Für die Eisbären Berlin ist die Saison bislang eine große Enttäuschung. Auch der Trainerwechsel hat wenig bewirkt. Es droht ein schnelles Saison-Aus.
Der alte Trainingsanzug hat schon bessere Tage erlebt, und er spannt auch ein wenig am Bauch. Doch Stéphane Richer stört das nicht, er legt seinen Fokus auf andere Dinge. Bei jedem Training der Eisbären Berlin ist der 52-Jährige mit Feuereifer dabei. Er dirigiert, er brüllt Anweisungen, er applaudiert, er spricht mit fester Stimme an der Taktiktafel. Wer es nicht besser wüsste, der könnte meinen, Richer hätte in seiner ganzen Karriere nichts anderes gemacht. Und so fühlt er sich auch.
„Ich habe das im Blut", sagt der Kanadier über seine Trainerarbeit. Bei Adler Mannheim, den Kassel Huskies und den Hamburg Freezers hatte Richer schon hinter der Bande gecoacht, in Berlin war er allerdings als Sportdirektor angestellt. Nach der Trennung vom größtenteils beliebten, aber glücklosen Clément Jodoin übernahm Richer die Rolle des Interimstrainers. Wohl bis Saisonende. „Sollte aber ein geeigneter Kandidat auf den Markt kommen", verriet Geschäftsführer Peter John Lee, „werden wir handeln. Am Geld wird es nicht scheitern."
Mitten in der Saison einen Spitzentrainer zu verpflichten, ist aber nahezu ausgeschlossen. Also muss es Richer richten. Die Bilanz in den ersten acht Spielen unter seiner Leitung: ernüchternd. Und das ist noch gelinde ausgedrückt. Drei Siege und fünf Niederlagen sprechen nicht dafür, dass sich im Vergleich zu den Partien unter Jodoin etwas zum Guten gewendet hätte.
Bei den jüngsten Niederlagen gegen die Straubing Ice Tigers (0:1 nach Penaltyschießen) und bei den Krefeld Pinguinen (6:2) offenbarte der Rekordmeister der Deutschen Eishockey Liga (DEL) erneut, dass er in dieser Saison weit entfernt von einem Titelkandidaten ist. Kaum Spielwitz, so gut wie kein Selbstvertrauen, wenig Automatismen. Platz sechs, der zum direkten Einzug ins Play-off-Viertelfinale berechtigt, ist bereits weit entfernt.
Richer versucht fast schon verzweifelt, die Trendwende einzuleiten. Er stellte die Reihen teilweise komplett um, er versuchte es mit nur drei Sturmreihen, er tauschte auch auf der so wichtigen Torhüter-Position. Maximilian Franzreb erhielt gegen Iserlohn den Vorzug gegenüber dem Kanadier Kevin Poulin, und er machte seine Sache gut. Gegen Straubing durfte Poulin wieder den Kasten hüten – er war einer der wenigen Aktivposten. Auf der Torhüter-Position haben die Eisbären die kleinsten Probleme.
„Ich fordere mehr Aggressivität im Kampf um die Scheibe und größere Verantwortung in der Defensive", sagt Richer. Das noch größere Problem lauert aber in der Offensive, wo den Eisbären Durchschlagskraft und Zielstrebigkeit bei Torchancen völlig abgehen. „Es ist so ein bisschen die Geschichte unserer Saison, dass wir dabei kein Tor schießen", stellt Richer fest. Er reagiert auf die Krise mit noch mehr Umstellungen, was allerdings nicht zur Sicherheit der Spieler beiträgt. Die Kritik auch an Richer nimmt mit jeder Niederlage zu.
„Ich kann die Tore ja nicht selbst erzielen"
Außerdem feilt er mit seinen Spielern immer wieder an taktischen Elementen. Dies scheint der Trainer und Sportdirektor als Hauptursache für die Misere ausgemacht zu haben. „Wir haben viel über Taktik gesprochen, über Sachen, die in letzter Zeit nicht so gut waren", sagt Nationalstürmer Marcel Noebels. „Wir müssen jetzt unsere Leistung abrufen, es ist noch nicht zu spät, und wir wollen noch nach oben. Klar ist aber, dass es keine Ausreden mehr gibt." Auch Sturmkollege Louis-Marc Aubry betonte, dass es nach der Trainerentlassung von Jodoin vor allem auf die Spieler ankomme: „Wir dürfen nicht die Schuld bei anderen suchen, sondern nur bei uns. Ich hoffe, dass wir 2019 zurückkommen."
Aber wie? „Wir müssen den Fuß immer weiter auf dem Gaspedal haben, aggressiv spielen und den Gegner unter Druck setzen", sagt André Rankel. Zu viel Aggressivität hat den Eisbären zuletzt aber immer wieder geschadet, die vielen Strafzeiten wurden oft durch Gegentreffer bestraft. Ohne die richtige Balance macht sich Verunsicherung breit. Ein Teufelskreis.
Kein leichter Job für Richer. Über genügend Eishockey-Sachverstand verfügt er ohne Zweifel. Der in Hull geborene Kanadier war ein ausgezeichneter Spieler, in der nordamerikanischen Profiliga NHL war er unter anderem für Tampa Bay Lightning und die Florida Panthers aktiv. Danach sammelte Richer diverse Erfahrungen als Trainer, als Assistent und Chefcoach. Seit Mai 2017 ist er Sportdirektor der Eisbären Berlin.
„Das Team hat gezeigt, dass es gut spielen und gewinnen kann", zeigt sich Richer optimistisch. Es fehle einzig und allein „die Konstanz". Viele Experten meinen aber, dass auch Qualität fehlt. Verglichen mit den topbesetzten Kadern aus München und Mannheim können die Berliner ohnehin nicht mithalten. Also muss Richer am Zusammenhalt und am taktischen Konzept arbeiten: „Wir brauchen neue Reize, um das Leistungsvermögen der Jungs besser ausschöpfen zu können."
Eine Verletzungsmisere macht ihm allerdings das Arbeiten schwer. Die Verteidiger Florian Kettemer (Bänderriss im Knöchel) und Mark Cundari (Riss des hinteren Kreuzbandes und Teilriss des Innenbandes) fallen verletzt monatelang aus. Richer muss improvisieren – und tut dies mit überschaubarem Erfolg. In München spielte Routinier Micki DuPont fast komplett durch, gegen Bremerhaven stellte er Angreifer Florian Busch in die Verteidigung. Gegen Iserlohn fehlte Busch wegen einer Grippe.
Aufgrund der Personalsorgen statteten die Berliner den Jugendspieler Eric Mik mit einer sogenannten Förderlizenz aus. Der 18-Jährige von den Eisbären Juniors darf nun auch in der DEL für seinen Club auflaufen. Gut möglich, dass auch noch externe Verstärkung an die Spree wechselt – sofern die Anschutz Entertainment Group aus den USA, zu denen auch NHL-Club Los Angeles Kings gehört, grünes Licht gibt. „Ja, wir beobachten den Markt", gibt Manager Peter John Lee zu. Vor allem im Angriff drückt der Schuh, einzig Jamie MacQueen und James Sheppard beweisen ihre Scorer-Qualitäten beständig.
Ein Gesicht der Offensiv-Krise ist Sean Backman. Der Angreifer aus den USA, der in der vergangenen Saison für die Gegner noch ein ständiger Unruheherd auf dem Eis war, hat seine Punkteausbeute im Vergleicht zum Vorjahr halbiert. Acht Tore nach 33 Spielen ist eine miese Bilanz für einen Mann mit seinen Qualitäten.
Dass Torhüter Poulin dreimal in Folge von den Fans zum „Spieler des Monats" gewählt wurde, liegt nicht nur an den herausragenden Leistungen des 28 Jahre alten Kanadiers. Es beweist auch, wie wenig sich vor allem die Offensivspieler in die Herzen der treuen Anhänger geschossen haben. Die Krise vor dem gegnerischen Tor werde er nicht lösen, scherzte Poulin: „Ich kann die Tore ja nicht selbst erzielen."