Sie gehen erst ins Wasser, wenn es richtig schön kalt ist – die Berliner Seehunde. Von Mitte September bis April treffen sie sich jeden Sonntagmorgen zum Winterschwimmen.
Ursula Schwarz ist eher zufällig zu den Seehunden dazugekommen. Eine Freundin des eisigen Schwimmens war sie allerdings vorher schon. Als zwei Mitschüler ihrer Tochter erzählten, dass ihre Eltern im Eis baden gingen, meinte die: „Meine Mutti macht das auch." So kam ein Kontakt zustande. Am Orankesee gab es seit 1980 das „Abhärtungsschwimmen" der BSG Bergmann-Borsig. Die Gruppe hatte aber keinen Platz mehr und so zog Ursula Schwarz in einem Verein am Weißen See ihre eisigen Runden. Der ging nach der Wende ein, wie auch der Betrieb Bergmann-Borsig. Zuvor war aber noch der Verein SG Bergmann-Borsig gegründet worden, der sich inzwischen in der Berliner Sportlandschaft etabliert hat. Winterschwimmen wurde in der DDR ab den 70er-Jahren populär, wenig später auch in den alten Bundesländern. Dabei ist das keine Erfindung der Neuzeit. Schon die alten Germanen sollen sich kühn in die winterlichen Fluten gestürzt haben und auch Johann Wolfgang von Goethe sah man so manches Mal ein Eisloch in die winterliche Ilm hacken.
Die Winterschwimmer schwören auf den Abhärtungseffekt, natürlich auch Ursula Schwarz. In diesem Jahr hatte sie zwar eine Sommergrippe erwischt, aber „ansonsten hält sich eine Erkältung bei mir zwei Tage, dann ist sie wieder weg. Ein Virus macht auch um einen Eisbader keinen Bogen, aber es ist weniger schlimm und es härtet auf jeden Fall ab", ist sie sich sicher. „Es ist gut für die Durchblutung und schüttet einen Haufen Glückshormone aus. Wir sind alle auch immer lustig und fröhlich, wenn wir aus dem Wasser kommen." Wir, das sind die 112 Mitglieder bei den Berliner Seehunden. Den Namen haben sie sich übrigens selbst gegeben, das machen alle Eisbadevereine so. Sie haben ein Ritual, wenn sie sich sonntags um 10 Uhr am Orankesee treffen. Alle kommen zusammen, Informationen werden ausgetauscht und die aktuellen Geburtstagskinder beglückwünscht. Mit dem Schlachtruf: „Eis frei! Eis frei! Eis frei!" geht es ins Wasser, nackt. Das ist aber kein Muss. Wer will, kann auch mit Badesachen reinspringen. „Bei eisigen Temperaturen tragen einige Handschuhe, und die Männer, die nüscht mehr auf dem Kopp haben, auch eine Mütze." Ende November liegen die Wassertemperaturen bei fünf bis sechs Grad, für Ursula Schwarz eigentlich die unangenehmste Zeit. „Nieselregen, Luft fünf Grad, Wasser fünf Grad, da muss man sich schon überwinden und da sieht man, wer wirklich Lust hat, mitzumachen", sagt sie und schwärmt gleich danach: „Wenn es knackig frostig ist und die Sonne scheint und sich auf dem Eis spiegelt, das ist traumhaft!" Viele der Vereinsmitglieder sind seit Langem dabei. Das älteste Vereinsmitglied ist jetzt über 80 Jahre, es gab aber auch einen, der bis 98 Jahre mitschwamm. Inzwischen kommen sie auch aus anderen Teilen Berlins. Wie andere Vereine auch haben die Berliner Seehunde Nachwuchssorgen, im Augenblick jedoch steigt das Interesse jüngerer Leute wieder. Die hadern allerdings etwas mit den frühen Trainingszeiten, aber die haben sich so eingespielt und werden deshalb nicht geändert. Ursula Schwarz kann das verstehen, „ist für die ja noch mitten in der Nacht", meint sie augenzwinkernd. Sie aber lässt sich das sonntägliche, kühle Bad nicht nehmen, auch nicht, seit sie 2001 nach Reinickendorf gezogen ist. Ihren Mann übrigens konnte sie dafür nicht gewinnen, aber er teilt ihre Leidenschaft fürs Dauercampen in Brandenburg.
Der älteste ist 80 Jahre alt
Es ist aber nicht nur das gemeinsame Schwimmen mit Gleichgesinnten. Die Mitglieder schätzen auch das Vereinsleben. „Wir machen im Frühjahr eine Vereinsfahrt mit Familie und eine Wanderung im Herbst. Höhepunkte im Vereinsleben sind das Weihnachtsbaden am 25. Dezember und das Neujahrsbaden am 1. Januar, das allerdings erst um 11 Uhr beginnt. Da sind wir aber unter uns. Öffentlich ist das große Winterbadefest im Januar. Wir kostümieren uns und gehen mit großem Hallo in den See. Dazu laden wir auch andere Vereine ein, aus ganz Deutschland, aus Dänemark, Polen, die marschieren mit eigener Musik ins Wasser", erzählt sie begeistert. „Es gibt eine Disco, eine mobile Sauna und ein Catering. Das macht viel Arbeit, aber auch viel Spaß." Der nächste, inzwischen schon 34. Eisfasching findet am 12. Januar, ab 14 Uhr statt und hat das Motto „Weltraum". Kommen und zuschauen kann jeder, baden jedoch nicht. „Seit dem Loveparade-Unglück hatten wir ein großes Problem mit der Sicherheit", erklärt Ursula Schwarz nachdenklich. „Wir müssen für unsere Feste jedes Mal ein komplettes Sicherheitskonzept erarbeiten. Leider sind die Leute so unvernünftig, die gehen sogar mit Kinderwagen auf das Eis. Bei der Menge ist es für unsere Rettungsschwimmer unmöglich, den Überblick zu behalten."
Wer sich mit dem Gedanken trägt, auch Winterschwimmer zu werden, kann sich über die Webseite des Vereins anmelden. „Ich empfehle, im September oder Oktober bei uns anzufangen. Sinnvoll wäre vorher ein Gesundheitscheck beim Arzt. Jeder, der zu uns kommt, darf mal reinschnuppern, nach dem vierten Mal innerhalb von sechs Wochen muss er sich entscheiden, tritt er in den Verein ein oder nicht. Die Mitgliedschaft ist Voraussetzung, schon aus Versicherungsgründen. Außerdem müssen wir ja auch unsere Veranstaltungen finanzieren, wir brauchen die Mitgliedsbeiträge."
Die Berliner Seehunde sind auch außerhalb ihres Vereins sehr rührig. Als Mitglied des Fördervereins Obersee-Orankesee schwingen sie regelmäßig im Frühjahr und Herbst den Besen bei den Putzaktionen rund um den Orankesee und sind beim Althohenschönhausener Seenfest im September mit einem Infostand dabei.