Der Riegelsberger Julian Adrat hat mit seinem ersten Buch „Der Große Deutsche Roman" ein gewagt pornografisches Werk verfasst. Der 27-Jährige will auf die „Generation Porno" aufmerksam machen.
Auf dem Buchcover stechen drei skizzierte nackte Frauen ins Auge. Darüber prangt in großen Lettern „Der Große Deutsche Roman". Manche mögen nun meinen, der Autor kann nur Goethe, Schiller oder Mann heißen. Es muss sich um „Faust", die „Räuber" oder die „Buddenbrooks" drehen? Doch weit gefehlt. Julian B. Adrat heißt der Autor, ein 27-jähriger literarischer (Noch-)Nobody aus Riegelsberg. Und sein Erstlingswerk dreht sich um Sex, Pornos, Vaginen. Und das alles über 434 Seiten!
Im Mittelpunkt steht Leo, ein pubertierender junger Mann, der den Leser an seiner Sturm- und Drangzeit intensiv, um nicht zu sagen, schon fast unerträglich exzessiv teilhaben lässt. Leo leidet wie ein Hund unter Liebeskummer. Seine Freundin, die er nicht wirklich liebt, hat sich einem anderen zugewendet. Er flüchtet sich in Pornografie.
Ausführlich beschreibt der Wahl-Berliner in seinem Roman den Porno- und auch „Frauenkonsum" seines Protagonisten. Bei manchem wird die Schmerzgrenze wohl schon nach 30 bis 40 Seiten erreicht. Doch Julian Adrats sexuelle Fantasien und Geständnisse reichen bis zur letzten Seite.
Was daran autobiografisch ist, was dazu gedichtet – der Vater lächelt verschmitzt und fragt zurück: „Was ist schon Realität, wo beginnt Fiktion?"
Sein Buch versteht er als Anklage gegen die gedankenlose Sexualisierung unserer Gesellschaft, gegen die ausufernde Pornoindustrie, als einen Aufschrei der „Generation Porno", der er sich selbst angehörig fühlt, und von der er mittlerweile so weit wie möglichst Abstand nehmen möchte.
„Ein stärkerer Jugendschutz ist nötig"
Dass er trotzdem in aller Ausführlichkeit die sexuellen Ergüsse seines Protagonisten schildert und damit selbst Gefahr läuft, einen Porno zu schreiben, pariert er mit klaren Worten: „Unsere Gesellschaft ist sich gar nicht bewusst, was sich in unseren Kinderzimmern und auf unseren Schulhöfen abspielt. Die wenigsten Eltern wissen, was sich ihre Kinder und Jugendliche auf ihren Handys tagtäglich, oft stundenlang ansehen. Sie schenken ihnen Handys und wissen nicht, welches Tor sie mit dem Internetzugang ihren Kindern aufstoßen."
Er wolle deutlich machen, dass sich die „Generation Porno" nicht nur im herkömmlichen Sinne von der älteren Generation unterscheidet, sondern über den Pornokonsum sich innerhalb der Generation ein Bruch auftut. Teenie-Mädchen und Teenie-Jungs leben als „verschiedene" Generationen. Weitaus mehr als die Mädchen igeln sich die Jungs in ihrem Pornokonsum ein und werden von ihm verschlungen.
„Ich habe bewusst in aller Ausführlichkeit darüber geschrieben, um den Eltern und unseren Politikern klar zu machen, was dieses Porno-Gucken mit den Seelen der Kinder anrichtet, welchen Schaden die Kinder nehmen können, und dass dringend Handlungsbedarf für eine Reglementierung, für einen stärkeren Jugendschutz nötig ist."
Andere Autoren würden auch über Sex schreiben, meint Julian Adrat, zum Beispiel Philipp Roth. „Bei ihm ist das dann literarisch wertvoll. Ich werde mit dem Vorwurf billiger Pornografie konfrontiert", beklagt der junge Saarländer. „Doch ich habe bewusst eine drastische Darstellung gewählt, ich habe den Mut, über die Abgründe von Sex und wahllosem Konsumieren von Vaginen zu Âschreiben."
Sein Lächeln verschwindet bei diesen Worten aus seinem jungenhaften Gesicht, seine Augen schleudern messerscharfe Blicke. Keine Frage, Julian Adrat ist es ernst. Aus dem einst verspielten hoffnungsvollen Pianisten, der bis Anfang 20 eine Musikerkarriere ins Auge gefasst hatte und sich durch eine Erkrankung seiner rechten Hand beruflich neu orientieren musste, spricht nun der aufstrebende Literat.
„Ich habe keinen Porno hingekritzelt! Ich habe ein Buch geschrieben, das Eltern aufrütteln soll, sich und ihren Kindern klarzumachen, dass Sexualität zwischen zwei Menschen etwas Wertvolles ist, etwas, was zwischen diesen beiden Menschen bleiben soll."
Spricht hier der vom neu-apostolischen Glauben zum Katholizismus konvertierte, geläuterte Sünder? 2014 ließ sich Julian Benedikt Adrat taufen, von Kardinal Rainer Maria Woelki in der St. Hedwigskathedrale in Berlin. In der Osternacht.
Geschrieben hat er das Buch in einer Phase, in der er seinen Glauben hinterfragte. In einer Zeit, in der er nach Wertigkeiten, Sicherheiten, Sinnhaftigkeit suchte, in der er heiratete, Vater wurde, sich fortan als Schriftsteller sah.
„Beim Sex erkennt man den Menschen"
„Ich habe das Buch nicht als Katholik geschrieben, habe aber meine geistlichen Väter gefragt, wie sie mein Buch bewerten. Sie finden es schwierig. Und ihren Segen habe ich dafür auch nicht bekommen. Durch die Auseinandersetzung mit der katholischen Sexualmoral habe ich für mich erkannt, dass der Wert des Menschen in der Sexualität offenbar wird. Da ist der Mensch sehr verletzlich, beim Sex erkennt man den Menschen." Der zügellose Pornokonsum hingegen mache Menschen unfähig zu lieben, findet der junge Autor.
„Männer und Frauen werden gleichermaßen unzufrieden zurückgelassen, es wird eine Illusion vorgetäuscht, alles haben zu können. Diese Illusion zerstört Beziehungen. Nichts interessiert Menschen so sehr wie Sex, und nichts macht sie so verletzlich. Pornografie entmannt Menschen, macht sie unfähig zu tiefen Gefühlen, hat etwas Krankhaftes." Doch gegen Pornografie anzukämpfen sei sinnlos. Dafür ist sie zu sehr verbreitet und übt eine zu große Anziehungskraft aus. „Trotzdem ist es sinnvoll, sie anzuprangern. Mit meinem Buch hoffe ich, eine politische Diskussion anzustoßen. Das Problem der übergreifenden Pornografie ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wir müssen mit Pornos anders umgehen. Und – ganz wichtig – die jetzige ,Generation Porno’ wird hoffentlich erkennen, dass sie ihre Kinder besser vor dem schützen muss, was sie gedankenlos konsumiert hat."
Ein hoher Anspruch eines noch unbekannten Autors. Passend zu dem Buchtitel seines Debütromans.
Sieht er sich selbst als deutscher Charles Bukowski oder moderner Henry Miller? Weitere literarische Ergüsse in dieser sprachlich exaltierten Form hat er zumindest momentan nicht geplant.
Sein neues Buch wird ganz ohne Sex auskommen. „Junge Väter weinen nicht", soll es heißen und dreht sich um ein schiefgegangenes Weihnachtsfest. Auch hier wird der Autor Autobiografisches zum Besten geben. „Ganz keusch wird mein zweiter Roman", schmunzelt Julian Adrat. Denn „explizit und um der Originalität willen über Sex zu schreiben, ist nach Philipp Roth (und einigen anderen) lächerlich geworden." Womit Julian Adrat bereits einen Gedanken aus seinem neuen Buch zitiert. Eines hat er nämlich durch das Schreiben seines ersten Buches erkannt: Das Schreiben über Sex ist nicht per se literarisch originell, auch wenn die Versuchung ungemein groß ist, sich selbst und dem Leser dies so zu verkaufen."
Wie Julian Adrat es nach diesen Ankündigungen schaffen will, in seinem zweiten Roman über Sexualität zu Âschreiben, ohne es ausdrücklich zu tun, macht neugierig.