Ein typisches Urner Menü mitten im verschneiten Wald selbst zubereiten? Geht im Kanton Uri in der Zentralschweiz. Hier gibt’s bei der „Urner Abenteuerküche" Schneeschuhtour und Schnellkochkurs in einem.
Von der Südspitze des Urner Sees und etwa 400 Metern über dem Meeresspiegel hat sich der Postbus schnaufend auf fast 1.000 Meter hinaufgearbeitet. Und hier – im Dörfchen Unterschächen, hinter dem die Dreitausender-Gipfel der Glarner Alpen emporragen – ist Endstation. Für den Bus, nicht aber für Winterwanderer und Schneeschuh-Tourengeher. Auf die wartet, gerade wenn die Landschaft mit einer ordentlichen Schneedecke überzogen ist, ein ganz besonderes Erlebnis: Wenn es am späten Nachmittag zur „Urner Abenteuerküche" ins wildromantische Brunnital geht.
Treffpunkt ist am Ortsausgang, wo Marco und Ramona bereits auf ihre Gäste warten. Mehrere Paare Schneeschuhe haben sie neben sich gestapelt, große Wanderrucksäcke und ein paar wasserdichte Taschen auf einem Schlitten. Und ehe sich die Teilnehmer der heutigen Tour die Schneeschuhe umschnallen, gilt es, Lebensmittel und Kochzubehör auf alle zu verteilen und in den Rucksäcken zu verstauen. Zwiebeln, Möhren und Lauch, aber auch kleine Vorratsdosen mit Zucker, Mehl und Gewürzen und mehrere Packungen Tee. So ausgestattet kann es losgehen – hinein in die Abenddämmerung und hinein ins Brunnital, das sich zwischen steilen Felswänden entlangzieht. Zunächst geht es vorbei an der sogenannten Bielen-Säge, einer mit Wasserkraft betriebenen Sägemühle aus dem 19. Jahrhundert, die letzte ihrer Art im Kanton Uri. Dann weiter auf einem leicht ansteigenden Weg ins Tal hinein. Das sei ein Dorado für Eiskletterer im Winter, erzählt Marco, während ihm die Gruppe hinterherstapft. Dicke Wolken lassen weiteren Schneefall ahnen, und im schummrigen Licht ist der fast parallel zum Weg fließende Hinter-Schächen-Bach eher zu hören als zu sehen.
Marco, der hauptberuflich als Grundschullehrer arbeitet, lotst seine Gruppe Richtung Ufer. Hier sei der richtige Ort für den ersten Gang des Menüs, sagt er grinsend. Bevor er aus seinem Rucksack mehrere Stücke Käse hervorholt und diese routiniert mit seinem Taschenmesser in Streifen schneidet. Zusammen mit Scheiben geräucherter Urner Hauswurst eine gute Grundlage für den Apéro, mit dem hier mitten im Schnee und am Fuß eines Eiswasserfalls angestoßen wird.
Hauswurst als erste Grundlage
Einen Urner Föhn gibt es, benannt nach dem warmen Südwind, der auf dem Urner See zwischen den steilen Felswänden schon mal Sturmstärke erreichen kann. Hier geht es natürlich um den Weißwein aus der Region, goldgelb leuchtet er im Glas.
Kommt fruchtig daher, hat in der Nase Noten von Apfelkompott und Zitrone, später einen leicht melonigen und fast karamelligen Geschmack. Und passt somit bestens zum würzigen Käse von der Sittlisalp, die im Sommer vom Tal aus über eine kleine Seilbahn zu erreichen ist. Die Gäste kauen und genießen, noch ein Schluck Weißwein, dann gibt Marco das Zeichen zum Aufbruch. Denn er möchte gern, bevor es ganz dunkel ist, am Rastplatz im Talwinkel, dem Ziel der Schneeschuhtour, angekommen sein.
Gut so, denn der nächste Abschnitt der Tour ist doch ein wenig anspruchsvoller. Querfeldein geht es, leicht bergauf, unter tief hängenden Zweigen hindurch, über ein paar vereiste Passagen hinweg. Und an einer Stelle müssen sich die Schneeschuh-Geher Schritt für Schritt vorantasten, hier hat Tage zuvor eine kleine Lawine Schnee und Steine den Hang hinuntergerissen. Doch dann ist die Gruppe auf einer dick verschneiten Wiese angelangt, hinten vor dem Waldsaum ist eine Gestalt auszumachen. Marco winkt. Ohne dass die anderen es bemerkt haben, ist Ramona mit dem Proviantschlitten über einen anderen Weg längst an der Feuerstelle angekommen. Nun geht’s los mit den Vorbereitungen für ein Drei-Gänge-Menü im Schnee. Einige suchen Zweige am Waldrand fürs Feuer zusammen, andere schaufeln halb eingeschneite Holzbänke frei, und Marco verteilt Brettchen und Messer zum Schnibbeln des Gemüses. Zwiebeln, Möhren, Lauch und etwas Knoblauch landen in einem großen Kessel, aus dem bald ein aromatischer Duft aufsteigt. Doch die eigentliche Würze kommt vom sogenannten Ziger, einem Frischkäse, der aus Molke hergestellt wird und dem italienischen Ricotta ähnelt. Früher sei das in der Region ein Arme-Leute-Essen gewesen, erzählt Marco. Ein „Abfallprodukt" der Käseproduktion, für Bauern und Senner aber eine willkommene Abwechslung im sonst kargen Speiseplan. Heute wird Ziger in der Zentralschweiz nicht nur zur Verfeinerung von Suppen und Salaten verwendet, sondern ist auch Füllung der meist dreieckigen Zigerkrapfen, die es zur Fastnachtszeit gibt.
Man kommt zur Ruhe und genießt die Stille
Es ist mittlerweile dunkel, Marco verteilt Stirnlampen, und dann ist es auch Zeit für die Vorspeise, eine Schüssel dampfender Suppe. Genau das Richtige, denn trotz mehrerer Lagen Kleidung wird es hier draußen langsam kühl. Und während sich die Gruppe die gut gewürzte Urner Gemüsesuppe schmecken lässt, bereiten Ramona und Marco das Hauptgericht vor: Älplermagronen. Ein typisches Schweizer Gericht, das es wohl auf fast jeder Berghütte gibt. Zwiebeln werden in Ringe geschnitten, Kartoffeln in Würfel, dazu kommt etwas gehackter Knoblauch. Im Kessel blubbert bereits Bouillon, hinein also mit den Zutaten und den Magronen – den Teigwaren – und mit einer ordentlichen Portion Urner Käse.
Das Ganze wird nun so lange gekocht, bis die Flüssigkeit aufgesogen ist – Nudeln, Kartoffeln und Käse zu einer kompakten Masse verschmolzen sind. Köstlich schmecken die Magronen – gerade hier draußen mitten im Schnee. In der Stille, im Dunkeln. Doch sie sind auch äußerst sättigend. Ob da wohl noch Platz fürs angekündigte Dessert ist?
Also erst einmal eine kleine Pause einlegen. Marco erzählt unterdessen, weshalb er das Konzept der „Urner Abenteuerküche" entwickelt hat. Er wolle gern dem weithin verbreiteten Leistungsgedanken nach dem Motto „immer höher, immer schneller" etwas entgegensetzen, sagt er. Bei den von ihm geführten Touren sei man antizyklisch unterwegs, wandere in das Brunnital, wenn die Tagesausflügler es längst verlassen hätten. Man komme zur Ruhe, könne sich Zeit nehmen, die Natur und die Stille zu genießen. Dazu komme das selbst zubereitete Essen mit regionalen Produkten.
Klar, dass dieses Konzept auch beim Dessert umgesetzt wird. Heißen Tee gibt es, dazu Zigerkrapfen von einem Bäcker am Urner See. Und dann heißt es wieder Schneeschuhe anschnallen, Stirnlampe festzurren und alles, was übrig geblieben ist, in den Rucksäcken verstauen. Auf einer gut geräumten Forststraße geht es zurück zum Dorf – rundum satt und gründlich entschleunigt.