Jedes Jahr zieht der European Film Market mehr Aussteller zur Berlinale. Was bei einem der drei größten Filmmärkte hinter den Kulissen passiert, bleibt dem Publikum normalerweise verborgen. FORUM beleuchtet die marktwirtschaftliche Seite der Filmfestspiele.
Während in den Kinos rund um den Potsdamer Platz noch die Berlinale-Filme laufen und die Medienleute von einer Pressekonferenz zur nächsten hasten, ist im Martin-Gropius-Bau etwas Ruhe eingekehrt. Dort ist neben dem „Marriott Hotel" der Hauptsitz des European Film Market (EFM). Noch vor ein paar Tagen herrschte dort ein geschäftiges Treiben. Produktionsfirmen präsentierten ihre neuesten Filme. Einige waren im Berlinale-Programm zu sehen, andere liefen nur in speziellen Vorstellungen für die Filmeinkäufer. Von manchen gab es nur Trailer oder gar nur Filmschnipsel zu sehen, weil aktuell noch gedreht wurde.
Dabei hat der EFM, einer der drei weltweit wichtigsten Branchentreffen der internationalen Filmindustrie, schon den Vorteil, der erste im Jahr zu sein, noch vor der Oscar-Verleihung Ende Februar, Cannes im Mai und dem amerikanischen Filmmarkt im November. Hier in Berlin treffen sich mittlerweile fast 10.000 Besucher aus 100 Ländern. Hervorgegangen ist der EFM aus der Filmmesse, die der eigentliche Grund dafür ist, warum die Berlinale immer im Februar stattfindet. Bis 1977 war die Messe eine Sommerveranstaltung. Um sie aber gegenüber Cannes zu stärken, konnte der damalige Festivalchef Wolf Donner den Senat überzeugen, die Filmfestspiele in den Februar zu verlegen. 1988 übernahm Beki Probst für viele Jahre erfolgreich die Leitung, bis diese 2014 an den Niederländer Matthijs Wouter Knol ging. Er arbeitete zuvor als Programmleiter von „Berlinale Talents".
Der EFM kann seit Jahren auf stetig wachsende Zahlen verweisen. Hier werden jährlich Hunderte Millionen Euro Umsatz gemacht, mehr als 500 Aussteller sind zu Gast. Deshalb zog man 2000 erst ins Debis-Haus am Potsdamer Platz und dann 2006 in den Martin-Gropius-Bau gegenüber dem Abgeordnetenhaus von Berlin. Und weil auch der nicht reicht, residieren viele Firmen und Catering-Anbieter in Zelten und Containern, die sich entlang der Niederkirchner Straße reihen. Zusätzlich nutzt man das Berliner Freiheit-Hochhaus für Veranstaltungen. 2004 kamen noch 120 Unternehmen aus 35 Ländern. Zehn Jahre später waren es bereits 487.
Der EFM ist der erste Filmmarkt im Jahr
„Der EFM als einer der drei größten Filmmärkte der Welt hat sich in den vergangen Jahren darüber hinaus auch als Plattform für Innovation und Wandel etabliert", schätzt EFM-Chef Knol.
So bietet bereits zum dritten Mal der „Berlinale Africa Hub" im Gropius-Bau ein internationaler Treffpunkt für Kommunikation und Networking für afrikanische Filmschaffende. Es geht besonders um den Subsahara-Raum, aber auch um die aufstrebende äthiopische Filmszene, die auf der Suche nach internationalen Kooperationspartnern ist. Mit dem technologischen Wandel ist die Produktion von Filmen schon mit Handykameras möglich geworden. Damit können neue, häufig lokale Projekte realisiert werden.
EFM Horizon widmet sich den neuesten Entwicklungen bei der Virtual Reality. Veranstaltet vom Verleih Virtual Reality Berlin-Brandenburg (VRBB) und Booster Space wird diskutiert, wie Film, Fernsehen und Medien, die den Zuschauer nicht nur geistig, sondern auch körperlich in eine fremde Realität eintauchen lassen, verknüpft werden können.
Berlinale Series zeigt sieben neue Serienformate. unter anderem aus Dänemark, Schweden, Australien und Deutschland. Darunter ist auch eine Neuinterpretation des Klassikers „M –Eine Stadt sucht einen Mörder". Gezeigt werden die ersten beiden Folgen, wobei oft noch gar nicht feststeht, ob und wie es weitergeht. Das hängt mitunter davon ab, ob eine internationale Verleihfirma Interesse zeigt und anbeißt.
An einem anderen Tag geht es umgekehrt. Der Berlinale Co-Production Market präsentiert bei „Books at Berlinale" in Kooperation mit der Frankfurter Buchmesse zwölf neue, außergewöhnliche Buchstoffe, die sich als Vorlagen für Literaturverfilmungen anbieten. Bei der Veranstaltung, die bereits seit 2006 jährlich aktuelle Neuerscheinungen und Bestseller ins Rampenlicht rückt, können Filmproduzenten mit den Filmrechteinhabern und den Verlegern in Kontakt treten. Aus Norwegen, das dieses Jahr Ehrengast der Frankfurter Buchmesse sein wird, findet sich der Bestseller „Keep Saying Their Names" von Simon Stranger in der Auswahl. Die Rechte an dem Roman konnten in kürzester Zeit für fünfzehn Sprachen verkauft werden.
Ein chinesisch-europäisches Seminar will dazu beitragen, chinesische Produktionen nach Europa zu bringen, und umgekehrt den chinesischen Markt für europäische Produktion zu öffnen. Der Doc-Salon ist Treffpunkt für den Austausch und die Vernetzung für die Dokumentarfilmbranche.
„Der Kampf um die Zuschauer ist härter geworden"
Und natürlich spielt auch die Digitalisierung eine wichtige Rolle. Matthijs Wouter Knol: „Mit den Veränderungen und Transformationen durch die Digitalisierung verändert sich auch die Filmindustrie. Der EFM trägt dieser Entwicklung Rechnung und bietet seinen Teilnehmern Networking-Möglichkeiten zu Themen wie immersive Medien, Blockchain, Künstliche Intelligenz oder hochwertige Drama-Serien an. Gleichzeitig bleibt audiovisueller Content das Kerngeschäft des Marktes, doch die Player und Distributionswege verändern sich."
Bleibt die Frage, ob sich die neuen Wege wie das Streamen von Filmen auch auf die Geschäfte beim EFM auswirken? „Streamingdienste sind seit mittlerweile einigen Jahren regelmäßige Teilnehmerinnen und Teilnehmer beim Filmmarkt, wie Verleiher sind auch sie auf der Suche nach Content für ihre Plattformen", betont der EFM-Chef. „Der Kampf um gute Inhalte und um die Zuschauer ist sicherlich härter geworden und er trifft die Verleiher mehr als die Streamingdienste." Die Film- und Unterhaltungslandschaft verändere sich im Moment sehr stark, das habe Auswirkungen auf alle Marktteilnehmer."
Seit 2004 wird bei der Berlinale der Anteil von Regisseurinnen ermittelt und öffentlich gemacht und seit 2018 ausführlich aufbereitet. In diesem Jahr kamen noch die Bereiche Produktion, Drehbuch, Kamera und Montage hinzu. Stolz verkündete der scheidende Festivaldirektor Dieter Kosslick zur Eröffnung der Filmfestspiele, dass von den 17 Wettbewerbsfilmen sieben von Regisseurinnen gedreht wurden.
Wie sieht das beim EFM aus? Dazu Matthijs Wouter Knol: „Frauen sind immer stärker in der gesamten Filmindustrie vertreten. Sei es vor oder hinter der Kamera, oder auch in Bereichen Produktion oder Vertrieb. Der EFM bietet im Rahmen seiner zahlreichen Initiativen insgesamt rund zehn Veranstaltungen zum Thema „Diversity & Inclusion", darunter zahlreiche Events, die sich vor allem mit Gender-Gerechtigkeit in der Filmbranche beschäftigen."