Seit zehn Jahren steht der Berliner Flughafen Tempelhof still. In dieser Zeit stiegen die Mieten im Umkreis überdurchschnittlich. Müssen bald auch die Anwohner um den Airport Tegel mehr fürs Wohnen bezahlen?
Auf dem Papier steht es zumindest immer noch so: In zwei Jahren soll der neue Hauptstadtflughafen Berlin Brandenburg (BER) öffnen. Ebenso ist immer noch geplant, Tegel dann zu schließen. Endlich kein Fluglärm mehr, selbst am Kurt-Schumacher-Platz könnte man sich ohne Unterbrechung durch Triebwerksturbinen unterhalten. Oder auch, egal wo in der bisherigen Einflugschneise, mal einen Tatort bei gekipptem Fenster gucken. Für viele, die darauf schon seit acht Jahren warten oder sich mit genau der Aussicht auf ein Ende des Fluglärms dort angesiedelt haben, eigentlich ein Freudentag. Aber das gilt nicht für alle: Denn eines ist klar, dann steigen die Mieten.
Zumindest, wenn es so läuft wie rund um das Tempelhofer Feld: Dort hob vor zehn Jahren, am 31. Oktober 2008, zum letzten Mal ein Flugzeug ab. Feldlerchen eroberten das Fluggelände, die Berliner entdeckten das Feld für sich als Grill-, Sport- oder Spielplatz und fanden die Weite großartig zum Durchatmen in der Großstadt. Aber auch für Investoren hat der ehemalige Flughafen nichts von seiner Anziehungskraft verloren.
Seit 2010 ist das Feld für die Öffentlichkeit freigegeben. Mit einem Volksentscheid sorgten die Bürger 2014 dafür, dass eine Bebauung verboten wurde – während der damalige Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD) zumindest den Rand des Geländes bebauen wollte. Auch als Regierender Bürgermeister scheint er diesen Gedanken noch nicht ganz verworfen zu haben: Erst in diesem Frühjahr brachte er ihn wieder aufs Tapet. Zum Entsetzen vieler: „Müller hat im Volksentscheid verloren, ist aber ein schlechter Verlierer", so widersprachen ihm nicht nur die Initiatoren des damaligen Volksentscheids, sondern auch Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke). Selbst FDP und CDU, sonst durchgehend für mehr Wohnungsbau angesichts der angespannten Lage in der Hauptstadt, finden sich diesmal auf der Seite der Linken: Beide Parteien kämpfen ja dafür, dass ein zweiter von ihnen unterstützter Volksentscheid – Tegel offenzuhalten, auch wenn der BER endlich mal läuft – durchkommt. Da können sie nicht parallel dafür sein, die Entscheidung zu Tempelhof zurückzunehmen.
Aber mal abgesehen von den Zukunftsträumen für das Flugfeld: Wie haben sich die Mieten in den Wohnanlagen rund um den Flughafen entwickelt? Sie sind gestiegen. Nach den Daten von Immobilienscout24 zogen die Mieten in den benachbarten Stadtteilen Tempelhof und Neukölln seit der Schließung schneller an als im Durchschnitt der Stadt. Michael Fränzel, Analyst Daten und Märkte bei Immobilienscout24, sieht die Ursache vor allem im Wegfall des Fluglärms sowie in der Nähe zum Freizeitgelände Tempelhofer Feld. Besonders den Schiller-Kiez in Neukölln hebt er hervor.
Top-Lage nach Wegfall des Fluglärms
Die Zone in der früheren Einflugschneise sei heute eine „absolute Top-Lage für Wohnimmobilien", sagt er.
Seine Zahlen beziehen sich auf eine Referenzwohnung aus den 70er-Jahren mit drei Zimmern, 80 Quadratmetern Fläche, einer Einbauküche, einem Keller, einem Balkon sowie einem Aufzug. Kostete der Kauf einer solchen Wohnung in Neukölln im Herbst 2008 noch knapp 1.100 Euro je Quadratmeter, sind es rund zehn Jahre später mehr als 4.000 Euro.
Auch die Entwicklung der Mieten in Neukölln ist rasant. Hier gibt es eine Steigerung von 5,16 Euro je Quadratmeter im Herbst 2008 auf 11,88 Euro heute. Das sind 130 Prozent mehr, während die Mieten in ganz Berlin im Schnitt nur um knapp 77 Prozent kletterten.
Rund um den Tegeler Flughafen liegt die Mietpreisentwicklung dagegen unter diesem Schnitt. Seit sechs Jahren steigen die Mieten in Tegel laut Immobilienscout24 langsamer als im Berliner Durchschnitt. Wer heute auf den großen Immobilienportalen nach noch einigermaßen bezahlbarem Wohnraum sucht, wird garantiert eher etwas in Tegel finden als in Neukölln. Dabei waren die vergleichsweise gutbürgerlichen Bezirke Tegel und Reinickendorf in der Einflugschneise des Flughafens lange sogar teurer als das damals noch recht verrottete Neukölln. Sicherlich mag die aktuelle Entwicklung mit daran liegen, dass Erwartungen für den Nordwesten Berlins bislang nicht aufgingen. Denn ob oder wann die Idylle am Stadtrand Wirklichkeit wird, ist ja nach wie vor offen.
„Fluglärm ist ein negatives Merkmal im Berliner Mietspiegel", erklärt auch Sebastian Bartels, stellvertretender Geschäftsführer des Berliner Mietervereins. Wenn der wegfalle, wie damals in Tempelhof, legten die örtlichen Preise zu. Was natürlich auch die Anwohner wissen. Auch die Auswertung des Volksentscheids, Tegel offenzuhalten, hat es deutlich gemacht: Wer erwartet hatte, alle rund um den Flughafen würden für sein Ende stimmen, hatte sich geirrt. Ein überraschend großer Teil der Flughafen-Nachbarn hat für den Weiterbetrieb gestimmt. „Es ist zum Teil so, dass zumindest einige sich so an den Fluglärm gewöhnt haben, dass sie eher befürchten, dass ihre Wohnung aufgewertet wird", sagt Bartels. „So schlimm ist es in dieser Stadt schon geworden, dass der Lärm in Kauf genommen wird, nur um die Wohnung nicht zu gut aussehen zu lassen."
Ein Mietanstieg wie in Tempelhof ist für Bartels eine natürliche Entwicklung. Alle Prognosen, die vom Ende des Flugbetriebs ausgehen, klingen heute ähnlich. Kein Wunder, dass auch der Wohnmarktreport 2017 der Hypo-Bank Berlin und des US-Investors CBRE höhere Preise für den gesamten Bezirk rund um den Flughafen voraussagt. Und weiter heißt es dort: „Auf mittlere Sicht könnte Reinickendorf zu einem Top-Standort des Wohnungsbaus werden."