Im Motion Lab in Berlin-Treptow können sich Start-ups, Handwerksbetriebe oder kleine und mittlere Unternehmen zum Verkehr der Zukunft austauschen. Sie erhalten Zugang zu Geräten, die sonst für sie unbezahlbar wären. Einige der Ideen, die hier realisiert wurden, könnten schon bald als Modelle auf unseren Straßen auftauchen.
Der erste Blick fällt auf den Doppeldeckerbus. Den hatten Christoph Neye vom Motion Lab in Berlin und seine beiden Mitstreiter Christoph Iwasjuta und Fridtjof Gustavs einst für 1.500 Euro auf Ebay erworben. Fast schon ein Schnäppchen, auch wenn der Transport später noch einmal fast genauso viel kostete. Heute ist der Bus der zentrale Anlaufpunkt in der großen Fabrikhalle in Treptow, in der sich die jungen Unternehmer niedergelassen haben. Die Sitzbänke sind entfernt worden, stattdessen dient der Bus nun wahlweise als Konferenzraum, Ruhebereich oder auch als Telefonzelle. Plastischer ist wohl das Thema Zukunft der Mobilität kaum darstellbar.
Denn genau darum geht es beim Motion Lab. Die Firma versteht sich als Laboratorium für sämtliche neue Spielarten der Mobilität. Als eine Plattform, auf der sich junge Talente, Start-ups, Handwerksbetriebe und kleinere und mittlere Unternehmen austauschen können. Dafür bieten die beiden Firmengründer auf über 4.500 Quadratmetern die perfekte Infrastruktur, Büros und einen offenen Arbeitsraum.
Über 100 solcher „Coworking-Spaces" gibt es allein in Berlin. Sie sind der perfekte Ort für viele Freelancer und junge Unternehmen, um vor allem digitale Projekte zu entwickeln und Gleichgesinnte kennenzulernen. Für diejenigen, die nur auf traditionelles Handwerk setzen, ist dort allerdings meist kein Platz. Diese Erfahrung hatten zumindest Christoph Neye und Christoph Iwasjuta gemacht. Der eine hat Wirtschaftskommunikation studiert und danach im Marketing für diverse Start-ups gearbeitet, darunter für das soziale Netzwerk StudiVZ. Der andere stammt aus dem IT-Bereich und übernimmt damit sozusagen den technischen Part. Kennengelernt haben sie sich im FabLab in Berlin – einer Art offene Werkstatt, in der die Mitglieder den Umgang mit 3D-Druckern, Lasercuttern, CNC-Fräsen und anderen Geräten lernen und eigene Projekte umsetzen können.
Labor für alle Spielarten der Mobilität
Ihre Idee war die Entwicklung alternativer Fortbewegungsmittel, doch stießen sie dabei im FabLab bald an ihre Grenzen. „Die Geräte dort waren zu klein für unsere Zwecke, zudem fehlte der Platz, um die Prototypen zu lagern", sagt Christoph Neye. Und weil sie auf der Suche nach einer Alternative feststellen mussten, dass es einen solchen Ort in ganz Berlin nicht gibt, gründeten sie ihn kurzerhand selbst. Als dritter Mann im Bund stieß gleich zu Anfang auch noch Fridtjof Gustavs dazu.
Im Dezember 2017 wurde die Firma aus der Taufe gehoben, einen Monat später bezog man die Halle auf dem Gewerbehof unweit des Görlitzer Parks. Im Februar 2018 zogen die ersten Start-ups ein und bereits im März wurde es dermaßen eng in der Halle, dass kurz darauf eine zweite Halle direkt gegenüber angemietet werden musste. „Die Nachfrage ist auch weiterhin konstant hoch", sagt Neye, weshalb in den nächsten Jahren ein weiterer Standort geplant ist. Einen Nachteil habe der Erfolg jedoch: „Für unsere eigenen Modelle haben wir eigentlich gar keine Zeit mehr", sagt Neye.
Parallel bemüht sich das Motion Lab derzeit auch um öffentliche Fördermittel. Einen Investor aus der Automobilbranche wollten die Gründer dagegen ganz bewusst nicht ins Boot holen, weil dadurch die Gefahr bestünde, dass geistiges Eigentum abgeschöpft wird. Anders als zum Beispiel das Innovationsnetzwerk Lab 1886 von Mercedes-Benz oder die VW-Tochter Moia agiert man deshalb komplett unabhängig von der Automobilbranche.
Das Konzept eines sogenannten Makerspaces mit dem klaren Fokus auf Mobilität kommt offenbar gut an. 21 Start-ups sind aktuell im Motion Lab beheimatet, 150 Mitglieder finanzieren das Projekt. „Wir bieten eine offene Community und unterstützen sie bei der professionellen Fertigung von Prototypen bis hin zu Kleinserien", erklärt Christoph Neye. „Guided prototyping" nennt sich das – das Motion Lab stellt seinen Mitgliedern im wahrsten Sinne des Wortes die richtigen Werkzeuge zur Verfügung. Möglich wird das durch Kooperationspartner wie 3dk.Berlin: Die Firma produziert Kunststoffe für den 3D-Druck und nutzt die Fabrikhalle als Showroom – im Gegenzug stellt sie dafür die Maschinen bereit, die nach entsprechender Einweisung von allen anderen Beteiligten genutzt werden können. Gerade kleinere Unternehmen und Start-ups profitieren von dieser Art der Zusammenarbeit, weil sie sich solche Geräte ansonsten gar nicht leisten können. Ein 3D-Drucker etwa kostet in der Anschaffung normalerweise mehrere tausend Euro.
Aktives Netzwerken und Weiterbildung
Zu den weiteren Dienstleistungen, die mit einer Mitgliedschaft verbunden sind, gehört das aktive Netzwerken mit passenden Partnern sowie die gezielte Weiterbildung durch Workshops für Mitglieder, Seminare für Unternehmen und Kurse für Universitäten und Ausbildungsbetriebe. All diese Dinge hätten ihnen damals bei FabLab gefehlt, sagt Christoph Neye. „Durch die große Masse an Mitgliedern und die hohe Fluktuation wird man dort als Individuum oft gar nicht wahrgenommen. Wer nicht von sich aus aktiv netzwerkt, darf in diesem Bereich deshalb nicht allzu viel erwarten", sagt er. Motion Lab hingegen würde gezielt auf die Bedürfnisse jedes einzelnen Mitglieds eingehen.
Ohnehin spielt der Austausch untereinander im Motion Lab eine wichtige Rolle. Das Prinzip des Coworkings, also der Arbeit mit anderen in einem Raum oder Gebäude, macht sich aus Neyes Sicht ganz besonders bei solchen Start-ups bezahlt, die nicht bloß etwas am Computer programmieren, sondern mit echten Werkstoffen arbeiten: „Da geht es um mehr, als einfach nur eine Programmiersprache möglichst perfekt zu beherrschen. Während die Mittel dort von Anfang an klar sind und der Erfolg des Projekts vor allem davon abhängt, wie gut man diese einsetzt, ist die Situation hier eine ganz andere. Man kann ein hervorragender Tischler sein, aber vielleicht ist Holz ja gar nicht das richtige Material. Oft muss man eine Sache noch einmal ganz neu angehen, damit sie am Ende funktioniert – und dafür ist es sehr hilfreich, sich untereinander auszutauschen."
Ziel ist es, dass die Produkte die Markt- und Serienreife erlangen. In dem Fall wäre es jedoch immer ganz allein das Verdienst des jeweiligen Unternehmens – das Motion Lab selbst wird in keiner Weise finanziell an möglichen Gewinnen beteiligt. Zwar gibt es bereits die Überlegung, dass man zukünftig womöglich Anteile an einigen Start-ups erwirbt, die selbst über keine ausreichenden Mittel verfügen, doch vor 2020 werde diese Idee ganz sicher nicht umgesetzt, sagt Christoph Neye. Manche der im Motion Lab entwickelten Ideen könnten bis dahin sogar schon als Modelle im Straßenverkehr zu sehen sein. So hat das Berliner Start-up Ono kürzlich ein neues E-Cargo-Bike präsentiert, das nach Vorstellung der Firma bald insbesondere in der Kurier-, Express- und Paketbranche zum Einsatz kommen und dort konventionelle Zustellfahrzeuge auf der sogenannten letzten Meile zum Kunden ablösen soll. Das Fahrzeug soll die Vorteile von E-Fahrrädern und E-Autos verbinden, quasi eine neue Fahrzeugkategorie – in der Wetterschutz und einfache Transportfähigkeit vereint werden. Die Motorsteuerung macht Ono selbst. Die Elektronik ähnelt, sagt Ono, der eines Autos und nicht der eines Fahrrads.
Produkte sollen marktreif werden
Das Unternehmen Citcar steht mit seinem Lastenfahrrad Loadster sogar schon kurz vor der Serienproduktion. Dabei handelt es sich um eine Art Tretauto mit Elektroantrieb. Die integrierten und leicht zu wechselnden Akkus unterstützen den Fahrer und ermöglichen eine Reichweite von bis zu 400 Kilometern. Dank Überdachung und Türen ist man beim Loadster vor Wind, Regen und Schnee geschützt, was das Fahren im urbanen Raum noch angenehmer macht. Das Besondere: Der Loadster gilt als Fahrrad und darf sich sowohl auf der Straße als auch auf dem Radweg bewegen. Für das Design gab es in diesem Jahr den German Design Award.
Andere Anbieter im Motion Lab fertigen beispielsweise Ladestationen für Elektroautos oder entwickeln spezielle Sensoren, die bei der Suche nach einem freien Parkplatz helfen sollen. Beim Kochen in der gemeinsamen Küche oder bei einem Feierabendbier tauschen sich die Innovatoren über ihre neuesten Fortschritte aus. Am liebsten stilecht im alten Doppeldecker.