Das Luxusmaterial Seide ist diesen Winter in der Damenmode wieder angesagt wie seit Langem nicht mehr. Neben eher klassischen Umsetzungen überrascht vor allem die Verwendung von Mustern oder Prints aus der Seidenschal- beziehungsweise Foulards-Ecke.
Keine Angst, wir werden im Folgenden nicht mit reichlich Verspätung auf die längst streetstyletaugliche Schlafzimmermode eingehen. Schließlich haben sich der Pyjama-Look mit seidigen Hosen und Blazern und der Lingerie-Look mit hauchzarten Slip Dresses seit 2015 fest in der Fashionwelt etablieren können. Ergänzt wurden die Slip Dresses im Sommer noch durch die Variante Slip Skirts: Die knie- oder maxilangen Seidenkleider waren in den heißen Monaten die perfekte Alternative zu lässigen Jeans-Shorts und eleganten Roben.
Nicht gänzlich unerwähnt sollen an dieser Stelle die leuchtend-bunten Seidenhosen bleiben, die im Sommer 2011 weltweit auf den Straßen zu sehen waren, in knalligem Rot aus dem Hause Haider Ackermann, in Purpur von Louis Vuitton oder in Flaschengrün von Gucci. Das weckte damals nostalgische Erinnerungen an die Blumenkinder, als romantisch wallende, bodenlange Seidenkleider zum Standard-Repertoire eines waschechten Hippiemädchens zählten. Ein Retro-Look, der im Boho-Chic der Coachella-Festival-Junkies ein schier unglaubliches Comeback feiern konnte.
Für manche Designer wie Victoria Beckham, Etro oder Valentino Grund genug, im Winter 2017/2018 wieder mal eine Offensive in Sachen High-Fashion-Seiden-Dresses zu starten. Auch wenn im Zuge des scheinbar unaufhaltsamen Vormarsches von Bequemlichkeit, Lässigkeit und Athleisure-Sportivem die Rückbesinnung auf das hochwertige, dafür aber auch hochempfindliche Naturmaterial doch ziemlich überraschend kam. Im Winter 2018/2019 setzen die Luxuslabels in Sachen Seide, die sich durch ihren Glanz und ihre hohe Festigkeit auszeichnet, nun noch einen drauf, wobei sie neben eher klassischen Umsetzungen auch Kleidungsstücke entworfen haben, deren Prints oder Muster überdeutlich von Seidenschals oder Foulards inspiriert wurden. Manche wirkten sogar, als habe der Designer sein Kleid, seinen Rock oder seine Bluse direkt aus einer Vielzahl von Halstüchern zusammengenäht. Die Farbbrillanz ist bei diesen Kleidungsstücken geradezu überwältigend. Kein Wunder, gilt doch die kaum zum Knittern neigende Seide als perfekter Farbträger.
Klassiker in Midi und Maxi
Beginnen möchten wir mit den Klassikern, die in Midi- oder Maxilänge gewissermaßen ein zeitgemäß-modernes 2.0-Lifting erhalten haben, die dennoch größtenteils über einen nostalgischen Touch verfügen. Das Two-Tone gelbe, fast bodenlange Seidenkleid von Adeam beispielsweise wirkt so, als habe der Designer das Mittelalter direkt ins 21. Jahrhundert hineingebeamt. Mindestens ebenso große Aufmerksamkeit erregte ein Dress des Labels Hellessy, das fast wie ein eleganter Morgenmantel geschneidert war und das seine Trägerin auf dem Laufsteg in eine märchenhafte Wald-Nymphe verwandelte. Wogend prinzessinnengleich sind auch die Seidenkleider von Pyer Moss. Auch in den aktuellen Kollektionen von Céline oder Roksanda finden sich jede Menge klassischer Seidenroben. Die Verarbeitung von Seide ist diesen Winter allerdings keineswegs nur auf Kleider beschränkt, sondern findet sich auch bei kurzen Tuniken, beispielsweise von Richard Quinn, Blusen (Faustine Steinmetz) oder sogar bei regelrechten Seiden-Layering-Ensembles, wie sie Marine Serre in ihrem aktuellen Sortiment hat. Wer sich einen vornehmen Pyjama-Look zulegen möchte, sollte einfach mal bei Bottega Veneta vorbeischauen.
Falls Queen Elizabeth noch Lust haben sollte, ihre Garderobe zu erweitern, dürften die neuen Klamotten mit Seidenschal-Print genau ihr Ding sein. Schließlich zählen die noblen Tücher zeitlebens zu ihren absoluten Favoriten. Wie überhaupt Foulards bei den britischen Königinnen seit Jahrzehnten hoch im Kurs stehen, beginnend mit Königin Victoria, die den Seidenschal ab 1837 in vornehmsten Adelskreisen gewissermaßen zu einem absoluten Must-have erhoben hatte. Aber wahrscheinlich dürften der heutigen britischen Majestät die Kleider, Röcke und Blusen mit ihrer Farbenfreude zu knallig sein. Die Muster, vom traditionellen Paisley über Florales bis hin zu Abstrakt-Geometrischem, kommen in leuchtenden Tönen daher. Bei manchen Kreationen ist es nur noch ein winziger Schritt bis hin zum Kitsch. Da sollte der Rest der Klamotten und Accessoires auf jeden Fall möglichst dezent gehalten sein. Einsteigertauglich erscheinen die Schal-Print-Umsetzungen bei Marken wie Salvatore Ferragamo, Moschino, Oscar de la Renta, Etro, Burberry oder Tory Burch.
Die Seidenherstellung wurde vor gut 5.000 Jahren im alten China und in den Zentren der Indus-Kultur entdeckt. Die Chinesen hatten schon damals den Seidenspinner gezüchtet, während sich die Indus-Völker an den Wildseidenspinner hielten. Bis ins 6. Jahrhundert n. Chr. blieb die Seidengewinnung ein wohl behütetes chinesisches Geheimnis, für die Ausfuhr von Raupen oder Eiern des Schmetterlings drohte jedem Einheimischen die Todesstrafe.
Seide hatte den Wert von Gold
Zwar sollten um 350 v. Chr. laut Aristoteles auch die Griechen auf der Insel Kos ein Seidengewebe herstellen, doch dieses konnte es in Sachen Qualität bei Weitem nicht mit den viel feineren chinesischen Erzeugnissen aufnehmen. Gleiches galt für die römische Seide, die dank einer spinnenden Steckmuschel aus dem Mittelmeer gewonnen werden konnte und daher Muschelseide genannt wurde. Die Nachfrage der Römer nach dem chinesischen Original war so groß, dass um 100 v. Chr. die berühmte Seidenstraße etabliert wurde, der erste Handelsweg zwischen China und Europa. Ein Kilogramm Seide wurde mit dem gleichen Gewicht in Gold aufgewogen. Der Legende nach sollen zwei persische Mönche Seidenspinner-Eier und Maulbeerbaumsamen um das Jahr 522 n. Chr. an den byzantinischen Hof geschmuggelt haben.
Zwar war fortan das chinesische Monopol der Seidenherstellung gebrochen, aber es sollte noch Jahrhunderte dauern, bis die europäische Seide ernsthaft konkurrenzfähig werden konnte. Dank der Mauren und Araber, die in Spanien ab dem 8. Jahrhundert Werkstätten gegründet hatten, gelangte das Wissen um die Seidenherstellung um 950 nach Italien, wo sich bald Palermo, Lucca, Venedig, Florenz, Genua, Pisa und Bologna zu bedeutenden Seidenstädten entwickeln sollten. Bis ins 16. Jahrhundert blieb Italien führend in der europäischen Seidenproduktion, auch wenn seit 1470 verstärkt auch das französische Königreich bei dem lukrativen Geschäft mitmischen wollte.
Bis Mitte des 19. Jahrhunderts dominierten die beiden Länder die europäische Seidenherstellung, in deutschen Landen wurde Krefeld durch die Seide reich und berühmt. Ab 1854 fielen alle Raupen im Abendland der Fleckenkrankheit zum Opfer. Allein dem französischen Bakteriologen Louis Pasteur, der den Erreger der Epidemie lokalisieren konnte, war es schließlich zu verdanken, dass die europäische Seidenherstellung gerettet werden konnte.