Lange Aufenthalte im Weltraum resultieren für die Astronauten in Muskelschwund, abnehmender Knochendichte und Augenproblemen. Einer neuen Studie zufolge können sie womöglich auch dauerhaft das Gehirn schädigen.
Der Traum von einem Weltraumflug zum Mars geistert seit Jahren in den Köpfen der Menschheit herum. Nicht zuletzt auch befeuert von Science-Fiction-Filmen wie „Der Marsianer", in dem der Astronaut Mark Watney alias Matt Damon nach einer gescheiterten Nasa-Mission auf dem Roten Planeten ums Überleben kämpfen muss. Vergangenes Jahr hatte US-Präsident Donald Trump nicht nur die Wiederaufnahme der bemannten Raumfahrt zum Mond angekündigt, sondern darüber hinaus auch die Eroberung des Mars zu einem offiziellen Ziel der amerikanischen Politik deklariert, um damit den Konkurrenten Russland und China, die derzeit fieberhaft lediglich an Mond-Expeditionen arbeiten, zu zeigen, wer künftig wieder die klare Nummer eins in Sachen Weltraumfahrt sein soll. Schon Trumps Vorgänger Barack Obama hatte sich gemeinsam mit der Nasa, die seit Wernher von Brauns detaillierter Konzeptstudie „Das Marsprojekt" aus dem Jahr 1952 ernsthaft mit dem Thema beschäftigt ist, das ambitionierte Projekt „Journey to Mars" auf die Fahnen geschrieben. Obwohl die amerikanischen Raumfahrer nach Einstellung des US-Shuttle-Programms 2011 ohne russische Hilfe nicht einmal zur Internationalen Raumstation ISS gelangen können, sondern auf russische Sojus-Raketen angewiesen sind.
Bei den weltweiten Diskussionen, Überlegungen und Planspielen über die Machbarkeit einer langen Mars-Expedition standen jahrelang vor allem die dafür zu bewältigenden technischen Probleme im Mittelpunkt, während etwaige gesundheitliche Schäden für die Astronauten weitgehend ausgeblendet blieben.
Bei Langzeitaufenthalten im All stellen sich zwangsläufig gesundheitliche Schädigungen ein, die mittlerweile auch wissenschaftlich erforscht sind. Die Schwerelosigkeit führt schon bei kürzeren Kosmos-Verweildauern zu Knochen- und Muskelschwund, zudem kommt es zu einer Umverteilung der Flüssigkeit aus den Beinen in den Oberkörper, was sich bei den Weltraumfahrern in aufgedunsenen Gesichtern und schlanken Beinen körperlich auswirkt. Die Bandscheiben dehnen sich aus, der Körper wird im Schnitt dadurch fünf Zentimeter länger und hat bei vielen Astronauten Rückenschmerzen zur Folge. All dies sind allerdings Schäden, die sich mittels eines sportiven Programms an Bord lindern oder nach der Rückkehr auf die Erde wieder beheben lassen können.
Vieles lässt sich wieder beheben
Etwas anders sieht es diesbezüglich schon bei durch die Schwerelosigkeit verursachten Veränderungen im Auge aus, wie sie US-Wissenschaftler von der University of Miami Miller School of Medicine in Miami unter Leitung von Noam Alperin 2016 bei zwei von drei Nasa-Astronauten festgestellt hatten, die eine lange Mission von rund 190 Tagen auf der ISS hinter sich hatten. Die betroffenen Astronauten hatten über eine Sehschwäche geklagt, die untersuchenden Ärzte hatten daraufhin bei ihnen eine Abflachung des hinteren Teils des Augapfels, eine Entzündung der Sehnerven sowie eine flächenmäßige Ausweitung des im medizinischen Fachjargon Liquor genannten Nervenwassers vor allem in der Augenhöhle im Frontalbereich des Schädels festgestellt. Besonders die Zunahme des Liquors, einer körpereigenen Flüssigkeit, die zum Großteil in den Hirnkammern von spezialisierten Gefäßgeflechten gebildet wird, als mögliche wesentliche Ursache der Sehbeschwerden hatte die Forscher seinerzeit überrascht. Sie konnten allerdings 2016 noch keine Beeinträchtigung der grauen und weißen Gehirnmasse durch die Ausbreitung des Nervenwassers registrieren. Genau dieses Problem sollte dann aber eine neue, Ende Oktober 2018 im Fachblatt „New England Journal of Medicine" veröffentlichte Studie, bei der Forscher der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) neben russischen Kollegen und Wissenschaftlern der Universität Antwerpen entscheidend beteiligt waren, offenlegen.
Die LMU-Wissenschaftler konnten eine deutliche Veränderung der Gehirnstruktur nach Langzeitaufenthalten im All nachweisen, wie schon 2017 einer von der Nasa finanzierten und unter Beteiligung von Forschern des Universitätsklinikums Frankfurt durchgeführten Studie entnommen werden konnte. Bei der Nasa-Studie waren Verengungen der Hirn-Zentralfurche und eine Verschiebung des Gehirns der Astronauten nach oben registriert worden, was Auslöser von Sehschwächen und Kopfschmerzen sein konnte. „Nach längerer Zeit im All wären die Teilnehmer womöglich nicht mehr in der Lage, Objekte in ihrer näheren Umgebung korrekt wahrzunehmen, geschweige denn ihre täglichen Aufgaben zu erfüllen", so die Frankfurter Forscher. „Sollten sich diese Effekte als nachhaltig herausstellen, könnte beispielsweise eine bemannte Mission zum Mars nicht in der bisher geplanten Form durchführbar sein." Zumal bei der langen Reise auch noch zusätzliche psychische Stressfaktoren wie Nahrungsmangel, Zeitmangel, Raumenge, soziale Isolation oder Langeweile von den Raumfahrern bewältigt werden müssten.
Das Resümee der aktuellen LMU-Studie lautet kurz gefasst: Ein dauerhafter Aufenthalt im All verändert nachhaltig und langfristig das menschliche Gehirn. Bislang war man davon ausgegangen, dass die Veränderungen nur kurzfristiger Natur sein würden. Die Forscher konnten nachweisen, dass „großflächige Volumenänderungen" auch noch ein halbes Jahr nach der Rückkehr aus dem All bei Raumfahrern vorhanden waren. Zwischen 2014 und 2018 hatten die Wissenschaftler zehn russische Kosmonauten, die im Schnitt 189 Tage auf der ISS verbracht hatten, eingehend untersucht. Wobei sie deren Gesundheitszustand vor allem mittels Hirn-Scans vor ihrem Flug, unmittelbar danach und bei sieben Raumfahrern noch einmal nach einem halben Jahr medizinisch festgehalten hatten.
Geringeres Volumen der sogenannten grauen Substanz
Die Ergebnisse legten den Schluss nahe, dass die Auswirkungen auf das Gehirn umso größer waren, je länger der Aufenthalt im Weltraum war. Vor allem konnten die Wissenschaftler auch noch Monate später bei den Kosmonauten ein geringeres Volumen der sogenannten grauen Substanz beobachten, jenes Teils des Großhirns, der hauptsächlich Nervenzellen enthält. Der negative Effekt bildete sich zwar im Verlauf des halben Jahres nach der Landung wieder etwas zurück, aber nicht vollständig.
Zudem zeigten Untersuchungen im Magnetresonanztomografen, dass sich der mit Nervenwasser oder Liquor gefüllte Raum im Großhirn ausgeweitet hatte. „Insgesamt deuten unsere Ergebnisse auf eine anhaltende Veränderung der Liquor-Zirkulation auch viele Monate nach einer Rückkehr zur Erde hin", so der LMU-Mediziner Prof. Peter zu Eulenburg. Und auch an der sogenannten weißen Substanz, jenem Teil des Hirngewebes, der vor allem aus Nervenfasern besteht, ließen sich Veränderungen feststellen ‒ zwar noch nicht unmittelbar nach der Rückkehr, doch nach einem halben Jahr war die weiße Substanz im Vergleich zu den früheren Untersuchungen geschrumpft. Ob die genannten Veränderungen dauerhaft Auswirkungen auf das Denkvermögen der Raumfahrer haben werden, konnten die Forscher nicht einschätzen. Aber sie konnten jedenfalls auch klinische Hinweise für eine Schädigung des Sehvermögens konstatieren, was durch den Druck des ausgedehnten Nervenwassers auf Netzhaut und Sehnerv verursacht worden sein muss. „Wir sind die ersten, die über einen längeren Zeitraum nach der Landung Veränderungen untersuchen konnten", so Peter zu Eulenburg. Um die gesundheitlichen Risiken von Langzeitmissionen zu minimieren, seien künftig zusätzliche und längerfristige Studien zwingend notwendig.