Für Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier sitzt der wirtschaftliche Haupt-Wettbewerber unter anderem in China. Doch die Konkurrenz ist längst in Deutschland angekommen: im beschaulichen Südwesten von Rheinland-Pfalz. Dort steht mittlerweile das größte deutsch-chinesische Geschäftszentrum Europas.
Wälder, Wiesen und das kleine Flüsschen Nahe prägen die idyllische Landschaft rund um Hoppstädten-Weiersbach im Hunsrück. Das beschauliche 3.500-Seelen-Dorf im Landkreis Birkenfeld mag in Deutschland kaum jemand kennen. In China dagegen genießt das Dorf in Wirtschaftskreisen einen hervorragenden Ruf. In den vergangenen sieben Jahren hat sich neben dem Umwelt-Campus der dortigen Fachhochschule das größte Geschäftszentrum zwischen China und Deutschland in Europa entwickelt. Rund 300 chinesische Firmen aller Handelsbranchen haben sich seit 2012 auf dem ehemaligen Konversionsgelände angesiedelt. Wo einst amerikanisches Militär das Bild prägte, leben inzwischen rund 1.000 Chinesen mit ihren Familien.
„Gut integriert, offen für die deutsche Kultur, kreativ und fleißig", wie Andreas Scholz betont. Er ist neben Jane Hou einer der beiden Geschäftsführer der sogenannten Oak-Garden-Gruppe. Zu der gehören mehrere Unternehmen wie die International Commercial Center Neubrücke GmbH (ICCN). Neben dem Geschäftszentrum Hoppstädten-Weiersbach – Chinesen reden aufgrund der schwierigen Aussprache lieber von Birkenfeld – verfügt die Oak-Garden-Gruppe in China inzwischen über fünf Vertretungen: in den Wirtschaftsmetropolen Peking, Shanghai, Shenzhen, Harbin im Norden sowie in Taiyuan im Süden des Reichs der Mitte. Knapp 100 Mitarbeiter zählt die Gruppe mittlerweile, davon 40 in Deutschland und 60 in China.
Bedingung für die schwierige und komplexe, aber hochinteressante Arbeit: Neben Fachkenntnissen wie IT, Marketing oder Recht müssen die Mitarbeiter interkulturelle Kompetenz mitbringen, sprich am besten dreisprachig sein – Deutsch, Englisch und Mandarin als chinesische Hochsprache. „Ohne kulturelles Verständnis beiderseits funktioniert die Zusammenarbeit einfach nicht", sagt Scholz. Die Bereitschaft, das zu lernen, sei wichtiger als die eigentlichen Fachkenntnisse und für ihn ganz klar die Grundlage der Erfolgsgeschichte von Oak Garden.
Mit einer Handvoll Mitarbeiter sei man 2012 mit einer gehörigen Portion Mut und Entschlossenheit an den Start in eine ungewisse deutsch-chinesische Zukunft gegangen. „Machen" lautete die Devise, als das innovative Wirtschaftskonzept zur Umsetzung anstand. Rund 30 Millionen Euro sind von privaten Investoren in den Neubau und in die Sanierung von Gebäuden geflossen. „Alles ohne öffentliche Unterstützung", betont Andreas Scholz. Von 18 geplanten Bürogebäuden stehen inzwischen drei mehrstöckige Häuser mit kleinen Einzelbüros und Showrooms für gehandelte Produkte.
Verena Yan, die rechte Hand des Chefs und studierte Sinologin, zeigt Outdoorausrüstungen, Schuhe oder Rotwein aus China. 95 Prozent der Geschäftsbeziehungen betreffen den Handel mit Produkten, der Rest entfällt auf Dienstleistungen. Produziert wird am deutschen Standort noch nicht, „auch wenn das die Wirtschaftsförderer des Landkreises Birkenfeld und die Industrie- und Handelskammer irgendwann mal gerne sehen würden".
Die Chinesen, die nach Hoppstädten-Weiersbach kommen, sind in der Regel klein- oder mittelständische Unternehmer, die Geschäftskontakte zu deutschen und europäischen Firmen aufbauen wollen, um ihre Waren hier zu handeln. Sie kommen gern hierher, weil Preise und Mieten im Vergleich zu den Ballungsräumen günstig sind, der Landkreis Birkenfeld mit Bahn- und Autobahnanschluss für chinesische Verhältnisse verkehrstechnisch gut zu erreichen ist und vor allem über viel Natur verfügt. Nach einer Vorauswahl und strenger Überprüfung durch die zuständigen Behörden in Deutschland müssen die chinesischen Unternehmer eine vollwertige GmbH nach deutschem Recht gründen. Geschäftsaktivitäten und Bilanzen werden regelmäßig geprüft. „Jemand, der nach Deutschland kommt und sich selbstständig macht, muss behördlicherseits zumindest davon leben können, ganz gleich ob Chinese, Russe oder Amerikaner", sagt Scholz.
1.000 Chinesen leben und arbeiten im Hunsrück
Damit das deutsch-chinesische Geschäft keine Einbahnstraße ist, gilt Gleiches für deutsche Unternehmen, die auf den chinesischen Markt exportieren möchten. „Wir haben dabei insbesondere den deutschen Klein- und Mittelstand im Visier. Viele Unternehmen würden gerne, trauen sich aber nicht, weil sie nicht wissen wie", erklärt Scholz weiter. Zu komplex, zu schwierig, zu unsicher lauten vielfach die Argumente deutscher Klein- und Mittelständler. Dabei genießt Deutschland einen guten Ruf im Reich der Mitte. Stabile Wirtschaft, Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit, Vertrauen, ein offener Umgang mit der eigenen Geschichte seien Pluspunkte, die es zu nutzen gelte. „Dafür stehen wir als Beratungs- und Umsetzungspartner in beiden Ländern zur Verfügung, denn ohne die geht es nun mal nicht bei komplexen Themenstellungen wie Zertifizierungen, Zölle, Zulassungen, Steuern und Abgaben, Patente oder Dokumentation von deutschen Produkten auf dem chinesischen Markt."
Fanden die vergangenen eigens organisierten Wirtschaftsforen allesamt in Deutschland statt, plant Oak Garden vom 20. bis 23. Oktober dieses Jahres das „4. Wirtschaftsforum" in China in Kooperation mit dem Wirtschaftsministerium Mainz und dem chinesischen Handelsministerium aus Shanxi. „Deutsche Kleinunternehmer und Mittelständler, die nach China wollen, sind herzlich eingeladen", sagt Scholz. Geplant ist 2019 außerdem der Start einer deutsch-chinesischen B2B-Plattform. Unter www.brand-de.com soll das Tor für deutsche Marken in den chinesischen Markt geöffnet werden. Ganz ohne Risiko, wie Scholz versichert.
An China führt künftig kein Weg mehr vorbei, zeigt sich die Oak-Garden-Gruppe überzeugt. Längst vorbei die Zeiten, als China als verlängerte Werkbank westlicher Industrienationen galt und bestenfalls Patente und Ideen zu kopieren wusste. Als aufstrebende Wirtschaftsmacht und zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt überzeugt China längst auf den Weltmärkten mit eigenen Hightech-Produkten. Das Gütesiegel „Made in Germany" hat dagegen an Qualität und Respekt eingebüßt.
Selbst das mediale Bild, das Deutsche von Chinesen haben und umgekehrt, könnte nicht unterschiedlicher sein. Während Deutschland argwöhnisch Chinas andauernde Menschenrechtsverletzungen und das furchteinflößende Einparteiensystem betrachtet, überwiegen in China eher die positiven Eindrücke aus Deutschland. „Trotz alledem spüren auch wir die kleinsten diplomatischen Verstimmungen zwischen beiden Ländern", sagt Scholz. Es bleibt eine zukunftsträchtige, aber auch schwierige Beziehung.
Vom Oak Garden profitieren – das konnten in den vergangenen Jahren sicherlich die Bewohner des Landkreises Birkenfeld. Denn rund 1.000 dort lebende Chinesen konsumieren, zahlen Steuern und bereichern das kulturelle und sportliche Umfeld. „Der Metzger und Bäcker vor Ort, das Fernsehgeschäft, die Autohändler, sie alle profitieren von den Neubürgern aus China", sagt Scholz. Das einmal jährlich stattfindende deutsch-chinesische Kulturfest, gemeinsame Fußballcamps für Schüler, Malwettbewerbe, das Engagement am Umwelt-Campus und viele andere gemeinsame Veranstaltungen sorgen für das gegenseitige Kennenlernen zweier höchst unterschiedlicher Kulturen. „Darauf legen wir großen Wert", sagt der Geschäftsführer.
China gilt für ihn als anpassungs- und lernfähige Kultur, die sich integriert und sich Neuem gegenüber aufgeschlossen zeigt. „Das erleichtert das Alltagsleben in Hoppenstädt-Weiersbach ungemein und es hilft, dass auch die deutschen Bewohner aufgrund ihrer wechselhaften Geschichte sich den Chinesen gegenüber offen und tolerant zeigen." Während die Bundesregierung derzeit die deutsche Wirtschaft strategisch vor dem Zugriff Chinas schützen will, heißt das Örtchen in der Pfalz die Chinesen als Geschäftspartner willkommen.