Den Lebensgeschichten bekannter und unbekannter Exilanten will sich zukünftig ein Exilmuseum in Berlin widmen. Nach langem Tauziehen um das Projekt stehen nun Standort und Konzept fest.
Thomas Mann, Bertolt Brecht, Albert Einstein, Willy Brandt – prominente Männer, die eines gemeinsam habe: Sie alle gingen ins Exil, als in Deutschland die Nationalsozialisten regierten. Sie flüchteten aus Hitlers Machtbereich, wo sie keine berufliche Zukunft mehr sahen oder wegen ihrer politischen Meinung oder jüdischen Identität um ihr Leben bangen mussten. Doch waren es nicht nur Berühmtheiten, die in den Jahren der NS-Diktatur der Heimat den Rücken kehrten. Rund 500.000 Menschen flohen aus Deutschland, in der Hoffnung irgendwo auf der Welt ihr Leben retten und eine neue Existenz aufbauen zu können. Ihnen allen will ein Museum in Berlin ein Denkmal setzen – das Exilmuseum. Noch existiert das Projekt allerdings nur in den Köpfen seiner Planer. Spätestens 2025 aber soll die Einrichtung in Berlin-Kreuzberg eröffnet werden. Angeschoben wurde das Projekt durch eine private Initiative, in deren Mittelpunkt der Kunsthändler Bernd Schultz und die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller stehen. Für Schultz, den Mitbegründer und langjährigen Leiter der Villa Grisebach in Berlin, ist das Exilmuseum inzwischen zum „Lebensthema" geworden. Als Kunsthändler werde er beinahe täglich mit dem Schicksal deutscher Exilanten konfrontiert, mit dem Lebensweg der Künstler und Künstlerinnen und dem „Lebensweg" ihrer Werke, sagt er. Die in Rumänien geborene Schriftstellerin Herta Müller hatte sich schon vor Jahren in einem offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel für ein Museum zum Thema Exil starkgemacht. Beweggründe waren nicht zuletzt die Erfahrungen, die sie selbst mit dem Regime des rumänischen Diktators Ceausescu machte, bevor sie – als Angehörige der deutschen Minderheit in Rumänien – 1987 in die Bundesrepublik übergesiedelt war. Inzwischen hat Müller die Schirmherrschaft der „Stiftung Exilmuseum" übernommen.
Als Standort hat sich der Stiftungsrat einen bedeutungsträchtigen Ort in Berlin ausgeguckt – die Freifläche hinter der Portalruine des Anhalter Bahnhofs im Herzen der Hauptstadt. Bis zu seiner Zerstörung durch Kriegsbomben war er ein Zentralbahnhof, von dem aus nach 1933 Zehntausende ins Exil aufbrachen, darunter auch die Schriftsteller Heinrich Mann, Alfred Döblin und der Maler George Grosz. Zunächst waren vor allem die Niederlande, Frankreich sowie Großbritannien das Ziel der Exilanten.
Ruine des Anhalter Bahnhofs als Standort
Als die deutsche Wehrmacht ab 1939 in die Nachbarländer einmarschierte und den Machtbereich Hitlers über die deutschen Grenzen hinaus erweiterte, suchten die Verfolgten und Entrechteten auf anderen Kontinenten ihren rettenden Hafen. Für die meisten waren die Vereinigten Staaten von Amerika das gelobte Land – die US-Behörden registrierten rund 140.000 Emigranten aus Hitler-Deutschland. 40.000 weitere fanden in Argentinien Zuflucht. Tausende landeten in weiteren Ländern Mittel- und Südamerikas und rund 750.000 deutsche Juden brachten sich in Palästina vor Deportation und Konzentrationslagern in Sicherheit. Als die USA und andere Staaten ihre Grenzen für die Flüchtlinge schließlich dichtmachten, blieb Shanghai sicherer Zufluchtsort – bis 1941 nahm der südostasiatische Stadtstaat Exilanten auf. Rund 20.000 Menschen aus Deutschland schafften den rettenden Absprung in die Hafenstadt am anderen Ende der Welt.
Auf all diese unterschiedlichen Fluchten aus Deutschland will das geplante Museum Schlaglichter werfen, die Menschen hinter den nüchternen Zahlen und abstrakten Statistiken hervortreten lassen. Fotos, Tondokumente, Texte und Objekte, so schwebt es den Initiatoren vor, sollen künftig in multimedial gestalteten Rauminstallationen veranschaulichen, was Migration mit all ihren Neben- und Nachwirkungen für den Einzelnen bedeutet.
Allerhand Material haben die Museumsplaner bereits. Im Herbst 2017, kurz vor seinem Tod, schenkte der Fotograf Stefan Moses (1928–2018) der Stiftung Exilmuseum 158 großformatige Porträts deutscher Emigranten und Emigrantinnen – aufgenommen zwischen 1947 und 2003. Moses, der Grandseigneur der deutschen Porträtfotografie, begegnete den Menschen mit gebrochenen Biografien und Fluchtschicksalen aufgrund seiner jüdischen Abstammung stets mit besonderer Empathie. Anfang 2018 ging dann eine weitere Schenkung bei den Berlinern ein: die Bestände einer privaten Spezialbibliothek zur Geschichte des Exils nach 1933. Darunter waren historische Zeitschriften, Broschüren, Briefe und Video-Interviews.
Zusammengetragen hat sie der Hamburger Historiker und Exilforscher Claus-Dieter Krohn, der die Stiftung Exilmuseum nun auch als wissenschaftlicher Berater unterstützt.
Keine Anerkennung als NS-Opfer
Zu den prominenteren Exilanten-Biografien, auf die Besucher im geplanten Museum stoßen werden, gehört die des ehemaligen Berliner Bürgermeisters Ernst Reuter. Der Sozialdemokrat, der durch seinen flammenden Appell an die „Völker der Welt" während der Berlin-Blockade von 1948 weltbekannt geworden ist, war von den Nationalsozialisten schon kurz nach deren Machtergreifung 1933 festgenommen, inhaftiert und misshandelt worden. 1935 gelang ihm die Flucht nach Großbritannien. Weil er auf der britischen Insel beruflich nicht Fuß fassen konnte, siedelte er in die Türkei über, wo er eine Stelle im türkischen Wirtschaftsministerium bekam. 1946 kehrte der Berliner in seine Heimatstadt zurück und konnte seine politische Karriere fortsetzen. Zwei Jahre später wurde er Bürgermeister von West-berlin, wo er entscheidend zur neuen politischen Weichenstellung beitrug. Diese führte zu einer festen Bindung Westberlins und der jungen Bundesrepublik an die westlichen Besatzungsmächte.
Brecht, bekennender Kommunist und den Nazis wegen seiner gesellschaftskritischen Bühnenstücke ein Dorn im Auge, war 1933 nach dem Reichstagsbrand quasi in letzter Minute aus Deutschland geflohen. Auch er kehrte nach Kriegsende aus dem amerikanischen Exil zurück. Seine Wirkungsstätte wurde Ostberlin, die Hauptstadt der jungen DDR, wo er mit seinem Berliner Ensemble an frühere Erfolge anknüpfen konnte.
Doch die Biografien erfolgreicher Heimkehrer stellen die Ausnahmen dar. Viele, die Hitler-Deutschland den Rücken gekehrt hatten, konnten nach Kriegsende an den Orten, die sie Jahre zuvor verlassen hatten, nicht mehr Fuß fassen. Literaturnobelpreisträger Thomas Mann zum Beispiel fremdelte nach seiner Rückkehr aus den USA mit dem geteilten Land, besuchte zwar Frankfurt am Main und Weimar, bevorzugte als Wohnort aber die Schweiz. Die allermeisten Exilanten kamen nie wieder zurück in die Heimat, die nun in zwei Staaten geteilt war. Und weder die Bundesrepublik noch die DDR baten die Exilanten um Verzeihung oder munterten sie zur Rückkehr auf und als NS-Opfer wurden sie nicht anerkannt. Das Exilmuseum könnte künftig ein Ort sein, um das Leid derer anzuerkennen, die sich fern der Heimat zwar sicherer fühlten, aber dort Entwurzelte waren. Die Museumsmacher wollen auch das Verständnis für die Exilanten unserer Tage schärfen. Denn schließlich, betonen sie, sei heutzutage weltweit jeder 113. Mensch zur Migration gezwungen.