Nicht kleckern, sondern klotzen: Während die Politik an der nicht funktionierenden Mietpreisbremse herumbosselt, fordert eine Berliner Initiative die Enteignung von Großvermietern. 200.000 Wohnungen stünden dann auf dem Prüfstand. Demnächst geht’s los Richtung Volksentscheid.
Eine Schlange von Bewerbern, die sich von der Hausecke durch die Eingangstür und das Treppenhaus hoch bis in den dritten Stock zur Wohnungstür zieht: für Wohnungssuchende in Berlin kein ungewohnter Anblick. Aber ein erschreckender. Denn mittlerweile bieten sich solche Bilder nicht mehr nur in den begehrten, hippen Vierteln der Stadt, sondern auch außerhalb des S-Bahn-Rings – außerhalb dessen, was allgemein als „Citylage" gilt. Die Durchschnittsmieten in Berlin sind, so die Zahlen der Investitionsbank Berlin (IBB) für 2017, in den vergangenen zehn Jahren um 71 Prozent gestiegen. Die Löhne und Gehälter halten da natürlich überhaupt nicht mit. Und: Pro Jahr gibt es 40.000 Berliner mehr. Aber nicht genügend neue Wohnungen. Und schon gar keine für Otto Normalberliner bezahlbaren. Was tun für mehr bezahlbare Mieten? „Wir müssen die großen Immobilienfirmen, die sich auf dem Rücken der Mieter eine goldene Nase verdienen, enteignen!" schallt es seit einigen Monaten durch die Schlagzeilen. Enteignen? Da leuchten bei vielen rote Warnzeichen auf: Sozialismus auf dem Wohnungsmarkt, das geht gar nicht! Und dass ausgerechnet die Berliner Linke die Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen – Spekulation bekämpfen" mit ihrem geplanten Volksentscheid zum Thema befürwortet, deutet so mancher in Richtung „das Rad der Geschichte wieder zurückdrehen" um. Ausgerechnet im Jubiläumsjahr des Mauerfalls.
Eine knappe Mehrheit der Berliner ist für die Initiative
Hintergrund für die Forderung der Initiative ist, dass in der Berliner Verfassung ein Recht auf angemessenen Wohnraum festgeschrieben ist. Angemessen, das heißt auch bezahlbar – beispielsweise indem man Wohnungsbestände „nur" pflegt, anstatt sie teuer aufzupolieren und die Kosten dann profitabel auf die Mieter umzulegen. Dass der Berliner Senat in der Vergangenheit fast die Hälfte der kommunalen Bestände aufgegeben hat, gibt den heutigen Besitzern eine große Marktmacht. Von der Wende bis zur Mitte des vergangenen Jahrzehnts verkaufte die klamme Hauptstadt fast 200.000 kommunale Wohnungen; allein mit der landeseigenen GSW gingen mehr als 50.000 über den Tresen – übrigens unter einem rot-roten Senat. Heute gehören die GSW-Immobilien der Deutschen Wohnen. Die besitzt als größte börsennotierte Wohnungsgesellschaft derzeit 115.000 Wohnungen in Berlin und Umgebung. Zur Zielscheibe macht sie unter anderem, dass sie immer wieder wegen ihres teils rüden Umgangs mit Mietern Kritik auf sich zieht. Neben der Deutschen Wohnen als Enteignungs-Kandidat stehen auf der Liste der Initiative weitere Großvermieter, die mehr als 3.000 Wohnungen besitzen – die Vonovia (mehr als 40.000), ADO (etwa 24.000), Akelius (etwa 11.000) und Grand City Property (etwa 4.000). Den profitorientierten Unternehmen gegenüber, möchte man diese Einteilung aufmachen, stehen die städtischen Wohnungsbaugesellschaften mit ihren vergleichsweise hohen Auflagen zum Mieterschutz oder auch die Genossenschaften.
Mit der Forderung nach Enteignung und Vergesellschaftung berufen sich deren Befürworter auf zwei Artikel des deutschen Grundgesetzes. Unter Artikel 15 heißt es: „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung […] in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden." Bislang griff dies beispielsweise beim Straßenbau. Es geht um Anliegen, an denen ein schwerwiegendes öffentliches Interesse besteht und die dem Wohl der Allgemeinheit dienen. Und es ist, ebenso wie für die Enteignung (Artikel 14 GG), eine „angemessene" Entschädigung fällig. Die Schätzungen über deren Höhe gehen weit auseinander. Laut Initiative wären acht bis 14,4 Milliarden Euro fällig, der Wohnungsverband BBU rechnet mit 25 Milliarden – fast so viel, wie der Berliner Jahreshaushalt. Und ob bei Immobilien das öffentliche Interesse an bezahlbaren Mieten und somit Schutz vor Verdrängung über dem Schutz des Eigentums steht: Darüber streiten die Juristen ohnehin. Neuland ist das Anliegen, noch dazu in dieser Größenordnung, allemal.
Die Einschätzungen laufen weit auseinander, ebenso tut es die Haltung der Berliner Politik. Die Linken stehen hinter der Initiative, die Grünen auch, wenn auch etwas zögerlicher – jedenfalls solle man die Möglichkeit prüfen. Die SPD ist gespalten: Die Jusos wollen Übernahmen sogar schon bei weit weniger Wohnungen in einer Hand ins Auge fassen. Partei- und Landeschef Michael Müller hingegen ließ nach Monaten öffentlicher Diskussion verlauten, Enteignungen seien nicht sein Weg. Dass die Opposition aus CDU, FDP, AfD ebenso wie Vertreter der Immobilienbranche entsetzt sind über die Idee und voll auf Neubau und somit Regulierung durch den Markt als Lösung für das Berliner Mietenproblem setzen, verwundert nicht.
Ob sich eine gangbare und erfolgreiche Mitte finden wird? Beispielsweise durch die von Michael Müller angedachte Rekommunalisierung, also den Rückkauf ehemaliger städtischer Wohnungsbestände – er denkt da an die gut 50.000 ehemaligen GSW-Wohnungen. Oder durch eine Deckelung der Mieten? Druck etwas zu tun, kommt von der Öffentlichkeit: Laut mehreren Umfragen ist eine knappe Mehrheit der Berliner für die Initiative. Eine erste Unterschriftensammlung beginnt im April; dass die Forderung nach Enteignung und Vergesellschaftung die Hürden bis hin zum erfolgreichen Volksentscheid nehmen wird, ist gar nicht so unwahrscheinlich.