Beim 40. Filmfestival Max Ophüls Preis in Saarbrücken wurden 16 Preise mit einer Gesamtsumme von 118.500 Euro an Nachwuchsfilmschaffende vergeben. Eine Auswahl der Prämierten.
Das Melancholische Mädchen Max Ophüls Preis: Bester Spielfilm / Preis der Ökumenischen Jury
Buch und Regie: Susanne Heinrich, Deutschland 2019
Schon in der ersten Einstellung gibt „Das melancholische Mädchen", verkörpert von Marie Rathscheck, einen Ausblick darauf, was die Zuschauer in den kommenden 80 Filmminuten erwartet. „Über melancholische Mädchen gibt es keine Filme", betont die junge Frau vor einer quietschbunten Fototapete. Der Text wirkt konstruiert, ihre Gebärden sind abgehackt, der Blick schweift dabei in die Ferne. Es folgt eine gedankliche Pause. Dann zieht sie genüsslich an einer Zigarette ohne sich nur einen Millimeter zu bewegen und setzt ihren Prolog fort. „Es gibt keine Filme über melancholische Mädchen, weil solchen Mädchen nie etwas passiert. Sie stolpern von einer Episode in die nächste, und dann, dann sind sie einfach weg."
Tatsächlich erweist sich der große Gewinnerfilm des 40. Max Ophüls Filmpreises als alles andere als leichte cineastische Kost. „Manche Episoden sind nicht ganz einfach zu gucken", gibt die Regisseurin offen zu. Auch der von ihr verfasste Text entspricht nicht unbedingt den zugänglichen Dialogen der Unterhaltungsindustrie. Muss er auch nicht, denn es geht um etwas ganz anderes.
„Am Anfang stand mein Unbehagen in der Gesellschaft", schildert Heinrich die Arbeit an ihrem Debütfilm. Zu diesem Zeitpunkt befindet sich die junge Pfarrerstochter aus Osnabrück mitten in ihrem Studium an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. Das Budget reicht eigentlich nur für einen 30-Minüter. Doch Heinrich möchte mehr. „Ich hatte diesen Stoff und dachte mir nur, wenn ich damit nicht einen ganzen Film füllen werde, zerrinnt meine Idee zwischen den Fingern."
Das fertige Werk sieht Heinrich als ein persönliches Bekenntnis, eine verfilmte Philosophie. „Die Handlung arbeitet sich an unseren gesellschaftlichen Strukturen ab und überhöht sie. Dabei versuche ich einen Weg zu finden, das Unbehagen der Gesellschaft produktiv zu machen und die Komik, die in unserem neuliberalen Alltag steckt, herauszuarbeiten." Tatsächlich beweist das „melancholische Mädchen" seinen eigenen, leicht skurrilen Humor. Auf der Suche nach einem Schlafplatz stolpert die junge Frau von einer ungewöhnlichen Begegnung zur nächsten. Auf ihrem Weg durch die Nacht trifft sie auf abstinente Existentialisten, emotional entleerte Mutterfiguren und apathische Drag Queens. Einstellungen von nackten Männern werden dabei so selbstverständlich wie das ständige Hinterfragen des emotionalen Kapitalismus unserer Gesellschaft und die Gefahr, welche dieser in sich birgt. Dabei verweist Heinrich auf die gesellschaftlichen Theorien von Eva Illouz, der Professorin für Soziologie an der Hebräischen Universität Jerusalem. „Ihre Abhandlungen halfen mir zu verstehen, warum ich als westlich sozialisierte, weiblich gelesene Person mit sehr vielen Privilegien mich trotzdem überhaupt nicht frei und überhaupt nicht gleichberechtig fühle. Vielmehr entsteht in mir der Eindruck, dass alle unsere zwischenmenschlichen Beziehungen von Konsumismus geprägt sind." • Julia Indenbaum
HI, A.I. Max Ophüls Preis: Bester Dokumentarfilm
Regie: Isa Willinger, Deutschland 2019
Eine Liebesgeschichte aus der Zukunft? Chuck ist mit einem fabrikneuen humanoiden Roboter-Prototyp eine Woche lang in Amerika unterwegs. Eine vollbusige Blondine hat er sich als Idealfrau gewünscht. Matt, der Roboterentwickler, rät seinem Kunden, die Puppe mit künstlicher Intelligenz knapp und pointiert anzusprechen. „Harmony" ist ihrerseits in der Lage lexikonartig-ausschweifende Erklärungen abzugeben. Auch Chuck möchte beeindrucken. Er steigt aufs Pferd und reitet los. „Harmony" sitzt mit Strohhut am Rande der Koppel und versichert, auf Chuck zu warten. Die Dokumentarfilmerin Isa Willinger begleitete das ungewöhnliche Paar auf sensible und nicht wertende Weise, sodass ungewöhnliche Momente entstehen. „Harmony" ist ab 2020 auf dem Markt. In Tokio bekommt Oma Sakurai den Roboter „Pepper" geschenkt. Der soll für geistige Anregung sorgen. Der Wicht fragt: „Träumen die Menschen?" Bei der alten Dame aber kommen Zweifel auf, ob der Mitbewohner ausreichend Japanischkenntnisse besitzt. Der Dokumentarfilm kommt ohne erklärendes Voice-over aus. Die Filmemacherin Isa Willinger gibt nicht vor, ob die Entwicklungen im Bereich humanoide Roboter für gut oder schlecht zu befinden sind – wohltuend, denn: Die Gedanken sind frei. Ab 7. März kommt der sehenswerte Film in die Kinos! • Michaela Auinger
Nevrland Max Ophüls Preis: Preis der Jugendjury
Regie: Gregor Schmiding, Österreich 2019
Jakob ist 17. Er lebt mit dem Vater, gespielt von Josef Hader, und dem Opa in einer Wohnung in Wien. Die Zeit bis zum Beginn des Studiums überbrückt er mit einem Aushilfsjob in einem Schlachthof. Was stimmt mit dem sensiblen Mann nicht? Erleidet er einen Zusammenbruch, weil er diese Arbeit als unerträglich empfindet? Abends klinkt er sich in Sex-Cam-Chats ein. Jakob lernt dort Kristjan kennen und begegnet dem 26-jährigen Künstler bald persönlich. Jakobs homosexuelles Erwachen ist nicht wesentlichstes Element, das den Film vorantreibt, vielmehr ist es die Reise zum Körper und zu seinen Gefühlen – eine Selbstwerdung. Regisseur und Drehbuchautor Gregor Schmiding schöpfte beim Schreiben auch aus dem eigenen Erleben einer Angststörung und seinem „Interesse an Unbewusstem". Schmiding studierte Drehbuch an der University of California in Los Angeles. Seine Visualisierungen von Rausch, Psychose und Panik, aber auch von Körperlichkeit, sind groß gedacht und groß inszeniert. Ein bildgewaltiges Werk mit eindrucksvoller Musik und einem hervorragenden Schauspieler. Simon Frühwirth erhielt für die Rolle des Jakob einen Darstellerpreis. Der Kinostart ist für Herbst 2019 geplant! • Michaela Auinger
Die Schwingen des Geistes Max Ophüls Preis: Publikumspreis Mittellanger Film
Regie: Albert Meisl, Österreich 2019
Eine Prekariats-Komödie aus Österreich versetzt das Publikum mehr als in Heiterkeit – es darf gelacht werden, und zwar laut. Ein einziger Spaß, mit wie viel kuriosen Einfällen die Geschichte erzählt und die beiden Protagonisten immer weiter ins Unglück gestürzt werden und: wieder herausfinden. Das ungleiche Musikwissenschaftler-Duo Szabo und Fitzthum erlebte 2016 im Kurzfilm „Die Last der Erinnerung" erstmals eine Projektion auf der Leinwand, gefolgt vom mittellangen Film „Der Sieg der Barmherzigkeit" 2017 - am 27. Januar auf arte im Magazin Kurzschluss zu sehen!. Auch die diesjährige Produktion „Die Schwingen des Geistes" entstand an der Filmakademie Wien. Diesmal sorgt ein Vogel für ein Übermaß an ungeahnten Verwicklungen. Der Musikwissenschafler Szabo arbeitet als Heim- und Tierbetreuer. Es beginnt damit, dass eine besondere, vornehmlich seltene Schallplatte von seinem jüngeren Ex-Kollegen Fitzthum erbeten wird. Kaum ist die Übergabe der Schallplatte erfolgt, fliegt der Papagei weg. Wäre es möglich das Federvieh zu ersetzen? Zufällig ist der Cousin von Fitzthum Ornithologe. Es wird ein Vogel gefunden, und daraufhin wird es richtig kompliziert. Die Uraufführung der 29-minütigen Komödie fand im Wettbewerb Mittellanger Film statt. Das Publikum war entzückt, zückte den Stift und kreuzte viele Male fünf Herzen auf dem Abschnitt der Eintrittskarte für den Publikumspreis an. Viel Vergnügen! • Michaela Auinger