Einst kurten hier Kaiser und Könige, später der Promi-Jetset und die Schickeria. Dann fielen das einstige Belle-Époque-Dorf und seine mondänen Grandhotels in einen Dornröschenschlaf. Nun wird Bad Gastein in Österreich wachgeküsst – von Künstlern, Kreativen und Köchen.
Supergeil. Das ist das Erste, was einem einfällt, wenn man das riesige Bild von Friedrich Liechtenstein im Hotelflur gegenüber des Fahrstuhls sieht. Schließlich hat er mit eben diesem „Supergeil"-Video einen viralen Hit der Extraklasse gelandet. Im Hotel „Miramonte", einem Mix aus 60er-Jahre-Retrochic und Wohlfühldesign, finden sich aber noch weitere Liechtenstein-Spuren: in der Bar sein alter Plattenspieler, daneben Bildbände und Alben von ihm, darunter auch eines namens „Bad Gastein", das 2014 erschien. So viel Ehre für einen Bergort? „Hier gibt es alles, wovon ich oft und gerne rede und das auf eine exemplarische zauberhafte Weise", so der Ausnahmemusiker, der immer wieder in sein Lieblingshotel „Miramonte" und nach Bad Gastein zurückkehrt.
Er ist nicht der einzige Kreative, den es in den hinteren Teil des Gasteinertals verschlägt. Beim Festival „sommer.frische.kunst" bleiben Künstler, darunter auch Größen wie Liza Minnelli oder Nora Tschirner, mitunter gleich wochenlang hier, um in den Ateliers im denkmalgeschützten Kraftwerk zu Füßen des imposanten Wasserfalls zu arbeiten. Einer der Hauptgründe für Bad Gasteins Entwicklung zur „Hochburg für Kreative und Verrückte", wie es die „NZZ" formulierte.
Ein anderer ist die „Art on Snow", die mit ihren Schnee- und Eisskulpturen, Lichtershows und Riesen-Schneegemälden als größtes Winterkunstfestival der Alpen gilt. Berühmt sind auch Kulinarikevents wie die Dinner-Gondelfahrten im nahen Dorfgastein und die „Gasteiner Skihauben", die Eckart Witzigmann, „Koch des Jahrhunderts" und Ehrenbürger von Bad Gastein, mitinitiiert hat und wie folgt beschreibt: „Bei den ,Gasteiner Skihauben‘ bieten ausgewählte Skihütten feine Schmankerln an, nach den Rezepten und der Einschulung von sieben Haubenköchen."
Kaiserin Sisi kam zum Picknicken
Die hohe Kunst des Kochens beherrschen auch Jan und Stefan, die von Berlin ins Salzburger Land gezogen sind und 2016 das außerhalb gelegene „Waldhaus Rudolfshöhe" übernahmen. Vier Gästezimmer, Mini-Restaurant – selten ist der Spruch „klein, aber fein" so passend. Untermalt von Chansons aus den 20ern kredenzen sie in unglaublich liebevoll gestalteter Umgebung gerade mal einer Handvoll Gästen eine Handvoll Schmor-Gerichte – und hauchen jenem jahrhundertealten Ort, an den schon Kaiserin Sisi zum Picknicken kam, ein neues, erfrischendes Leben ein.
Zeitreisen macht man in Bad Gastein ständig. Etwa dank Nostalgie-Einersesselbahn, die hinauf zur urigen „Bellevue Alm" schaukelt, wo man sich – abgesehen vom unnötig großen Flatscreen – so wohl fühlt, dass man kaum aufbrechen will zur dann doch herrlich amüsanten Rodelpartie. Oder dank der einst prächtigen, in den letzten Jahrzehnten aber arg heruntergekommenen K.u.k.-Prachtbauten im Ortszentrum. Schließlich war Bad Gastein im 19. Jahrhundert aufgrund seiner heißen Thermalquellen Pilgerziel für alles, was Rang und Namen hatte, inklusive Kaiser Wilhelm I. und Fürst von Bismarck.
Stein gewordener Ausdruck der großen Bedeutung waren die bis zu zwölf Stockwerke hohen Unterkünfte, die Namen trugen wie „Grand Hotel de l’Europe" oder „Mirabell", und nach und nach verwaisten. Aus der Ferne sorgen sie auch im 21. Jahrhundert für ein einmaliges Ambiente, das das „Monte Carlo der Alpen" von allen anderen Wintersportorten abhebt, aus der Nähe jedoch für ein skurriles Ruinenflair.
Dank neuer Besitzverhältnisse und Nutzungsideen kommt derzeit aber viel Bewegung in den Ort, dessen Stimmung ohnehin seit Längerem aufwärts geht – und mit ihr die Gästezahlen. Daran haben auch das ausgeprägte Nightlife, das mit vielen Live-Konzerten punktet, und die 2017 generalsanierte, legendäre Felsentherme ihren Anteil. Auch in puncto Skifahren hat sich einiges getan. Vor allem am 2.251 Meter hohen Stubnerkogel, Stichworte: neue Bahnen, Hängebrücke, Aussichtsplattform. Herrlich lange Abfahrten gab es schon immer, etwa ins bei Langläufern beliebte Angertal – zugleich die Skiverbindung nach Bad Hofgastein. Dort passiert gerade besonders viel. Rund 85 Millionen Euro wurden, unter anderem durch Crowdfunding, in die Umwandlung der Schlossalm-Standseilbahn in eine 10er-Gondelbahn gesteckt, die im Januar 2019 offiziell eröffnet. Eines der teuersten Neuprojekte des diesjährigen Alpenwinters besticht durch moderne Architektur, höchsten Komfort und ein hohes Augenmerk auf Nachhaltigkeit. Das wird noch mehr Leute anlocken, wobei schon jetzt an Spitzentagen sämtliche Verleihski und Skilehrer ausgebucht sind.
Ein Ranger führt Gruppen durch den Nationalpark
„Es wird immer schwieriger, einheimische Skilehrer zu finden", berichtet der 29-jährige Guide Matthias, „viele kommen aus dem Ausland, ein Gutteil etwa aus Dänemark." Was auch an den auffällig vielen skandinavischen Gästen liegt. Die haben weniger die typischen Bad Gasteiner Osteoporose-Programme und den Radonstollen auf ihrer Agenda als das pulsierende Nachtleben. Mit Vorliebe steuern Feierfreudige die im Westernstil gehaltene „Silver Bullet Bar", dank DJ-Kanzel und Barbetrieb auf mehreren Ebenen einer der Hotspots im Ort, an, ebenso die von Schweden geführte „Haeggbloms Bar" und die wohl bekannteste Bar des Ortes: das „Eden".
So international und laut es in Bad Gastein zugehen kann: Es geht auch leise und regional. Keiner verkörpert das besser als der aus dem Gasteinertal stammende Hans Naglmayr, Ranger im nahe gelegenen Nationalpark Hohe Tauern. Und ohne Frage kennt der 61-Jährige sein Tal wie seine Rangertasche. „Die Natur", sagt er, „ist meine Universität. Ich möchte, dass die Leute wieder ein Gespür für die Natur bekommen. Das ist in unserer Zeit verloren gegangen." Wie ihm das gelingt? In der Regel führt er Schulklassen in den ruhigen Teil des Angertals, immer wieder aber auch Privatpersonen. Etwa unsere Schneeschuhgruppe, die aus vier Erwachsenen, einem Jugendlichen und einem Kind besteht. Und als wir nach drei Stunden, in denen Hans uns durch tiefen Schnee führt und uns dabei Hermelinspuren, Fichtenkreuzschnäbel, Fische im kalten Bach und Schneeringe zeigt und von winterschlafenden Murmeltieren, den Zeiten des Goldabbaus und dem Gasteiner Spannungsfeld zwischen Halligalli und Naturidyll erzählt, zum Parkplatz kommen, können alle nur dem zehnjährigen Liam beipflichten, der meint: „Also Hans, das war einfach supergeil!"