Peking plant in der Wirtschaft langfristig – Deutschland sollte das auch tun
Als Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger am 31. August 1969 die Gefahr einer neuen Supermacht in Fernost heraufbeschwor, wurde er von vielen als Phantast belächelt. „Ich sage nur China, China, China", warnte Kiesinger damals auf dem Dortmunder Wahlkonvent der CDU. Was er damit genau meinte, führte er nicht aus. Kiesinger wollte vermutlich die Bedrohung durch die Sowjetunion überhöhen – die Schreckensfarbe Rot erhielt somit einen noch dickeren Anstrich. Die Europäer sollten sich vor „der ungeheuerlichen kommunistischen Weltmacht von Wladiwostok bis an unsere Grenzen" hüten, mahnte er.
Heute ist die Herausforderung durch China sehr viel realer. Peking strebt mit Macht nach oben: in der Wirtschaft, beim Militär – und neuerdings auch im Weltraum. Jahrzehntelang war die Eroberung des Alls ein Zweikampf zwischen Amerikanern und Russen. In der vergangenen Woche gelang China die erste Landung einer Raumsonde auf der Rückseite des Mondes. Die anspruchsvolle Operation unterstreicht: Die Volksrepublik will technologische Großmacht sein. Noch in diesem Jahr soll eine weitere Sonde Gesteinsproben vom Mond auf die Erde bringen. Die Einrichtung einer bemannten Raumstation ist für 2022 anvisiert. 2030 soll der erste Chinese auf dem Mond landen.
Im Gegensatz zum Westen, wo sich der Puls der Politik nach dem nächsten Wahltermin richtet, plant das staatskapitalistische China äußerst langfristig. So hat das Riesenreich in Fernost die Initiative „Made in China 2025" aufgelegt. Binnen sechs Jahren will das Land in zehn Schlüsseltechnologien von der Luftfahrt über die Robotik bis hin zur Elektromobilität weltweit führend sein.
Dass Peking hier mit harten Bandagen antritt, hat die ehemals überlegene deutsche Solarindustrie erfahren. Mit Billigpreisen und milliardenschweren Subventionen fegten chinesische Unternehmen die Konkurrenz vom Markt.
In weiten Teilen der Welt erkauft sich Peking heute politisches Wohlverhalten durch eine Art Schulden-Diplomatie. Das Mammutvorhaben der „Neuen Seidenstraße" soll für insgesamt 850 Milliarden Dollar Infrastrukturprojekte zwischen Ostasien, Europa und Afrika schaffen. China vergibt zinslose Kredite, baut Autobahnen, Schienenverbindungen, Öl- und Gas-Pipelines – und hält sich auf diese Weise Kritik, etwa an der Lage der Menschenrechte, vom Hals.
Das funktioniert in vielen Staaten Afrikas. Aber auch in Mittel- und Osteuropa wird Peking immer aktiver. Mitten in der Eurokrise pachtete ein Staatskonzern die Hälfte des Athener Containerhafens in Piräus. Offiziell wurde dies als Hilfsaktion für das pleitebedrohte Griechenland verkauft. Doch auch hier gilt: Das nationale Interesse Chinas wird mit langem Atem verfolgt. Die Regierung will in Europa einen Fuß in der Tür haben und politisch und wirtschaftlich Einfluss ausüben.
In militärischer Hinsicht legt China neuerdings eine kraftmeierische Sprache an den Tag, die früher so nicht erkennbar war. Die Drohung von Staats- und Parteichef Xi Jinping, die demokratische Inselrepublik Taiwan, die Republik China, notfalls gewaltsam mit dem Festland zu vereinigen, gehört in diese Kategorie.
Die Botschaft ist auch an die USA gerichtet. China betrachtet den Pazifik als seinen maritimen Hinterhof und will die amerikanische Militärpräsenz dort herunterfahren. Peking steht auch hinter den Forderungen Nordkoreas, das ein Ende der gemeinsamen Manöver zwischen den Vereinigten Staaten und Südkorea verlangt.
Chinas Vorgehen unterscheidet sich gravierend von der Kurzatmigkeit der Politik im Westen. Das gilt insbesondere für die erratischen Ausschläge von US-Präsident Donald Trump: Dieser setzt vor allem auf PR-Knalleffekte.
Aber Lamentieren hilft nicht weiter. Vielmehr könnten die EU und Deutschland bei der politischen Zukunftsplanung von den Chinesen lernen. Die Bundespolitik wird zu sehr von wahltaktischen Reflexen geprägt und ist damit zu provinziell. Forderungen wie „Weg mit Hartz IV" oder „Straffällig gewordene Asylbewerber sofort abschieben" sorgen kurzfristig für die Aufregung des Publikums vor dem nächsten Urnengang. Viel wichtiger wären aber Fragen wie: Mit welchen Firmen-Champions will Europa auf dem Weltmarkt punkten? In welchen Branchen strebt die Gemeinschaft global die Nummer-eins-Rolle an? Derlei konzeptionelles Denken kommt bei uns zu kurz.