versichert, dass er auch anders kann. „Ich schaue immer, welche Spielertypen mir zur Verfügung stehen, dann passe ich meine Vorstellungen der Umgebung an." Er wird erfolgreich sein müssen. Denn ein zweiter Flop würde auch seinem Ruf nachhaltig schaden.