Der Chefsessel im Saarbrücker Rathaus ist seit über vier Jahrzehnten fest in SPD-Hand. Uwe Conradt will diese Tradition durchbrechen. Der Überraschungs-CDU-Kandidat über Stadtentwicklung, Herausforderungen, Ambitionen und seine Motivation für die Kandidatur.
Herr Conradt, die CDU hat sich lange schwergetan, einen Kandidaten zur Oberbürgermeisterwahl in der Landeshauptstadt zu nominieren. Warum machen Sie das jetzt?
Die Entscheidung ist in mir über einen Zeitraum gewachsen. Natürlich habe ich auch mit meiner Frau und unseren Kindern gesprochen, diese unterstützen meine Kandidatur. Ich sehe mich in der Verantwortung, die Stadt voranzubringen. Ich will Saarbrücken in die Zukunft führen. Ich bin nicht nur der Meinung, dass es eine interessante Aufgabe ist, sondern auch eine Herausforderung. Ich will Saarbrücken wieder erfolgreich in der Liga der deutschen Landeshauptstädte positionieren.
Auf Ihren Plakaten prangt der Slogan „Gemeinsam voran". Heißt das umgekehrt, dass Ihnen das Gemeinsame derzeit fehlt?
Mein Motto lautet „Saarbrücken – gemeinsam – voran". Da wäre zunächst der Punkt „Saarbrücken". Das ist meine Heimatstadt, hier bin ich geboren, aufgewachsen, zur Schule und zur Universität gegangen.
Gemeinsam bedeutet für mich zunächst mehr Gemeinsamkeit in der Stadt selbst, egal ob man auf dem Rotenbühl, in Malstatt, Ensheim, Altenkessel oder Dudweiler wohnt – wir sind alle Saarbrücker und wir sollten wieder stolz auf unsere Stadt sein dürfen. Gemeinsam bedeutet auch mit dem Land und dem Umland, die Zukunft gemeinsam zu gestalten. Wir machen bislang zu wenig aus den Chancen. Wir haben tolle Hochschulen mit Spitzenforschung in den Bereichen Künstliche Intelligenz, Cyber-Security, Informatik, Pharmazie, neue Materialien. Aber es gibt kein integriertes Konzept, kein echtes Programm, wie wir Unternehmen in diesen Bereichen ansiedeln, Märkte erobern, damit Arbeitsplätze schaffen.
Man hatte oft nicht den Eindruck, dass man da an einem Strang zieht, etwa bei der HTW, um den Hochschulstandort voranzubringen, oder dem Vierten Pavillon, um uns als Museumsstadt und Kulturzentrum voranzubringen. Da können wir besser und schneller werden.
Eine aktuelle Herausforderung, bei der es schnell gehen muss, ist bezahlbarer Wohnraum, Sozialer Wohnungsbau. Wie würden Sie das angehen?
Das erste ist eine ehrliche Bestandsaufnahme. Dazu gehört auch die Frage: Haben wir mehr Probleme als andere? Ein Teil der Wahrheit ist, dass wir in Saarbrücken mehr Probleme haben, weil wir weniger stark vom Aufschwung profitiert haben als andere. In Saarbrücken liegt die Arbeitslosenquote immer noch bei über elf Prozent und ist damit enorm hoch. In absoluten Zahlen ist die Arbeitslosigkeit zwischen 2012 und 2018 sogar leicht gestiegen. Wenn ich eine hohe Arbeitslosigkeit habe und die sich in einigen Stadtteilen tief eingenistet hat, dann habe ich auch viele weitere soziale Probleme. Wir haben ein integriertes Konzept für Soziales Wohnen vorgelegt, bei dem die kommunale Saarbrücker Siedlungsgesellschaft eine zentrale Rolle spielt. Die muss mehr Wohnungen bauen und kaufen, um passgerechte Angebote zu machen.
Eine der größten Entwicklungen in der Stadt war das Quartier am Eurobahnhof. Die Hoffnung, dort einen Nukleus für deutsch-französischen Austausch zu schaffen, hat sich aber nicht so wie erhofft erfüllt. Woran liegt das?
Das Thema Frankreich hat für mich hohe Priorität, was die Chancen betrifft, zum Beispiel durch die ICE/TGV-Verbindung nach Paris. Die nutzen wir zu wenig. Da fehlt uns vielleicht auch das Selbstbewusstsein, weil wir glauben, wir könnten nicht konkurrieren. Ich glaube, Saarbrücken ist attraktiv, auch für Städtereisen von Menschen aus Frankreich und der Umgebung von Paris. Wir haben keine Strategie für Tages- oder Städtetourismus, um die Menschen hierherzulocken. Das will ich ändern.
Saarbrücken ist geprägt von Baustellen, was doch eigentlich zeigt, dass etwas passiert. Was fehlt Ihnen da?
Im letzten Jahr wurde viel diskutiert über die Erneuerung der Wilhelm-Heinrich-Brücke. Am Ende gab es sogar eine Feier für etwas neuen Asphalt, zwei rote Fahrradstreifen und noch nicht mal barrierefreie Fußwege. Frühere Bürgermeister haben Brücken neu gebaut und das gefeiert. Ein Fest gab es auch in der Bahnhofstraße. Hier hatte man zu 150 Jahre Bahnhofstraße eingeladen, aber nicht im Jubiläumsjahr, auch nicht zwei Jahre später, sondern vier. Wir haben also im 154. Jahr der Bahnhofstraße den 150. Geburtstag gefeiert. Das ist das Problem: Wir sind zu langsam unterwegs und nicht ambitioniert. Wir sind schon froh, wenn wir den Bestand erhalten. Wenn ich die Entwicklung von Luxemburg oder Metz vergleiche, frage ich: Warum lassen wir andere an uns vorbeiziehen? Wo ist unsere Ambition? Wo ist unser Ziel?
Fehlt so etwas wie ein Leitbild?
Das ist mein Thema: Ich glaube, wir sind uns zu oft selbst genug, ohne Ziel, ohne Ambition. Saarbrücken ist schon toll. Aber alles, was toll ist in dieser Stadt, hat nichts mit dem zu tun, was in den letzten Jahren hier passiert ist. Das ist in anderen Städten anders. Wir hatten in der Vergangenheit Chancen, und die haben wir wahrgenommen, zum Beispiel die Ansiedlung von der ZF. Damals, in den 60er-Jahren, konnte man nicht wissen, was daraus wird. Damals hat man um die Ansiedlung herum neue Wohngebiete erschlossen, für Familien der Menschen, die dort arbeiten sollen. Das gleiche Thema haben wir heute mit Cispa. Wenn wir dort 700 Spitzenforscher erwarten, dann müssen wir denen ein attraktives Angebot machen, zum Wohnen, für Kinderbetreuung und Schule. Und wir müssen uns fragen, was hintendran steht. Welche Unternehmen können wir im Umfeld ansiedeln, welchen Platzbedarf haben wir, was müssen wir dort bieten? Um das Thema Cybersicherheit gibt es also noch viel mehr. Anderes Thema ist die Kreativwirtschaft. Kreativität ist heute auch ein Wirtschafts- und Imagefaktor für eine Großstadt. Der Bund fördert die Gameswirtschaft ab 2019 mit 50 Millionen Euro. Frage sind also: Was schaffen wir davon ins Land zu ziehen? Haben wir dafür eine Strategie?
Die Frage für die Stadtentwicklung, am Beispiel Osthafen und Bebauungspläne, ist aber auch: Wie viel Freiraum muss ich dieser Kreativität lassen?
Eine Großstadt muss Freiräume geben, weil sich nur in Freiheit Menschen entwickeln können, die Neues schaffen wollen. Und die brauchen wir, für Saarbrücken, für das ganze Land. Saarbrücken ist auch da zu wenig ambitioniert. Ein anderes Beispiel: Wir bauen ein neues Stadion – und es ist das kleinste Stadion, das je in einer Landeshauptstadt gebaut worden ist. Trotzdem ist es natürlich richtig, dass wir ein neues Stadion bauen. Wir wollen ein neues Kongresszentrum. Metz hat für 57 Millionen eines gebaut. Wir trauen uns noch nicht mal zu, für 100 Millionen ein neues Zentrum zu entwickeln, sondern planen den Anbau zu einem Anbau. Sind wir damit in der Liga der Landeshauptstädte? Ich habe langsam den Eindruck, dass wir ganz aus dem Blick verloren haben, dass wir Landeshauptstadt sind.
Im Land gibt es aber gleichzeitig auch die Kritik, Saarbrücken wolle alles an sich ziehen, für die restliche Entwicklung bliebe dann nichts mehr.
Zunächst glaube ich, dass wir Gemeinsamkeiten haben, aber nur noch das Gegeneinander sehen. Wenn wir zum Beispiel für Saarbrücken im Städtetourismus werben – und nur dies funktioniert – dann müssen wir natürlich auf das Weltkulturerbe Völklingen hinweisen, müssen sagen, dass der Bliesgau wunderschön ist, und die Vorteile dieser Region bis zum Bostalsee anbieten. Das gilt dann genauso für die Wirtschaftsförderung. Ich glaube, was Vertrauen in die eigene Kraft und die Chancen des Miteinanders betrifft, ist zu wenig passiert. Man belauert sich gegenseitig und am Ende passiert oft gar nichts. Wir brauchen Vertrauen in das Miteinander und an die gemeinsame Stärke. Saarbrücken ist nur dann stark, wenn auch das Umland stark ist.
Das gegenseitige Belauern zwischen Landesregierung und Landeshauptstadt hat lange Tradition, allen gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz. Ist das vor allem einer parteipolitischen Farbenlehre geschuldet?
An manchen Stellen funktioniert es, aber zwischen Landesregierung und der Landeshauptstadt muss es viel mehr integriertes Miteinander geben, um eine Region zu entwickeln. Es kann nicht darum gehen, wer am Ende vorne steht, um ein Schleifchen durchzuschneiden. Mein Angebot ist: Lasst uns ein neues Kapitel öffnen und die Chancen sehen für neue Themenfelder der Entwicklung für Stadt, Land, die gesamte Region. Lasst uns die angezogene Handbremse gemeinsam lösen.
In der Landeshauptstadt ballen sich naturgemäß viele Herausforderungen. Statistisch gesehen ist Saarbrücken eine Multi-Kulti-Stadt. Eine Chance oder eine Belastung?
Zunächst einmal profitiert Saarbrücken von der Nähe zu Frankreich im Bereich des Handels und der Freizeitaktivitäten. Das ist erfreulich. Wir sind auch eine Stadt, wo sehr viele Menschen zugezogen sind. Aber wir dürfen nicht vergessen: Wir sind auch eine Stadt, wo sehr viele Menschen weggezogen sind. 1974 hatten wir 209.000 Einwohner, wir sind heute bei 184.000 Einwohner. Luxemburg hatte 1974 knapp 80.000 und hat heute 116.000 Einwohner. Andere wachsen, bei uns geht es zurück. Das hat nicht nur mit dem Ende der Kohle und dem Rückgang beim Stahl zu tun, sondern auch damit, dass viele sehr gut ausgebildete Menschen hier keinen adäquaten Arbeitsplatz finden. Ich trete auch an, damit auch die Generation meiner Kinder hier gute Arbeit und Lebensqualität findet.
Eigentlich geht der Trend zum Wohnen in der Stadt. Warum geht es in Saarbrücken umgekehrt?
Es wurde viel zu wenig gebaut, wir haben auch oft Wohnraum, der nicht auf dem aktuellen Stand für altersgerechtes Wohnen ist. Saarbrücken ist eine der ganz wenigen Großstädte mit einem negativen Wanderungssaldo bei Senioren. Es ziehen mehr Ältere raus als rein. Und es gibt einen eklatanten Zusammenhang zwischen Wohnen und Verkehr. Je weniger Wohnraum ich habe, umso mehr Pendler habe ich. Wenn mehr Menschen in der Stadt wohnen, können wir auch das Thema ÖPNV besser entwickeln, mit weniger Verkehr, weniger Lärm. Und mit dem Verlust von Bevölkerung hängt auch die Finanzkraft zusammen. Je mehr Menschen in Saarbrücken wohnen, umso mehr Zuschüsse gibt es für die Stadt. Und man versteuert ja dort sein Einkommen, wo man wohnt. Wir haben insgesamt mehr Einpendler als Auspendler, also ist auch dort mehr Potenzial.
Ein Dauerthema in der Landeshauptstadt ist die Verkehrsinfrastruktur, vom sicheren Fahrradfahren bis zur Parkplatzsituation. Wie würden Sie das angehen?
Man muss sich nur umsehen, was um uns herum passiert. In Luxemburg wird gerade eine Tram gebaut, da entsteht jede Woche eine neue Haltestelle. Wann ist die letzte neue Saarbahn-Haltestelle eröffnet worden? In Luxemburg entsteht ein System mit 900 E-Bikes an 100 Verleihstationen. Da kann man sagen: na gut, das ist Luxemburg. Aber auch in Mainz gibt es 1.000 Leihfahrräder an 120 Stationen, und das schon seit 2012. Bezahlt hat das damals der Bund über ein Förderprogramm. Das ist der Punkt: Wenn man eine Stadt auf der Höhe der Zeit entwickelt, dann gibt es fast immer Zuschussprogramme. Jüngstes Beispiel: Der Bund fördert die Anschaffung von E-Bussen mit 92 Millionen Euro, wir haben noch nicht einmal einen Antrag gestellt. Die Verkehrsinfrastruktur basiert auf den Großprojekten der 60er- und 70er- Jahre, das ist nicht mehr zeitgemäß. Wir sind abhängig von der Stadtautobahn und haben nicht mal einen Lärmschutz, ganz zu schweigen von einer Umgehung. Es gibt kaum ordentliche Park-and-Ride-Parkplätze und dann sind sie auch nicht attraktiv. Wenn ich mit der Familie in die Innenstadt fahren wollte, müsste es preisgünstig sein, da fehlt es an Kombi-Angeboten. Im Endeffekt ziehen wir so den Autoverkehr in die Stadt.
Die Finanzlage der Stadt ist hinlänglich bekannt, ebenso die Forderung, gemeinsam mit Städten in ähnlicher Lage, zu einer Entschuldung notleidender Kommunen durch den Bund. Eine realistische Perspektive?
Saarbrücken hat über eine Milliarde Euro Schulden, nicht eingerechnet die Schulden städtischer Unternehmen. Die Landesregierung hat mit dem Saarlandpakt die Perspektive angeboten, die Hälfte der Schulden zu übernehmen. Die andere Hälfte wird die Stadt über einen Zeitraum von 45 Jahren tilgen müssen. Ich halte das für einen echten Quantensprung im Bereich der Finanzen. Wir kriegen neue Spielräume für Investitionen. Auf der anderen Seite haben wir es oft nicht geschafft, mit Kreativität Gelder des Landes und vom Bund einzuwerben, und wenn wir es hatten, das dann auch auszugeben. Das müssen wir verbessern. Saarbrücken ist eine finanzschwache Stadt, deshalb müssen wir besser und schneller werden. Ein Teil der Finanzproblematik ist eine Organisationsproblematik. Als Diplomkaufmann ist man gewohnt, nicht nur zu fragen, was es kostet, sondern auch, was es bringt. Wir müssen wieder in der Lage sein, auch Großprojekte zu stemmen, die uns mehr bringen als sie uns kosten. Das können wir übrigens an Projekten der Vergangenheit sehen. Es ist letztlich eine Frage von Zielen und wo wir uns hinbewegen wollen, und das in einer Welt, die immer digitaler wird. Seit wie vielen Jahren diskutieren wir etwa über ein Messezentrum, um am Ende unter höchster Zeitnot im Jahr 2018 ein Lebenszeichen nach Berlin zu senden, wo der Bund bereits 2014 die 50 Millionen zugesagt hat? So etwas können wir uns nicht leisten. In den vier Jahren hätten man einen Antrag mit Bürgern und Unternehmen diskutieren und entwickeln können. Für so etwas müssen wir viel stärker die sozialen Medien nutzen. Nicht nur, um positiv zu berichten, was alles passiert, sondern sehr viel stärker, um kreative Prozesse anzustoßen, wo wir gemeinsam hinwollen. Dafür müssen wir aus den ideologischen Schützengräben und mit Sachfragen sehr viel stärker an die Bürger herantreten. Das gilt für die gesamte Stadtentwicklung, Kitas, Sportanlagen, Grundschulen, Wohnungen. Hier wollen die Bürger einbezogen werden, und zwar als mündige Bürger und nicht als Bittsteller. Deshalb sage ich: Die wichtigste Rolle in dieser Stadt hat nicht der Oberbürgermeister, sondern der Bürger.
Saarbrücken ist traditionell eine SPD-Stadt. Sie treten zudem gegen die Amtsinhaberin an. Wie wollen Sie das schaffen?
Etwas flapsig geantwortet: Die SPD hat schon öfter die Oberbürgermeisterwahl gewonnen, ich habe aber noch keine verloren. Also steht es 1:1. Jetzt aber im Ernst: Ich glaube, dass die Saarbrücker sehr genau wissen, dass mit mir jemand antritt, der hier geboren ist, aufgewachsen ist, dessen Herz für Saarbrücken schlägt. Oberbürgermeister sind dann gute Oberbürgermeister, wenn sie in erster Linie versuchen, das Beste für ihre Stadt rauszuholen. Dafür stehe ich mit meiner Familie, meinen Freunden und allen, die sich dafür engagieren. Ich möchte Politik für Saarbrücken machen, meine Heimat voranbringen.