Das deutsche Ehepaar Annemarie (66) und Werner Tröder (70) wanderte vor rund 25 Jahren nach Jamaika aus. Die Bäckerei, die sie dort eröffneten, war auf Dauer ebenso wenig von Erfolg gekrönt wie das Geschäft mit selbst produziertem Fruchtwein und Käse. Dass die beiden Überlebenskünstler dennoch nicht den Mut verloren, verdanken sie ihren Adoptiv-Kindern Amy und Marcus.
Bitte hier entlang!" sagt Marcus Tröder in gutem Deutsch und führt den Gast durch den Garten seiner Eltern. Das Grundstück liegt an der Nordküste Jamaikas, ganz in der Nähe der berühmten Dunn’s River Falls. Dass er hier als Kind seine eigenen Beete und Bäume hatte, macht den jungen Jamaikaner noch heute stolz. „Vieles von dem hier hab’ ich selbst gepflanzt", sagt er.
Was für ein Garten! Wo in Deutschland Äpfel und Radieschen wachsen, sprießen hier Bananen, Zuckerrohr und Kokospalmen. Ein paar Blumenstauden sehen etwas mitgenommen aus. „Leider machen die Hunde viel kaputt. Aber meine Eltern brauchen sie, um das Haus zu schützen", erklärt er. Inzwischen lebt der 21-Jährige mit seiner Freundin Natascha im nahen Ocho Rios, wo er als Kellner in einem Hotel arbeitet.
Trotz früher Stunde ist es heiß. Schillernd bunte Schmetterlinge. Ein blauer Kolibri. Tropisch üppiges Grün. Es riecht nach Regenwald und nach frisch gebackenen deutschen Brötchen. „Vorsicht, heiß!", warnt Werner Tröder und lässt seinen Gast probieren. Einfach köstlich. Für Jamaikaner sicher eine ganz besondere Gaumenfreude, könnte man vermuten. Doch weit gefehlt. „Die Leute hier sind den billigen Watteteig nach amerikanischer Art gewöhnt. Vielen schienen die ‚German Rolls’ zu exotisch zu sein, vielleicht auch zu teuer. Unser Brot kam da schon besser an", erzählt der 70-jährige Rentner, der in Deutschland 25 Jahre lang als Computerfachmann arbeitete.
„Zunächst wollten wir nur unsere Ferien hier verbringen"
In der Backstube wird gelacht und geklappert. Auch wenn die Bäckerei schon längst wieder Geschichte ist: Ab und zu wird die Technik zum Eigenbedarf genutzt. „Früher haben wir damit Supermärkte und Hotels beliefert", sagt Werners Frau Annemarie und füllt die warmen Brötchen in einen großen Korb. Tochter Amy, 20, geht ihr dabei zur Hand.
„Jamaika war schon immer unser Traumland. Seit dem ersten Urlaub 1977 hat es uns nicht mehr losgelassen. Nach 30 weiteren Reisen – in elf Jahren! – kauften wir dieses Grundstück am Rande von Ocho Rios und bauten, zunächst in der Absicht, unsere Ferien künftig hier zu verbringen", erzählt Werner, der hier alles gefunden hat, was er zum Leben braucht – „außer Schwarzwälder Schinken", fügt er scherzhaft hinzu. Aber das sei nicht wirklich ein Verlust. Damals, zu Beginn der 90er, lebten beide noch in Essen, wo Anni als Postangestellte arbeitete. Die drei Kinder waren inzwischen erwachsen.
„Zufällig las ich zu dieser Zeit in meinem Betrieb am Schwarzen Brett, dass mein Arbeitgeber unbezahlten Urlaub für Weiterbildung oder ‚persönliche Projekte‘ gewährt", erinnert sich Werner. Diese Gelegenheit nutzten er und seine Frau für einen Start mit Probezeit: „Anni kündigte und bekam eine Abfindung. Von dem Geld kauften wir Backofen, Rührmaschine und eine Brötchenpresse."
In einer extra angefertigten großen Seekiste wurde das Equipment transportiert. Da das Haus in Jamaika bereits möbliert war, nahmen die Auswanderer zunächst nur ihre Bücher und Reggae-Schallplatten mit, den Rest einige Monate später, als sie ihr Haus in Deutschland verkauften.
„Es ging zum Schluss alles so schnell, dass die Zeit bis zum Abflug nicht ausreichte, alle Zimmer vollständig auszuräumen. Aber wir wollten die neuen Hausbesitzer nicht verärgern. So verteilte Anni in den letzten Minuten, bevor uns das Taxi zum Flughafen brachte, Getränke und kleine Geschenke in allen Räumen. Später freuten wir uns, dass sie diese Entschuldigung angenommen hatten", berichtet Werner.
„Die Idee mit der Bäckerei war uns gekommen, weil ich mich in unseren Urlauben oft über das hiesige Brot geärgert hatte. Außerdem wollten wir keinem Einheimischen die Arbeit wegnehmen. Wir ließen uns von unserem Bäcker in Essen alles genau erklären und bei der Planung helfen. Das Backen an sich ist ja nicht schwer, aber bis alles genehmigt war, an Ort und Stelle stand und funktionierte, verging viel Zeit", erinnert sich Annemarie.
Die Adoption war ein beschwerlicher Weg
Die ersten „selbst gebastelten Schrippen" zogen die Tröders im Mai 1994 aus dem Ofen. „Sie waren etwas zu klein und vielleicht ein bisschen salzig, aber sie sahen toll aus und schmeckten gut", resümiert der Autodidakt selbstkritisch. Der erste Kunde von „Ann’s German Bakery" war ein Hotel, in dem das Ehepaar selbst jahrelang logiert hatte. „Als ich in der Küche ankam, um die ersten 30 Brötchen zu liefern, fehlten bereits einige, die mir Gäste aus dem Korb stibitzt hatten. Anni hatte mit ihrem Einfall einen Volltreffer gelandet", sagt Werner und schaut liebevoll zu seiner Frau.
Leider war der Erfolg der kleinen Bäckerei nicht dauerhaft. Nach fast 20 Jahren mussten sie die Tröders mangels Nachfrage schließen. Noch ein weiteres Mal setzten sie eine Geschäftsidee in die Tat um: Wein und Käse herzustellen und zu verkaufen. Kokoswasser, Ananas, Mango und Papaya wurden zu Fruchtwein und wöchentlich 100 Liter frische Kuhmilch zu Käse verarbeitet. Als ihnen ein großer Konzern die komplette Milch wegkaufte, beschloss das Paar, in Rente zu gehen.
Unglücklich sind die beiden Aussteiger darüber nicht. Dafür sorgen vor allem Amy und Marcus, ihr ganzer Stolz. Die Waisenkinder in ihre Familie aufzunehmen, war zweifellos die beste Entscheidung. „Wir wussten, dass sehr viele Kinder hier ohne Eltern aufwachsen und es den meisten nicht besonders gut geht", sagt Annemarie. Dennoch sei die Adoption ein unverständlich harter und langwieriger Weg über bürokratische und sonstige Hürden gewesen.
„Man schickte uns von hier nach da. In einem Heim meinten sie, sie hätten keine so kleinen Kinder. In einem anderen wurden Eltern für einen Jungen gesucht. Doch mit der Begründung, dass das Baby krank sei, lehnte die Leiterin ab. Den Beamten sagte sie, dass sie uns das Kind nicht geben will, weil es für uns zu schwarz sei. Das war damals eine ganz neue Jamaika-Erfahrung für uns", so die 66-Jährige.
Nach einem endlich erfreulichen Telefonat und drei Gerichtsterminen erhielten Annemarie und Werner Tröder die Erlaubnis, Marcus aus dem Cornwall Regional Hospital abzuholen. Er war damals sechs Wochen alt. „Ein Jahr später rief uns dieselbe Sozialarbeiterin an und sagte, dass gerade eine junge Mutter zu ihr ins Krankenhaus gekommen sei und ihr ein kleines Mädchen gebracht habe. Ob wir es möchten. Das war Amy, vier Wochen alt, ganz winzig und federleicht. Wir durften sie mitnehmen", berichtet sie.
Bis zur amtlichen Adoption vergingen neun Jahre – mit Anträgen, Empfehlungsschreiben, Terminen und Verhandlungen. Den Durchbruch, meint Werner, brachte ein Live-Interview im Radio: „Danach nahm die Chefin des staatlichen Adoptionsamtes unseren Fall selbst in die Hand. Erst später erfuhren wir, dass wir viel Zeit und Ärger gespart hätten, wenn wir bei unseren Ämtergängen gleich ins Portemonnaie gegriffen hätten."
Inzwischen sind beide Kinder ihren Eltern längst über die Köpfe gewachsen. Amy wohnt noch bei ihnen. Marcus ist eigenständig und bereits selbst Vater. „Um sicher zu sein, dass die Kinder zweisprachig aufwachsen, habe ich von Anfang an mit ihnen Englisch und Anni Deutsch gesprochen. Sie haben gelernt, jeweils in derselben Sprache zu antworten", erklärt Werner. Marcus grinst. „Das hat meist ganz gut geklappt. Zu Hause redeten wir fast immer Deutsch. Nur wenn es um die Schule ging, wechselten wir meist ins Englische. Das machte es leichter, wenn es um die Hausaufgaben ging", sagt er.
Sie unterstützen erkrankte Urlauber
Seine Mutter verschwindet in der Küche und kommt mit bunt gefüllten Gläschen zurück. Natürlich darf kein Besucher das Trödersche Haus verlassen, ohne von Annis berühmten Gelees und Marmeladen gekostet zu haben. Neben Namen von bekannten Früchten stehen solche wie Guinep (Spanische Limette), Hog Plum (Gelbe Mombinpflaume), Star Apple (Sternapfel) und Naseberry (Früchte des Breiapfel- oder Kaugummibaums) auf den Etiketten.
„Viele Zutaten wachsen vor der Tür. Auch die Bananen sind aus unserem Garten", sagt Amy, die ihrer Mutter gern in der Küche hilft. Früher wurden die leckeren Fruchtzubereitungen verkauft. Heute gibt Anni nur noch die Rezepte dazu weiter, unter anderem in eigenen Büchern wie „Jamaican Jam, Marmelade & Jellies" oder „Ital Food – Eating like Rasta". Angestiftet zu diesen Projekten hat sie ihr Mann, Autor eines Sachbuchs über Reggae.
Neue Aufgaben und Herausforderungen suchen sich Annemarie und Werner Tröder auch jetzt als Pensionäre noch. Seit drei Jahren unterstützen sie Kreuzfahrtpassagiere, die wegen Krankheit oder eines Unfalls von Bord gehen müssen, sowie deren Partner. „Wir helfen ihnen beim Übersetzen im Krankenhaus und betreuen sie bis zum Heimflug", erklärt Werner und schenkt allen hausgemachten Obstwein ein.
Aus der Ferne übertönt ein Schiffshorn das Zwitschern und Summen der Vögel und Insekten. Ein Kreuzfahrtschiff verlässt den Hafen. Von seinen Passagieren, die hier einen halben Tag an Land waren, haben sicherlich die meisten Jamaika zum allerersten Mal gesehen. Morgen schon werden sie auf einer anderen Karibikinsel sein.