Die Sprache des Sports als Spiegel der Gesellschaft
Wir hatten es nicht für möglich gehalten, doch es ist passiert. Ein Fußball-Blatt beliefert seine Kunden im Internet bei manchen Spielen mit einem Live-Ticker. Dabei gelingen Formulierungen, über die wir uns vor Jahrzehnten schon lustig gemacht haben. So lasen wir während des Länderspiels Frankreich gegen Deutschland den Satz: „Deutschland bricht in der Mitte durch." Es fehlte nur noch: „Und sie ließen ihre Flügel hängen."
Möglich, dass Deutschland in der Mitte durchbricht. Angesichts der Wahlergebnisse in diesem Jahr scheint das so zu sein. Doch zurück zum Sport. Der Kollege Reinhard Schüssler, viele Jahre seriöser Sportchef der „Neuen Ruhr Zeitung", mokierte sich über den Kommentator eines Bezahlsenders. Der habe während des Spiels der Mönchengladbacher Borussia gegen den FSV Mainz 05 berichtet, besagte Borussia habe beim Stande von 3:0 „den Kaffee noch nicht auf". Worauf der liebe Kollege Reinhard den Kaffee auf hatte.
Niemand zwingt einen Menschen, der sich für Fußball interessiert, so ungefähr 39,99 Euro monatlich für sinnlose Sätze auszugeben. Himmelschreiender Blödsinn ist das. „Fake in the Sky", sozusagen.
Wir stellen uns immer gealterte Mikrofon-Halter vor, die in großkarierten Peter-Frankenfeld-Sakkos auf Tribünen sitzen und juvenile Begriffe ausstoßen. „Krass" sei dann das Foul gewesen. Borussia Dortmund habe dann wieder ein Tor erzielt, nachdem in den „Umschalt-Modus" gewechselt worden sei. Eintracht Frankfurts Trainer Adi Hütter habe nach anfänglichen Problemen „geliefert". Wer hat da wo etwas bestellt? Und mit welchem Recht? Können bei Amazon Punkte erworben werden? Andererseits gefallen uns als Liebhaber des Vereins BVB Borussia-Dortmund-Karikaturen wie diese. Da fragt eine Kassiererin den Schalke-Trainer Domenico Tedesco, ob er gern Punkte sammele. Antwort: „Nein".
Das ist doch harmlos im Gegensatz zu Bösartigkeiten, die aus dem Freistaat Bayern zu vernehmen sind. Ein gewisser Herr Hoeneß bezichtigt Profis, sie hätten einen „Scheißdreck" gespielt. Der neben ihm sitzende Herr Rummenigge möchte, dass die „Würde des Menschen" auch im Fußball gelte. Angesichts der Medienschelte sei daran erinnert, dass der FC Bayern gern in Ländern trainiert, in denen kritischen Journalisten die Todesstrafe droht. Die Firma FC Bayern produziert lieber eigene Geschichten im Haussender, lässt höchstens noch die Sprach-Artisten des oben erwähnten Fußball-Blattes gelten.
Dort lasen wir weiter, dass die „Kugel" am Tor vorbeigeflogen sei, das „Leder" weggedroschen wurde. Das ist gekünstelt. Weil Wiederholungen vermieden werden sollen, wird nicht der „Ball" erwähnt, sondern permanent die „Kugel" oder das „Leder" bemüht.
Vor etwa 30 Jahren gab es Kollegen, die immer wieder über einen „17-jährigen Leimener" schrieben, weil sie den Namen vermeiden wollten. In einem Bericht einer Sport-Agentur tauchte der Begriff „17-jähriger Leimener" sechsmal auf, der Name Boris Becker nur einmal. Um es mit Rummenigge zu sagen: „Geht’s noch?"
Die Sprache des Sports ist immer wieder auch ein Spiegel der jeweiligen Gesellschaft. Einst verpasste die Zeitung mit den großen Buchstaben dem Gerd Müller den Beinamen „Bomber der Nation", während Horst Hrubesch ein „Kopfball-Ungeheuer" war. Dann aber kamen die Grünen, die Friedensbewegung, und die Redakteure dieser Gazette mit den vielen Bildern verbaten sich alle kriegerischen Wörter. Das Wort „Bomber" war verpönt.
Inzwischen verfallen sehr viele wieder in die Berichterstattung der Adenauer-Ära. Besonders bei Länderspielen ist das zu hören. Schlechte Spiele der Hummels und Boatengs werden als Majestätsbeleidigung erfunden. Beim „Doppelpass" war die Gesprächsrunde sichtlich irritiert, als ein Soziologe erklärte, Journalisten hätten grundsätzlich Distanz zum Geschehen zu bewahren.
Wir hätten einst den Reporter des Gladbach-Spiels gern als Volontär gehabt und mit ihm einen Kaffee getrunken. Und ihm dann geraten, einen Beruf zu ergreifen, der seinen Fähigkeiten entspricht. In der Medienabteilung des FC Bayern müsste etwas zu machen sein.