Im Streit über Venezuela geht es vor allem um wirtschaftliche Interessen
Die Venezuela-Frage spaltet die Welt. Auslöser ist der Vorstoß des 35-jährigen Parlamentspräsidenten Juan Guaidó: Der hat sich selbst zum Interims-Staatschef ernannt und dem Amtsinhaber Nicolás Maduro die Legitimität abgesprochen. Die USA, Kanada und andere Länder erkennen Guaidó an. Russland, China, die Türkei und der Iran halten dagegen an Maduro als gewähltem Präsidenten fest.
Venezuela wird auf einmal zum Lackmustest für den moralischen Reinheitsgrad der internationalen Politik. Der USA-Flügel verurteilt Maduro als linksnationalistischen Diktator, der sein Volk versklavt und durch ein frisches Gesicht ersetzt werden muss. Russland & Co. verteidigen ihn hingegen als politisch rechtmäßig installierte Führungsfigur und Garanten des Status quo.
Eine Gruppe von EU-Ländern vertritt eine USA-Light-Position: Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Spanien, Portugal und die Niederlande wollen sich hinter Guaidó stellen, falls es nicht zu Neuwahlen kommt.
Es ist unbestritten, dass Maduro sein rohstoffreiches Land durch eine fehlgeleitete sozialistische Wirtschaftspolitik in den Abgrund getrieben hat. Der Großteil der Bevölkerung leidet unter einer Inflationsrate von mehr als 1000 Prozent und leeren Ladenregalen, während eine kleine Elite im Luxus schwelgt. Ebenso ist zu verurteilen, dass Maduro die Menschenrechte mit Füßen tritt und Oppositionspolitiker ins Gefängnis steckt oder unter Hausarrest stellt. Trotz alledem: Es ist Sache der Venezolaner, dies zu ändern.
In der heftigen Debatte um Venezuela geht es indessen weniger um die Einhaltung hehrer demokratischer Prinzipien oder des Völkerrechts. Das plötzlich aufbrandende Interesse an dem Schicksal des südamerikanischen Staats hat eine viel einfachere Erklärung: Das Land verfügt über die größten gesicherten Ölreserven der Erde.
Vor allem die energiehungrige Industrie Chinas ist auf Petro-Importe angewiesen. Peking verfolgt ehrgeizige Pläne. Das Reich der Mitte will bis 2025 in zehn Schlüsselbranchen von der Elektromobilität über die Luft- und Raumfahrt bis hin zur Chemie Weltmarktführer sein. Vor diesem Hintergrund hat die chinesische Regierung Maduro Milliarden Dollar an Krediten gewährt und Projekte für Straßen, Eisenbahnlinien und Flughäfen finanziert. Bezahlt wird mit „schwarzem Gold".
Die Türkei verfolgt das gleiche Modell. Präsident Recep Tayyip Erdogan will die Wirtschaft in seinem Land mit allen Mitteln ankurbeln und braucht daher das Öl aus Venezuela. Auch er griff Maduro mit Milliarden-Darlehen unter die Arme.
Russland stützt Venezuela aus drei Gründen. Zum einen, weil es ein wichtiger Bündnispartner im Club der Ölförderländer ist. Absprachen über die Drosselung der Produktion zur Erhöhung der Preise wirken nur, wenn die Front steht – also Opec-Staaten wie Venezuela und unabhängige Akteure wie Russland an einem Strang ziehen. Zweitens hat Moskau seit der Amtsübernahme durch den Linkspopulisten Hugo Chávez 1998 eine tiefe Bindung zur Regierung in Caracas. Und drittens will Kremlchef Wladimir Putin den Muskelspielen von US-Präsident Donald Trump Paroli bieten.
Auch Washington wird von wirtschaftlichen Motiven getrieben. Die Vereinigten Staaten sind der größte Ölabnehmer Venezuelas. Zudem ärgern Trump die sozialistischen Staatschefs in Ländern, die Amerika gern als seinen „Hinterhof" betrachtet: Neben Maduro ist dies seit Dezember auch Mexikos Präsident Andrés Manuel López Obrador. Beide setzen auf die Verstaatlichung wichtiger Wirtschaftszweige, was US-Investoren den Zugang zum Markt erschwert.
Trump hat sich mit seiner vorschnellen Parteinahme für Guaidó keinen Gefallen getan. Seine interventionistische Politik stärkt diejenigen, die er eigentlich schwächen will. Mit dem Feindbild Amerika hatte Kubas Führer Fidel Castro jahrzehntelang seine Anhänger und Gegner gegen den Druck von außen mobilisiert. Maduro wird die gleiche Propaganda-Nummer fahren.
Zudem ist Trumps Vorstoß alles andere als glaubwürdig. Derzeit verhandelt seine Regierung mit den Taliban über ein Ende des Krieges in Afghanistan. Ein „Deal" mit den finsteren Apologeten des islamischen Mittelalters hat mit den Werten, die dereinst im Westen hochgehalten wurden, absolut nichts zu tun. Eine Stärkung der ideologischen Kampagne gegen Maduro ist das nicht.